Die Neugestaltung des Energiemarktes: Wir sind dann mal vom Netz

Ist zu wenig Strom da, können Netzbetreiber ab sofort große Verbraucher abschalten. Natürlich mit deren Einverständnis. Doch das ist erst der Anfang.

Strommasten vor den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Neurath (NRW) Bild: dpa

FREIBURG taz | In der Stromwirtschaft beginnt mit dem heutigen Tag ein Stück Zukunft: Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben erstmalig Firmen unter Vertrag genommen, die über abschaltbare Stromverbraucher verfügen. Ab heute können die Netzbetreiber nun flexible industrielle Lasten bei Bedarf abschalten. Das ist ein erster Schritt in Richtung des viel zitierten Smart Grids.

Ab sofort werden die Übertragungsnetzbetreiber, die für die bundesweite Netzstabilität zuständig sind, die abschaltbaren Leistungen monatlich im Rahmen einer Auktion neu ausschreiben. Daran teilnehmen können Firmen, die mindestens 50 Megawatt an spontan regelbarer Leistung anzubieten haben. Die Unternehmen erhalten dann, sofern sie bei der Auktion zum Zuge kommen, einen Leistungspreis vergütet für die Bereitstellung ihrer Flexibilität.

Und sie bekommen einen Arbeitspreis bezahlt, sofern ihre Maschinen tatsächlich abgeregelt werden. Folglich kann jede Firma selbst entscheiden, zu welchem Preis und für welchen Zeitraum sie bereit ist, ihre Maschinen im Dienste der Netzstabilität abschalten zu lassen. In metallurgischen Prozessen, bei Elektrolysen oder in der Zementindustrie ist solche Flexibilität mitunter gegeben.

Für Juli sind es erstmalig 247 Megawatt an „sofort abschaltbaren Lasten“ und 332 Megawatt an „schnell abschaltbaren Lasten“, die unter Vertrag genommen wurden. „Sofort“ heißt in diesem Zusammenhang, dass der Netzbetreiber die Verbraucher binnen einer Sekunde vom Netz trennen kann. „Schnell“ bedeutet die Möglichkeit der Abschaltung binnen 15 Minuten. Grundlage ist die Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV), die Ende 2012 von der Bundesregierung erlassen wurde.

Der Preis zählt

Flexibilität beim Stromverbrauch bekommt damit einen Marktwert. Und wie bei jeder Auktion bekommt auch hier den Zuschlag, wer das Produkt – also die Flexibilität – am billigsten anbieten kann. Das Konzept folgt der Erkenntnis, dass es in manchen Situationen billiger ist, einen Großverbraucher abzuschalten und ihn dafür zu entschädigen, als zusätzlichen Strom zu erzeugen.

Solche „intelligenten Netze“ werden im Zeitalter der schwankenden erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle spielen. Sie sind im industriellen Maßstab viel einfacher umzusetzen als die oft zitierte Waschmaschine im Privathaushalt, die bei großem Stromangebot startet.

Im Moment geht es allerdings noch vor allem um den Lerneffekt: „Das ist ein interessanter Testlauf, um die Prozesse zu entwickeln“, sagt Uwe Leprich, Wirtschaftswissenschaftler an der Hochschule Saarbrücken. Denn die Flexibilisierung der Stromnachfrage sei ökonomisch sinnvoll – und deswegen sollen mit der Abschaltverordnung nun die Stromwirtschaft wie die Industrie gleichermaßen an das Thema herangeführt werden. „Zwingend nötig wäre das Abschalten heute noch nicht“, sagt der Energiemarktexperte. Aber man werde nun Erfahrungen sammeln für die nach der Bundestagswahl anstehende Neugestaltung des Energiemarktes.

Auch Felix Matthes, Energieexperte am Öko-Institut, sieht die neuen Abschaltregeln nur als einen ersten, aber wichtigen Schritt eines sich wandelnden Energiesystems: „Das ist nur eine Übergangslösung.“ In einem künftigen Strommarktmodell müssten das Abschalten von Verbrauchern und das Zuschalten von Erzeugern preislich gegeneinander konkurrieren – und den Zuschlag erhält dann jeweils, wer dem Netz die nötige Flexibilität zum günstigsten Preis anbieten kann.

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