Aus dem Gericht: Ein selbstloser Mord

Weil er sie „erlösen“ will und mit ihrer Pflege überfordert ist, erstickt Michael K. seine 82-jährige Mutter: Ein Weiterleben im Heim hätte er für unzumutbar gehalten.

Was man mit seinem Kissen tut, das kann kein Schneider wissen. Bild: dpa

Als er an jenem Februarmorgen seine, ihre „grauenvolle Situation“ beendet hatte, breitete sich eine „unglaubliche Ruhe“ in Michael K. aus, sagt er. „Ich habe meine Mutter erlöst“, eröffnet er dem Polizisten, mit ruhigen Worten. Er hatte ihn ja selbst gerufen. Auf der Wache haben sie ihn dafür dann als „Mörder“ bezeichnet. Erst nach einer ganzen Weile begriff K., dass damit er gemeint war. Als er wenig später in Untersuchungshaft saß, fiel eine „jahrzehntelange Last“ von ihm ab.

Herr K. nennt es „Altruismus“. „Heimtückisch“ nennt es die Anklage, die Staatsanwalt Mustafa Öztürk vorträgt. Auf diese Weise habe K. seine 82-jährige Mutter Rosemarie ermordet. Morgens, kurz nach sechs. Er hatte sich nach dem Aufwachen an ihr Bett gesetzt, wie an vielen Morgen zuvor. Und dann seine Hand an ihren Hals gelegt, versucht, sie zu erdrosseln, ohne großen Plan, wie er sagt, mit bloßen Händen. Schließlich nimmt er sich ein Kissen. Erstickt sie. „Weil er sie nicht mehr länger pflegen wollte“, sagt der Staatsanwalt. Fünf Minuten wird er dafür gebraucht haben, vielleicht auch zehn. Ob seine Mutter sich gewehrt hat? Michael K. kann sich nicht daran erinnern. „Jeder wehrt sich, wenn man ihm die Luft zum Atmen nimmt“, sagt der Richter. „Immer.“

Der 50-Jährige, gut 1,80 groß und 80 Kilo schwer, dunkles Hemd, volle, dunkle Haare, leicht graue Schläfen, Geheimratsecken, unscheinbare Brille, er spricht leise, gefasst, distanziert, fast monoton, ohne Höhen und Tiefen, Emotionen. Früher war er mal beim ZDF, später Musiker. Inzwischen ist er seit langem arbeitslos, auf Hartz IV und überlegt, eine Rente zu beantragen.

„Es war letztlich die einzige Lösung“, sagt er dann.

Ob ein Pflegedienst, ein Heim nicht auch ein Alternative gewesen wäre? „Das hätte ich meiner Mutter nicht zumuten können“, sagt Herr K., und, dass sie schon die Hilfe ambulanter Dienste abgelehnt habe. „Dann spring’ ich lieber vom Balkon“, soll sie immer wieder gedroht haben. Auch ein Heim, „das hätte sie nicht lange überlebt“, sagt der Sohn. Doch, doch, er habe schon mit ihr geredet, besonders letztes Jahr, kurz vor Weihnachten, nachdem sie gestürzt war. Oberschenkelhalsbruch. Danach konnte sie kaum mehr laufen, und sie hat ja eh schon kaum noch was gesehen. Und doch alleine gelebt. Denn der Sohn wohnte die meiste Zeit in Berlin und bevorratete sie auf Monate mit Konserven.

Wie es nun weitergehen solle, habe er sie gefragt. „Das weiß ich auch nicht“, soll sie geantwortet haben. Dann war das Gespräch zu Ende. Es wäre „sinnlos“ gewesen, weiter mit ihr zu reden, sagt er. „Aber wer hätte sich denn sonst um sie gekümmert?“

Von einer „Tat“ will K. nicht sprechen, lieber vom „Moment meines Handelns“, weil alles andere doch den „Beigeschmack des Kriminellen“ habe. Und als solcher fühle er sich nun „überhaupt nicht“, auch wenn es, abstrakt betrachtet, „selbstverständlich“ ein „grauenvoller Vorgang“ sei, wenn einer seine Mutter umbringt.

Ob er bestraft gehöre, will der Richter wissen. „Nein. Mit welcher Strafe denn?“ Er habe die seine schon lange hinter sich, „durch all’ die Jahre“, mit seiner Mutter. „Ich wüsste nicht, wie das jetzt noch bestraft werden sollte.“ Am Ende könnte es lebenslänglich werden.

