Kunstvolle Särge aus Ghana: Mehr als eine Holzkiste

Egal ob Fisch, Cola-Dose oder Kamera: In Ghana kann man sich in allen erdenklichen Särgen beerdigen lassen. Denn Beerdigungen sind eine große Sache.

In Ghana kommt man auch mit einem Fisch über den Jordan. Bild: Katrin Gänsler

ACCRA taz | Die elektrische Säge heult auf, und für einen kurzen Moment dringt ein ohrenbetäubender Lärm durch die kleine Schreinerwerkstatt in Teshie, einem Vorort der ghanaischen Hauptstadt Accra. Wer sich mit seinen Kollegen verständigen will, muss schreien. Helle Holzspäne fallen in großen Flocken zu Boden. So schnell, wie der Lärm gekommen ist, verschwindet er, und das erste Sargbrett ist zugeschnitten.

Wie der Sarg einmal aussieht – ob daraus ein Fisch, eine Cola-Dose oder eine in hellem Rosa angemalte und mit Spitzen verzierte letzte Ruhestätte wird –, ist noch nicht sicher. Eins aber schon: Gewöhnlich, schlicht, schnöde und langweilig wird die Holzkiste der letzten Reise auf keinen Fall werden.

Eric Adjetey Anang beugt sich über das Brett und begutachtet das Werk seiner Mitarbeiter. Hinter seinem Ohr klemmt ein Bleistift. Auf der Stirn kleben ein paar Schweißperlen. Obwohl alle Türen offen stehen, ist es heiß und stickig in der Werkstatt, die von der belebten Straße aus nach nichts Besonderem aussieht. Eben nach einer Schreinerwerkstatt, von denen es unzählige in Accra und den umliegenden Vierteln und Dörfern gibt. Hier entstehen Betten, Tische, viel zu plüschige Sofas und häufig auch Särge.

Der Tod ist in Ghana so wie in vielen anderen Ländern Westafrikas allgegenwärtig. Stirbt jemand, soll er gebührend beerdigt werden. Aus solch einem Wunsch werden häufig kostspielige Partys, die umgerechnet mehrere tausend Euro kosten. Es gibt Getränke und Essen für Hunderte von Trauergästen. Eine Beerdigungs-Band ist für die passende Musik verantwortlich und die Schneider dafür, dass die Trauernden Anzüge, Röcke und Kleider aus demselben Stoff tragen.

Mehr als eine Holzkiste

Schreiner Eric Adjetey Anang sorgt für das besondere i-Tüpfelchen – den ausgefallenen Sarg. Was alles möglich ist, zeigt er, der sich mehr als Künstler denn als Handwerker sieht, in seinem kleinen Ausstellungsraum, der vor der Werkstatt liegt. Der riesige lachsfarbene Fisch zum Beispiel, der fast ein wenig schelmisch grinst und so freundlich wirkt, dass er dem Tod den Schrecken nimmt. „In diesem Sarg kann ein Fischer beerdigt werden“, erklärt er. Drei Särge weiter steht eine große dunkelbraune Holzkiste.

In Feinarbeit haben seine Mitarbeiter diese mit kleinen knallroten Holztomaten dekoriert. Die perfekte letzte Ruhestätte für eine Marktfrau. Doch ob dieser Sarg tatsächlich irgendwann einmal unter die Erde kommt, weiß Eric Adjetey Anang noch nicht. Es gibt Streit. Die Familie hatte den Sarg bestellt, doch die Kinder der Verstorbenen wollten einen aus den USA. „Dabei bestimmt die Familie den Sarg, die Kinder entscheiden das nicht“, erklärt der Sargkünstler. Auch für das Sterben gibt es strenge Regeln. Er streicht über sein Kunstwerk.

Särge als Kunstwerk haben bei den Ga, einer ethnischen Gruppe, die rund um die Stadt Accra sowie im Nachbarland Togo lebt, eine lange Tradition. Herrscher wurden oft in ihrer Sänfte beerdigt, die meistens ein ausgefallenes Schnitzwerk war und den jeweiligen Besitzer schon zu Lebzeiten gebührend repräsentierte. Eine besonders ausgefallene Idee soll einer jener traditionellen Herrscher in den 1950er Jahren gehabt haben. Er ließ sich eine Sänfte in Form einer Kakaobohne schnitzen und wurde bald auch in dieser unter die Erde gebracht.

Eric Adjetey Anang lehnt sich an einen großen grünen Fisch und fängt an, über seine Ururgroßmutter zu sprechen. Seine Mitarbeiter machen Pause im Halbschatten und zeigen sich auf ihren Handys ein paar Fotos. Der Wunsch von Eric Adjetey Anangs Ururgroßmutter hat die Tradition der modernen Exotiksärge wohl erst richtig begründet.

Kunstvolle Särge

„Als alte Frau hat sie noch erlebt, wie hier der erste Flughafen gebaut worden ist. Sie sah die Flugzeuge starten und landen. Und wollte unbedingt einmal selbst in einer solchen Maschine sitzen.“ Geschafft habe sie das aber nicht. Der 27-Jährige lächelt, er kennt die Geschichte selbst nur aus Erzählungen. Aber er freut sich, wie der große Wunsch seiner Vorfahrin schließlich doch noch auf recht ungewöhnlichem Weg erfüllt werden konnte.

