Kommentar Meese-Urteil: Ein Urteil für die Kunstfreiheit

Als Künstler beharrt Jonathan Meese auf seinem Recht, geschmacklos zu sein. Gut, dass man das vor Gericht auch so sieht.

„Ich bin geschmacklos und habe das Recht dazu.“ – Jonathan Meese. Bild: dpa

Die Diktatur der Kunst hat gesiegt. Jedenfalls die, die der Künstler Jonathan Meese als art in progress schon seit Jahren ausruft, und in der er den Hitlergruß zeigt, vom Professor Doktor Erzchefarzt spricht und Alienpuppen mit Hakenkreuzen beschmiert.

Warum er seine Auftritte so gestaltet und immer wieder den Obererzschurken des 20. Jahrhunderts ins Spiel bringt, ist nicht ohne weiteres zu sagen. Aus purer Lust an der Provokation? Oder etwas didaktischer: zum Zweck der Irritation und Verunsicherung des Kunstpublikums? Als kleiner Realitätscheck auf unser Erinnerungsvermögen? Und unsere entsprechenden Reflexe? Klar ist nur, dass es nicht seine Absicht ist, "den Hitlergruß wieder salonfähig zu machen", wie es die Staatsanwaltschaft Kassel dem 43-Jährigen vorwarf.

Diesem Vorwurf konnte auch die Vorsitzende Richterin am Amtsgericht Kassel nicht folgen. Sie war sich sogar sicher, zu wissen, „dass der Angeklagte sich nicht mit nationalsozialistischen Symbolen oder Hitler identifiziert, sondern das Ganze eher verspottet". Damit folgte die Richterin dem Plädoyer der Verteidigung und sprach Jonathan Meese am gestrigen Mittwoch vom Vorwurf frei, ein Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet zu haben.

Vollkommen ideologiefrei

Als Angeklagter hatte Meese das Schlusswort, in dem er sich für vollkommen ideologiefrei erklärte. Auch die Kunst sei kein "Ideologiebestätigungssystem", so Meese, Künstler müssten vielmehr die Zeit, in der sie leben, "aufs Korn nehmen". „Ich bin geschmacklos und habe das Recht dazu.“

Gut, dass er es noch einmal gesagt hat. Denn erschreckend aufschlussreich war am Kasseler Prozess, wie viele Kommentatoren ihm doch genau dieses Recht auf Geschmacklosigkeit streitig machen – und damit dem Grundrecht der Kunstfreiheit ein Ende bereiten wollten. Warum eigentlich dürfen Künstler, was sogenannt normalen Leute untersagt ist, war die pampige Frage, mit der Stimmung gegen den legitimierten Regelverstoß gemacht werden sollte. Dem hat das Amtsgericht Kassel mit seinem Votum für Meese glücklicherweise nicht nachgegeben.

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war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.

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