Als sie tot ist, sitzt er noch eine ganze Zeit lang neben ihr, auf dem Bett. Um die Gelegenheit zu haben, Abschied von ihr zu nehmen. Dann setzt er sich hin, notiert ein paar Bleistiftzeilen, für den Nachlass, löst sich ein paar Schmerztabletten auf, die er bei seiner Mutter findet und legt sich in die Badewanne. Alt-Bremer Haus, Bremer Neustadt, Friedrich-Ebert-Straße, oberes Stockwerk. Zuerst überlegt er, sich die Pulsadern aufzuschneiden, mit einem Teppichmesser. Irgendwie sei er aber nicht der Typ dafür, findet er, und Blut oder Dreck will er auch niemand hinterlassen. Dann dämmert er weg. „Relativ gelöst“ sei er gewesen, „total erschöpft“. Der Arzt wird später nur eine paar kleinere Schnittwunden bei ihm feststellen.

Um neun Uhr ruft er über Notruf die Polizei. Die erste Nacht muss er in einem „besonders gesicherten Haftraum“ bleiben. Suizidgefahr. „Den Gedanken an Selbstmord hab’ ich, seit ich denken kann.“ Versuche unternimmt er keine mehr.

„Grauenvolle Situation“

Am Vorabend jenes 12. Februar 2013, an dem Rosemarie K. stirbt, sitzt ihr Sohn lange mit seinem Cousin Rudolf R. zusammen. Sie quatschen miteinander, trinken ein paar Bier, dazu Kräuterschnaps, und auf dem Nachhauseweg kehrt er noch in einen Imbiss ein. Er trinkt nochmal ein oder zwei Bier, und als er wieder in der Wohnung seiner Mutter ankommt, gibt’s neben Bier auch nochmal Kräuterschnaps, bis die Flasche leer ist. Dann putzt er, sieht fern und setzt sich noch ans Klavier. Um 13 Uhr des folgenden Tages werden sie 1,6 Promille bei ihm feststellen. Irgendwann dazwischen fasst er den Entschluss, die „unendlich traurige“, die „grauenvolle, aussichtslose Situation zu beenden“.

Am Vorabend, als er mit ihm zusammen saß, sagt R. als Zeuge vor Gericht, „da hat noch nichts darauf hingedeutet“. Im Gegenteil: Er habe sich „viele Gedanken gemacht“, sagt R., und Pläne, wie er seiner Mutter den Alltag erleichtern könne. „Er war sehr fürsorglich und hat sich ständig was für sie ausgedacht.“ Der Cousin besuchte seine Tante nur ab und zu: an Geburtstagen, bei Familienfeiern und als er erfährt, dass sie im Krankenhaus liegt. „Sie meinte, dass sie ganz gut alleine zurechtkam“, sagt der 52-Jährige aus. Auch wenn die Sache mit dem Oberschenkelhalsbruch für sie „dramatisch“ war. Aber „gejammert“, das habe sie immer, schon lange. Und, ja, „anstrengend“ sei sie gewesen. „Aber nicht in schlechter Verfassung.“

Mario Tonin, der Hausarzt von Frau K., der ihren Sohn noch aus der Grundschule kennt, beschreibt den Zustand der 82-Jährigen als „altersgemäß“. Sie sei „nicht intensiv pflegebedürftig gewesen“, so der Internist. Sie war seit den 1990ern schon seine Patientin, habe ihr Schicksal „tapfer“ hingenommen. Und doch sehr darunter gelitten, dass sie zuletzt kaum noch was sehen konnte. Tonin beschreibt sie als angenehme, korrekte Patientin. Nein, er könne nichts Schlechtes über sie sagen, außer dass sie etwas viel geredet habe, aber das sei eben oft so, bei alten Leuten, die alleine leben.

Noch vor Weihnachten war Michael K. bei ihm, wegen seiner Mutter. Ob er davon sprach, dass er überfordert war? „Das ist angedeutet worden“, sagt Tonin, und dass das heute ein „gesellschaftliches Problem“ sei, in vielen Familien. Eines, das ihm oft in seiner Praxis begegne.

„Die jahrzehntelange Belastung hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich gesteigert“, sagt K. Am Ende habe er seine Mutter „vor weiterem Leid bewahrt“, urteilt der Angeklagte. Er selbst verstehe das, also: für sich. „Ich erwarte aber nicht, dass andere das verstehen.“

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