Spenden: Das Geschäft mit dem Gewissen

Amnesty International wirbt auf der Straße für Fördermitgliedschaften, obwohl das verboten ist. Ordnungsämter sind mit Kontrollen überfordert.

Man kann es nie wissen: Echte Ehrenamtliche von Amnesty? Oder bezahlte Spendeneintreiber? Bild: Sebastian Heiser

Die gut gekleidete ältere Dame schüttelt den Kopf und zerreißt das bereits ausgefüllte Formular. „Nein, dann doch nicht“, sagt sie zu Rieke*. Einmalig spenden wolle sie, keine Fördermitgliedschaft abschließen. Dann geht sie weiter in Richtung S-Bahnhof. Rieke, die für das Fundraisingunternehmen Dialog Direct auf der Straße steht, ist enttäuscht. Sie war so nah dran. Und ist Amnesty International etwa nicht förderungswürdig?

Ein paar Meter weiter sagt die Frau, die eben das Formular zerrissen hat, sie habe schon genug Verpflichtungen. Das Patenkind, der Förderverein. Irgendwo sei Schluss. Und sie fühlt sich in die Irre geführt: „Die haben so getan, als könne man einmalig spenden.“ Tatsächlich kann man an den Straßenständen ausschließlich Fördermitgliedschaften eingehen – mindestens 60 Euro Jahresbeitrag. Bei anderen Organisationen, für die Dialog Direct auch arbeitet, sind die Summen noch höher.

Werben verboten

Wer in Berlins Innenstadt unterwegs ist, kommt an mobilen Fundraisern wie Rieke kaum vorbei. Was kaum jemand weiß: Es ist gar nicht erlaubt, Fördermitgliedschaften auf der Straße zu bewerben. Die Stände dürfen nur Informationszwecken dienen, erklärt Bernd Tepper vom zuständigen Tiefbauamt Mitte: „Die Genehmigung enthält immer die Auflagen, dass keine Mitgliederwerbung und keine Spendensammlung stattfinden darf.“ Auch in anderen Bezirken ist das klar geregelt: keine Vertragsabschlüsse, keine Verpflichtungen, kein Verkauf von Waren auf öffentlichem Straßenland. Aber warum wird dann trotzdem an jeder zweiten Ecke um Mitglieder gebuhlt? Laut Tepper liegt es an der Überlastung der Ordnungsämter, die die Einhaltung der Auflagen kontrollieren müssten.

Auch in anderer Hinsicht arbeiten die Fundraiser mit unsauberen Mitteln: Die Mitarbeiter von Dialog Direct etwa sind bei ihrer Arbeit kaum als solche zu erkennen. Sie tragen gelbe oder schwarze Jacken, auf denen gut lesbar „Amnesty International“ steht. Weniger auffällig sind die Ausweise, die sie um den Hals tragen und darauf hinweisen sollen, dass sie gar keine Amnesty-Mitarbeiter sind. Auch sprachlich erwecken die Straßenwerber oft einen falschen Eindruck. Einer Passantin sagt ein Teamleiter, wenn sie Fördermitglied werde „senden wir dir auch das Amnesty-Magazin zu“. Wir? Amnesty? Oder Dialog Direct?

Immer hier und jetzt wollen die Spendenwerber Nägel mit Köpfen machen. Nicht erst von zu Hause soll man das Geld auf den Weg bringen, sondern an Ort und Stelle per Unterschrift liefern. Natürlich – andernfalls verdienen die Fundraiser wenig mit dem Dienst an der guten Sache. Pro neuem Fördermitglied bekommen sie eine Prämie.

Bei Amnesty International (AI) sind die Probleme bekannt, werden jedoch als Einzelfälle dargestellt. „Einige Agenturmitarbeiter neigen dazu, das finanzielle Interesse nicht so offen anzusprechen, wie wir es von ihnen erwarten“, sagt AI-Sprecher Ferdinand Muggenthaler, „sie wählen Formulierungen, die den Eindruck erwecken, die politische Stimme stünde im Mittelpunkt der Dialog-Aktion.“ Amnesty betone aber, dass das Hauptanliegen die Gewinnung finanzieller Unterstützer sei. Und die Infostand-Kampagne sei eine der erfolgreichsten Möglichkeiten, Unterstützer zu gewinnen.

Keine ganz billige Möglichkeit: Nach eigenen Angaben investiert AI durchschnittlich knapp 7 Prozent der Gesamteinnahmen in die Infostand-Kampagnen. „In einem ähnlichen Umfang könnten wir das mit unseren ehrenamtlichen Mitgliedern nicht leisten“, gibt Muggenthaler zu bedenken. Und im Übrigen müssten erst die AI-Ortsgruppen zustimmen, bevor Amnesty in einer Stadt professionelle Fundraiser auf die Straße schicke.

Amnesty ist nicht die einzige Organisation, die auf der Straße Geld einwerben lässt. Karitative Einrichtungen, Tierschutzvereine, alle mischen mit im Spendengeschäft. Ihnen mag es tatsächlich um die gute Sache gehen – für die Fundraising-Dienstleister dreht sich alles um den Profit. „Wenn man ein bestimmtes Pensum nicht erreicht, wird man rausgeekelt“, berichtet ein Berliner Student, der bis vor einem Jahr für einen anderen Fundraiser gearbeitet hat. Obwohl er selbst erfolgreich gewesen sei, habe er am Ende keine Lust mehr gehabt, Menschen „rumzukriegen“. Als Fundraiser, so seine Erfahrung, spezialisiere man sich auf die Zielgruppe, bei der man gut ankommt. Junge Frauen sprechen meistens Männer an. Er selbst habe die Masche „netter Schwiegersohn“ genutzt und sich vor allem an ältere Frauen gewandt.

Am Hackeschen Markt interessieren sich immer noch nur wenige Passanten für die Themen von Amnesty. Einen jungen Mann hat Rieke trotzdem in ein Gespräch verwickeln können, Andreas heißt er. Rieke gibt sich charmant, gestikuliert viel, sagt Sätze wie: „Gib dir einen Ruck, mein Freund.“ Am Ende will Andreas trotzdem nicht unterschreiben und steckt lediglich Infomaterial ein. „Schönen Tag noch, Christian“, sagt Rieke.

*Name geändert

In einer früheren Version dieses Textes wurde suggeriert, dass die Mitarbeiter des Fundraisingunternehmens nicht bezahlt werden, wenn sie keine Fördermitglieder werben. Laut Amnesty bekommen sie aber ein "erfolgsunabhängiges Grundgehalt von 56 bzw. 50 Euro pro Einsatztag". Der Mindestbeitrag für Fördermitglieder liege zudem bei 60 Euro jährlich. Die ursprünglich im Text erwähnten 80 Euro seien lediglich ein "Beitragsvorschlag".

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