Armut in Bulgarien: Ohne Nachbarn längst verhungert

Bulgarische Gehälter reichen nicht zum Leben – und staatliche Hilfen schon gar nicht. Hilfe von Verwandten und Freunden ist überlebenswichtig.

Eine ältere Frau muss in Sofia betteln, um ihre Rente aufzubessern. Bild: dpa

BERLIN taz | Bei den Parlamentswahlen 2009 hatte Maria Genova noch euphorisch für Bojko Borissow gestimmt. „Das ist ein Mann voller Energie, der weiß, wie das Volk denkt“, sagte sie damals. „Er wird etwas bewegen und auch für uns Alte etwas tun.“

Am Mittwoch sind „Bojko“, wie die Bulgaren ihn nennen, und seine Regierung nach tagelangen, teils gewaltsamen Protesten zurückgetreten. Maria Genova ist in jeder Hinsicht enttäuscht. „Das zeigt nur wieder einmal, auf welch niedrigem Niveau sich unsere Politiker befinden. Die benutzen das Volk doch nur für ihre Zwecke“, meint sie.

Die 79-jährige Rentnerin hat es nicht leicht mit ihren über 100 Kilogramm Körpergewicht. Sie lebt unweit des Zentrums der bulgarischen Hauptstadt Sofia im vierten Stock eines Wohnblocks in einer Eigentumswohnung. Diese kann sie schon seit Jahren nicht mehr verlassen, weil es keinen Fahrstuhl gibt, sie sich nur mühsam an einem Stock vorwärtsbewegen und keine Treppen mehr steigen kann.

Wären da nicht die Nachbarn, die ihr mehrmals in der Woche Lebensmittel vorbeibringen, „wäre ich schon längst verhungert“, meint Maria Genova.

40 Jahre Arbeit für 100 Euro Rente

Aber das wäre sie wohl auch, wenn ihr Verwandte und Freunde nicht aus dem Ausland Geld schicken würden. Maria bekommt, wie die meisten ihrer Altersgenossen auch, nach vierzig Jahren harter Arbeit monatlich 200 Lewa, umgerechnet 100 Euro Rente. Fast die ganze Summe geht für Medikamente drauf.

„Im Februar muss ich 120 Lewa für Strom bezahlen, dazu kommt noch die Heizung. Die hat mich im vergangenen Monat 230 Lewa gekostet. Wie viel das jetzt sein wird, weiß ich noch nicht. Ohne Unterstützung wüsste ich gar nicht, wie ich das schaffen sollte. Und ich brauche doch auch noch etwas zu essen“, sagt sie.

Im vergangenen Jahr musste sie sich einer Operation am Bein unterziehen. Die dafür erforderlichen 5.000 Dollar schickte ein entfernter Verwandter. „Ohne dieses Geld“, sagt Maria, wäre ich schlicht nicht in der Lage, zu überleben.“

Geld von Verwandten und Freunden

Das gilt auch für die Verwandten von Marinella Dimova. Bis vor einigen Monaten arbeitete die 44-Jährige, die fast perfekt Deutsch spricht und zwei Hochschulabschlüsse hat, in der Buchhaltung eines großen Verlagshauses. Dort verdiente sie über 1.000 Lewa im Monat – für bulgarische Verhältnisse ein überdurchschnittlich gutes Gehalt. Doch Marinella muss ihren nur ein paar Jahre älteren Bruder unterstützen, der fast erblindet ist und umgerechnet nur 50 Euro Invalidenrente bekommt. Auch ihrer alten Mutter, die den Bruder betreut, greift sie finanziell unter die Arme. Als diese vor einigen Jahren an der Galle operiert werden musste, sprangen Freunde aus dem Ausland ein.

Im vergangenen Oktober verlor Marinella ihre Arbeit und bekam fortan Arbeitslosenunterstützung in Höhe von rund 700 Lewa. Diese wäre nach neun Monaten ausgelaufen. Daneben hielt sie sich mit privaten Deutschstunden, die jeweils mit 13 Lewa vergütet werden, und Übersetzungen über Wasser.

Seit knapp einer Woche hat sie jetzt wieder einen Job – in einer PR-Agentur. Wie sich alles weiterentwickelt, weiß sie noch nicht. „Aber“, sagt Marinella, „nach diesen letzten Monaten, die für mich ein einziger Stress waren, habe ich jetzt zumindest die Hoffnung, dass es wieder aufwärtsgeht.“

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