„Mein Großvater baute ihr deshalb ein Flugzeug als Sarg. Die Leute fanden ihn sehr schick und ausgefallen.“ Aus dem Flugzeug für die alte Dame wurden unzählige weitere Särge, die nicht mehr nur für Dorfchefs bestimmt waren. Und Großvater Seth Kane Kwei wurde mit ihnen weltberühmt. In Europa, den USA und Asien hat er seine besonders kunstvollen Werke regelmäßig ausgestellt, auch in Deutschland. Sein Enkel führt diese Tradition nun in dritter Generation fort.

Die Mittagspause ist vorbei. Eric Adjetey Anang schaut einem seiner Männer zu, der gerade einen Sarg in einem hellen Blau anstreicht. Die an den Seiten ausgeschnittenen Partien können später mit Spitze bespannt werden. Wer mag, kann sich auch kleine bunte Plastikblumen aussuchen. Wie das Endprodukt aussehen könnte, zeigt Eric Adjetey Anang im Ausstellungsraum.

Dort steht ein fertiges Modell in glänzendem Weiß, die Beschläge und die großen, verzierten Sargnägel sind akkurat angebracht. Auch sie glänzen. Der Künstler öffnet sein Vorzeigemodell und grinst. Das Innenleben besteht aus einem feinen seidigen Stoff. Ein Cadillac unter den Särgen.

Adler und Löwen sind reserviert

Doch Fantasie und Kreativität hin oder her: Zwei Ausnahmen gibt es. Adler und Löwen schreinert und schnitzt Eric Adjetey Anang nicht für jeden. Sie sind das Symbol der Dorfchefs. Und auf dem Weg ins Jenseits kann sich niemand nachträglich selbst zum Oberhaupt eines ganzen Ortes machen, wenn er es nicht schon zu Lebzeiten war.

Jetzt holt er einen kleinen Holzfisch hervor, der kaum länger als 20 Zentimeter ist. Der Deckel lässt sich abnehmen. Es sieht aus wie ein Spielzeugsarg. Nach diesem Modell arbeitet Eric Adjetey Anang die Fischsärge. „Einen Fisch müssen wir immer in unserem Ausstellungsraum haben“, sagt er über seine Geschäftsphilosophie, „und auch eine Kakaobohne.“ Hier an der Küste leben Fischer und Farmer, die Kakao anbauen. „Jeden Tag kann einer von ihnen sterben.“

Er will vorbereitet sein und sofort liefern können. Und die Hinterbliebenen brauchen das nötige Kleingeld. Ein Sarg kostet rund 500 Euro. Auch wenn sich die strengen Bestattungsregeln seit den 1950er Jahren gelockert haben, bleibt der Designersarg nach wie vor wohlhabenden Menschen vorbehalten.

Weder für ein Symbol der Macht noch für einen recht gewöhnlichen Fischsarg wollte sich Akosua Adoma Owusu entscheiden, für sie musste es eine Spinne sein. Aus dem Wunsch und ihrer Zeichnung ist ein schwarzer Holzkörper geworden, der auf schwarz-gelb gestreiften Beinen steht und schon für Aufsehen gesorgt hat.

Halb Mensch halb Spinne

Akosua Adoma Owusu lacht und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Mir haben schon einige Leute gesagt, dass ein Mensch, der in einer Spinne beerdigt werden soll, ein Bösewicht gewesen sein muss.“ Doch mitnichten. Denn in vielen Erzählungen aus Ghana taucht ein Spinnenmann auf. „Halb Mensch, halb Spinne. Der steht für eine Art Durchschnittsmensch.“

Die Holzkiste steht auf dem Hof in der Sonne und wirkt fast ein bisschen zu kurz, um darin jemanden zu beerdigen. Akosua Adoma Owusu steht daneben und schaut sich das Werk an. Aus der Werkstatt dringen die rhythmischen Schläge eines Hammers. In der Spinne wollte sie niemanden beerdigen lassen. Sie ließ den Sarg für 700 US-Dollar bauen, weil er Teil ihres neuen Films ist. Er erzählt die Geschichte einer jungen Ghanaerin, die in den USA lebt und für die Beerdigung ihres Vaters zurück in die Heimat kommt.

Um genügend Statisten zu haben, trommelte sie kurzerhand ihre ganze Familie zusammen. „Es war zwar schwierig, die Seite meines Vaters und die meiner Mutter zusammenzubekommen. Aber sie wussten, was sie spielen müssen. Beerdigungen gibt es hier schließlich jedes Wochenende“, sagt die Filmemacherin. In ihrem Film zeigt sie unter anderem, wie eng Tod und Leben in ihrer Heimat miteinander verbunden sind. „Bei Beerdigungen trauern die Menschen zwar. Sie weinen. Aber gleichzeitig ist es auch ein großes Fest, bei dem man feiert und sich wiedersieht.“

Ehrensache, dass ein extravaganter Sarg dazugehört. Für die Filmemacherin, die in den USA geboren wurde, heute aber wieder in Ghana lebt, symbolisiert ein solcher Sarg die Tradition ihrer Heimat. Ob diese sich ewig halten wird, weiß sie nicht. „Mein Eindruck ist, dass die Särge im Ausland mehr gefeiert werden als hier. Heute ist es nicht sehr modern, so beerdigt zu werden. Und Ghana wird immer moderner.“

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