Krise der Musikindustrie: Liebhaberlabel ohne Pop

Das kalifornische Elektronik-Label Plug Research hat ein Händchen für Talente. Nur populär machen kann es sie nicht. Was macht ein Label in Krisenzeiten?

Naytronix collagiert den Sound einer imaginären Bar. Bild: Plug Research

Gibt es eigentlich die Bezeichnung „Artist’s Label“ für kleine Plattenfirmen, die unter Künstlern, Musikern und anderen Labelmachern hochgehandelt werden, aber immer wieder daran scheitern, ihre Popentwürfe einer größeren Allgemeinheit schmackhaft zu machen? Falls ja – Plug Research aus Los Angeles wäre so ein Fall.

Seit 1994 veröffentlicht Allen Avanessian Musik, meist ist sie elektronisch, meist will sie sich einschmeicheln. Und doch, Plug Research bleibt ein sanfter Zwerg. „Wir haben keinen spezifischen Labelsound“, bekennt Allen Avanessian, Gründer und einer von zwei Betreibern von Plug Research. Das würden wahrscheinlich alle Labelchefs behaupten, weil sie panische Angst vor der Schubladisierung haben.

Im Fall von Plug Research heißt die Schublade „Indietronic“ – ein kurzlebiges Genre vom Anfang der nuller Jahre, als zartbesaitete Indiefans auf einmal die Möglichkeiten von iBooks für sich entdeckten und ihre zuckersüße Emo-Männlichkeit digital verfeinerten.

„Life is full of Possibilities“ hieß das Album, das Plug Research vor gut einem Jahrzehnt in dieses Ghetto der Feinfühligkeit bugsierte. Aufgenommen hat es Jimmy Tamborello alias Dntel. Ein paar Jahre später wird der kalifornische Künstler mit The Postal Service zum internationalen Star werden – aber auf einem anderen Label.

Vertrag locker, per Handschlag

Tamborello wird nicht der letzte Fahnenflüchtige sein: Der Multiinstrumentalist Daedalus wird vom britischen Label Big Dada bekannt gemacht, dem Techno-Produzenten John Tejada gelingt durch Veröffentlichungen auf dem Kölner Label Kompakt sein Durchbruch.

Veröffentlicht haben sie alle zuerst auf Plug Research, und diese Liste könnte endlos so weitergehen. Allen Avenassian und Plug Research sitzen derweil immer noch in einem schmucklosen Vorort von Los Angeles und schließen die Verträge mit ihren Künstlern per Handschlag ab.

Ihr Einfluss bleibt begrenzt: keine großen Werbebudgets, keine Hype-Künstler. Kein Wunder, dass selbst gut informierte Plattenhändler mit „Was, die gibt’s auch noch?“ reagieren, wenn man von neuen Werken auf Plug Research schwärmt. Aber das Label selbst hat sich vervielfältigt, Technologie ist schon lange nicht mehr treibender Faktor hinter der Soundsignatur von Plug Research.

„Es gibt definitiv einen verdrogten, psychedelischen Sound auf dem Label“, meint Allen Avenassian. Um welche Drogen es dabei geht, verrät er nicht, nur die Psychedelic kann man erahnen. Sie ist sanft und kuschelig, nicht der aufs Ganze zielende Freakout, eher das gepflegte LSD-Nehmen im Bekanntenkreis der Bescheidwisser.

Soundtrack einer wunderbaren Weltflucht

So wie auf „Dirty Glow“, das Debüt von Naytronix, einem Produzenten aus Oakland. Nate Brenner, so sein bürgerlicher Name, collagiert akustische Bassläufe, Bläsersätze und seinen flehenden Gesang zu einem Soundtrack für eine imaginäre Bar, bevölkert von Menschen wie ihm: überinformiert, detailversessen. Elektronische Musik als Suche nach der verlorenen Unschuld ist das nicht. Das unterscheidet Musiker wie Naytronix und seine Labelkollegen Sonnymoon von der ersten Generation an Bedroom-Produzenten, der Dntel angehört hat.

Hier fließt die Informationsdichte direkt ins Songwriting: Beats stolpern durch verschiedene Taktfrequenzen, der Gesang steigert sich von einer Gefühlswallung zur nächsten, bevor die Stimme ihre volle Wirkung entfalten kann. Das ist der Soundtrack zu einer wunderschönen Weltflucht, bei der der Blick immer wieder aufs Smartphone fällt. Habe ich auch nichts verpasst?

