Prekäre Arbeit an Universitäten: Kind oder Karriere

Immer mehr wissenschaftliche MitarbeiterInnen arbeiten auf befristeten Stellen. Rechte wie Mutterschutz und Elternzeit gelten für sie nur eingeschränkt.

Oder man nimmt die Kinder einfach mit in den Hörsaal. Bild: dpa

BERLIN taz | Nennen wir ihn Peter. Peter ist Doktorand und finanziert sich durch eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer deutschen Universität. Befristet natürlich, so wie fast alle Mitarbeiterstellen bundesweit. Sein Vertrag läuft bald aus, der Vater zweier Kinder macht sich Sorgen.

Da winkt ein Dreijahresvertrag an einer anderen Universität. Peter kündigt und zieht um. Doch an seinem ersten Arbeitstag teilt man ihm mit, dass man ihm nur einen Vertrag über 18 Monate anbieten könne. Dann sind die sechs Jahre um, die ein Doktorand laut Bundesgesetz befristet angestellt sein darf. Zwar können die Unis diese Frist verlängern, wenn Kinder im Haushalt leben. Sie müssen aber nicht. Und Peters neue Uni wendet die familienpolitische Komponente nicht an.

Es sind Fälle wie dieser, die Anne Krüger und drei weitere junge WissenschaftlerInnen recherchieren ließen, welche familienpolitischen Regeln für NachwuchswissenschaftlerInnen eigentlich gelten. Die Ergebnisse haben sie in dem Ratgeber „Vereinbarkeit und wissenschaftliche Qualifizierung“ (PDF) zusammengetragen, den die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Dienstag in Berlin vorstellte.

Das Ergebnis der Recherchen ist ernüchternd. Denn Peter ist kein Einzelfall. „Viele familienpolitische Standards laufen für Nachwuchswissenschaftler leer“, sagt der GEW-Hochschulexperte Andreas Keller.

Arbeitsrechtliche Sonderzone

Der gesamte Wissenschaftsbereich ist arbeitsrechtlich gesehen eine Sonderzone. Das 2008 in Kraft getretene Wissenschaftszeitvertragsgesetz regelt, dass MitarbeiterInnen sechs Jahre vor und nach der Promotion befristete Verträge angeboten werden können. Rechte, von denen junge Eltern normalerweise profitieren, wie die Mutterschutzfrist vor und nach der Geburt eines Kindes, die Elternzeit und das Elterngeld gelten im Wissenschaftszeitvertragsgesetz nur eingeschränkt. Über eine halbe Million NachwuchswissenschaftlerInnen sind davon betroffen.

Nach Ablauf der zwölf Jahre können die Unis weiterhin Zeitverträge ausstellen, wenn die Stellen durch sogenannte Drittmittel – Geld, das zweckgebunden für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt wird – finanziert werden. Junge Frauen, die in dieser Phase schwanger werden, müssen fürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Denn weder Mutterschutz noch Elternzeit bewirken eine Verlängerung des Vertrags.

Weil Drittmittel als Finanzierungsquelle für die Hochschulen immer bedeutender werden, steigt auch die Zahl der befristeten Stellen. Mittlerweile arbeiten 90 Prozent der angestellten wissenschaftlichen MitarbeiterInnen an Hochschulen auf befristeten Stellen, ein Anstieg um zehn Prozentpunkte in zehn Jahren. Das zeigt der zweite Bundesbericht für den Wissenschaftlichen Nachwuchs (Buwin), der in der vergangenen Woche vorgestellt wurde.

Die Zahl der befristeten Teilzeitstellen ist demnach ebenfalls gestiegen, und zwar auf 45 Prozent, während der Anteil der sicheren, unbefristeten Stellen an Hochschulen seit Jahren schmilzt. „Damit geht Deutschland im internationalen Vergleich einen Sonderweg“, sagt Anke Burkhardt, Leiterin des Buwin-Konsortiums.

Frauen stehen besonders unter Druck

Gerade Frauen, die ihre Karriere wegen Schwangerschaft unterbrechen müssten, stünden unter besonderem Druck, berichtet Svenja Bernstein-Derichs, die ebenfalls am Ratgeber mitgearbeitet hat. Denn die Hochschulen würden durch Mutterschutz vakante Stellen in der Regel nicht nachbesetzen – obwohl sie die Kosten von den Krankenkassen erstattet bekommen. „Das bedeute für die anderen im Team, dass sie die Arbeit der jungen Mutter unentgeltlich übernehmen müssen. Und die Abteilungsleitung überlegt sich, ob sie das nächste Mal überhaupt eine Frau einstellt, denn sie könnte ja schwanger werden.“

Die GEW fordert, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu überarbeiten und etwa familienpolitische Regeln für alle verbindlich zu machen. Die Oppositionsparteien im Bundestag wollen eine Mindestlaufzeit von zwei bis drei Jahren für befristete Verträge festlegen. Die Bundesregierung sieht derzeit jedoch keinen Bedarf, dass Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu novellieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.