Archäologie der Googlegedichte: Vergessliches Netz

Plötzlich schreibt jeder Google-Gedichte. Dabei sind Suchmaschinen-Poeme schon über ein Jahrzehnt alt.

Google vergisst ... Google vergisst nichts. Bild: dpa

Ein Gutes hat der Rechtstreit zwischen Bettina Wulff und Google doch. Er lenkte aller Augen auf die Autovervollständigungsfunktion der Suchmaschine. Was die Menschen dann dort als Suchvorschläge sahen, waren nicht nur ehrabschneiderische Beleidigungen, sondern halbe, ganze Sätze, die mit etwas Glück recht poetisch daher kommen.

Das ist Spannung, es ist ein Spiel, es macht Spaß. Viele probieren es aus und teilen die mal banalen, mal bizarren, manchmal tiefgründigen und oft überraschenden Ergebnisse ihre Suche der Welt zum Beispiel auf Twitter mit.

So lange es Google gibt, fragt man sich, warum nicht schon eher jemand drauf gekommen ist, suchmaschinengestützte Gedichte zu schreiben. Die Antwort lautet, dass schon jemand die Idee hatte: Frank Sorge nämlich. Der Berliner Autor und Vorleser schreibt schon lange Googlegedichte. Wie lange? „Ach, so fünf oder sechs Jahre bestimmt“, sagt er.

Doch damit nicht genug. Bald ebenso lange benutzt er die Technik für Werkstätten zum kreativen Schreiben mit SchülerInnen. „Die Autovervollständigung ist da nur der Einstieg, der erste Schritt ins Googlegedicht.“ Nicht vordringlich um Zufallsfunde gehe es, sondern darum, die Poesie in den Suchergebnissen zu entdecken, sie zu sortieren, etwas Eigenes, Neues daraus zu schaffen.

Zurück ins Jahr 2001

Wie er drauf gekommen ist? „Bov Bjerg hat bei meiner Lesebühne so eins vorgelesen. Und da hab ich's dann einfach selber auch mal gemacht.“ Bov Bjerg, Schriftsteller und Kabarettist, findet es nicht sonderlich bemerkenswert, dass die Googlepoesie wieder aufkommt, sondern fragt sich eher, warum das so lange gedauert hat.

Zu seinen bald 10 Jahre alten Variationen gehörte der übersichtliche Blogbeitrag genauso wie das große Dossier „Hitler gegoogelt“, oder die, selbstverständlich rein maschinelle, Vertonung der Gedichte!

Das sind keine per Screenshot festgehaltenen Zufallsfunde, ein sehr überlegter Aufbau wird deutlich. Ganz flüchtiger Spaß ist absolut kein Hinderungsgrund, aber er ist hier nicht alles. Bjerg weist noch auf einen Beitrag der futurzone des ORF hin. Dort wird die Geschichte der suchmaschinengenerierten Gedichte sogar bis ins Jahr 2001 zurückverfolgt – gerade mal 12 Jahre vor der aktuellen Wiederentdeckung der Googlepoesie.

Frank Sorge derweil antwortet auf die Frage, ob er die Methode weiter für die Schreibwerkstätten oder die Lesebühne verwenden will: „Sicher, wenn sich die Gelegenheit bietet, immer.“ Sind die Googlegedichte für Bov Bjerg Vergangenheit? „Nein, abgeschlossen sind Suchmaschinengedichte für mich nicht. Ich find's aber auch nicht so wahnsinnig interessant, alle zehn Jahre bei Null anzufangen.“

Bjerg hat noch Ideen, wie sich aus dem alltäglichen Raunen und Meinen des Netzes, das sich in den Suchmaschinen spiegelt eine Art Instant Theaterstück entwickeln ließe. Wann? „Sobald ich Zeit, also Geld habe, mach ich's.“ Und all die frisch gebackenen Googlepoeten und Twitterer so? Warten wir die nächste Woche ab – das Netz vergisst offenbar recht schnell.

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