Zum großen, grenzüberschreitenden Hook fehlen sowohl Sonnymoon als auch Naytronix der Luxus der Ahnungslosigkeit, den sich heute eh niemand mehr leisten kann. Auf dem richtigen Label sind sie trotzdem. Plug Research ist Teil der zuckrig-süßen Psychedelic-Internationale, die von der US-Westküste nach Brasilien reicht. Dort sitzt der Multiinstrumentalist Domenico Lancelotti in seinem Studio.

Vor sich hat er einen Haufen Percussion-Instrumente, ein paar Synthesizer und eine um ein paar Hooks kreisende Gitarre, hinter sich eine Backingband aus verschiedenen Avant-Pop-Größen, mit denen er Tropicalia-Perlen komponiert. Damit gelingt es ihm, das traditionalistische Songwriting in ein zeitgenössisches Soundbild zu übersetzen.

Bekanntes umdefinieren

Plug Research hat sich seiner erbarmt und wird das kriminell unterschätzte Werk „Cine Prive“, das bereits auf einem kleinen brasilianischen Label erschien, für den Rest der Welt lizensieren. „Ich interessiere mich für unterschiedliche Genrehybriden, die eine Version von etwas Bekanntem umdefinieren“, erklärt Allen Avenassian. „Meistens langweile ich mich schnell, weil sich der Sound viel weiter entwickelt haben könnte.“

Diese Ansicht dürfte der Labelboss mit seinem Künstler Thavius Beck teilen. Der ehemalige Bassist ist der Stilbolide im aktuellen Line-up von Plug Research. Sein Album „The Most Beautiful Ugly“ dreht sich im Overdrive-Modus durch Rock, Chiptunes und instrumentalen HipHop im Breitwandformat. Mal zwitschert ein Vocoder-Sample, dann wieder rattert eine Drummaschine durch die Tracks. Ein Album wie ein gutes HipHop-DJ-Set, voll Vertrauen in die eigenen Skills, eklektisch und immer auf den Flow fokussiert.

Denn neben der Psychedelia hat Plug Research eine zweite Seite, die auch straight outta Compton, dem Herz des Westküsten-Oldschool-HipHop, stammen könnte. Aber nicht das Gangsta-Image steht hier im Vordergrund, sondern das Trainieren des Taktgefühls.

Der DJ und Produzent Exile macht es vor. Er steht hinter seinem MPC-Sampler und lässt die Beats puritanisch rollen. Hier ein Clap, da eine passgenaue Snare und zwischendrin immer wieder Samples über den „Patriot Act“, dieses längst vergessene Gesetz aus der Bush-Ära – eine Positionierung, die selten geworden ist im US-HipHop und die in ihrer Kompromisslosigkeit fast schon anachronistisch wirkt.

Nicht in Richtung Weltraum

Ein wenig ist Plug Research halt auch ein Label für Archäologen, für diejenigen, die sich durch Geschichte wühlen, immer auf der Suche nach neuen Querverbindungen, und dabei trotzdem genügend Sensibilität für das besitzten, was um sie herumgeschieht. Für Künstler wie Bilal und Shafiq Husayn, bei denen die psychedelische Seite des Funk mit einem fast schon puristischen Begriff von Soul tanzt und in einen Futurismus mündet, der nicht in Richtung Weltraum fliehen will.

Trotzdem – selbst wenn Plug Research Alben heute so vielfältig wie nie in der 18-jährigen Geschichte des Labels klingen, leichter geworden ist das Musikbusiness seit den Anfängen keineswegs. Wie jedes kleine Label kämpft auch Plug Research mit schwindenden Einnahmen. Der Rückgang von verkauften Tonträgern und Downloads kann durch die Lizenzeinnahmen von Streamingdiensten nicht ausgeglichen werden.

„Jede Einnahme ist wichtig für uns, selbst wenn sie nicht so hoch ist wie bei CDs oder Vinyl“, meint Avenassian. Und er erzählt weiter: „Meine Nachbarn sind nicht unbedingt progressiv, wenn es um Musik oder Kultur geht. Aber dank YouTube und Spotify kennen sie immerhin die Musik, die wir veröffentlichen.“

Music for the Masses – das ist und bleibt der Traum einer Generation von Musikern und Labelmachern, die bei Depeche Mode gesehen haben, wie sich von einem Indie-Label aus die Welt erobern lässt, ohne dabei Kompromisse eingehen zu müssen. Auch Plug Research hätten das Zeug zu so einer Erfolgsgeschichte. In einer besseren Zeit würden sie die Welt beherrschen, mittlerweile sind sie zur Nische verdammt. Sie bedauern ihr Los aber auch nicht.

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