Filmemacher über Louisiana-Film: „Wir überschätzen uns gewaltig“

„Beasts of the Southern Wild“ spielt da, wo das Land aufhört: im Süden von Louisiana. Regisseur Benh Zeitlin über Dreharbeiten während der BP-Ölkatastrophe.

Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) ist die Heldin in der Fantasy-Fabel mit Endzeitcharakter. Bild: Jess Pinkham/dapd

taz: Herr Zeitlin, welche Beziehung haben Sie zum Süden Louisianas, wo Ihr Film spielt?

Benh Zeitlin: Vor sechs Jahren zog ich nach New Orleans, und obwohl ich nicht lange bleiben, nur einen Kurzfilm drehen wollte, wurde ich süchtig, ohne genau zu wissen, wonach. Während ich versuchte herauszufinden, was das war, kam mir die Idee, eine Geschichte zu entwickeln, die dort spielt, wo die Straße endet. Wenn Sie sich eine Karte von Louisiana ansehen, sehen Sie dort, wo das Sumpfland ausfasert, eine Art Spinnennetz, und ich wollte herausfinden, was dort ist.

Und was haben Sie gefunden?

Leute, die dort ausharren, die sich weigern, wegzugehen. Ich habe mir ein Zimmer gemietet, ich hing abends an dem Kai ab, an dem die Straße aufhört und der Golf beginnt, und redete mit den Leuten. Ich entwickelte das Drehbuch aus dem, was die Leute mir erzählten, und aus den Orten, die mich inspirierten. Ich war sechs, sieben Monate dort.

Wie haben Sie sich denn vorgestellt? Als Regisseur, der für einen Film recherchiert?

Ich habe mich in die Kneipen gesetzt und abgewartet. Ein toller Aspekt des Filmemachens ist ja, dass es einem überall auf der Welt Türen öffnet. Als die Leute begriffen, dass ich nicht dort war, um sie zu studieren und zu untersuchen, sondern dass ich einfach nur an einer guten Location interessiert war, lernten wir uns kennen. Und weil der Ort klein war, wurden aus einem Freund schnell 50.

Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) ist sechs Jahre alt, ihr Vater ist sterbenskrank, ihre Mutter schon lange fort. Sie lebt in einer ärmlichen Gemeinde namens Bathtub im Süden von Louisiana, in einer Gegend, die von Hochwasser und Stürmen bedroht ist. Der junge Filmemacher Benh Zeitlin ummantelt die prekäre Ausgangslage seiner Figuren mit einer Fantasy-Fabel, in der säbelzahnbewehrte Urtiere ihr Unwesen treiben und eine zweite Sintflut ansteht. Die Inszenierung gerät bisweilen etwas bombastisch und vertraut zu sehr auf die großen Augen der jungen Hauptdarstellerin. Beim Festival von Sundance gab's für „Beasts of the Southern Wild“ den Großen Preis der Jury und in Cannes die „Caméra d'or“.

„Beasts of the Southern Wild“, Regie: Benh Zeitlin, mit Quvenzhané Wallis, Dwight Henry u. a., USA 2012, 92 Min.

Haben Sie vor oder nach der BP-Ölkatastrophe gedreht?

Währenddessen. Am ersten Drehtag explodierte die Bohrplattform. Je länger wir dort waren, umso näher kam das Öl. Eine Menge Leute aus dem Ort arbeiteten am Set, und eines Morgens bemerkte ich eine beklemmende Stille; sie hatten gerade erfahren, dass die Fischerei, von der die meisten lebten, für zehn Jahre unterbunden werden sollte. Am Ende war das Gott sei Dank doch nicht so – der Ort wäre von der Landkarte verschwunden. An dem Tag, an dem wir die Szene drehten, in der all die toten Fische auftauchen, kam das verrückte Gefühl auf, dass die Geschichte des Films Wirklichkeit würde.

Ist das die Szene, wenn man aus dem Off „und nach zwei Wochen begann alles zu sterben“ hört?

Genau, die drehten wir, nachdem wir von der Sache mit dem Fischereistopp gehört hatten. Unser Bootskapitän war im Hauptberuf Fischer, ich unterhielt mich mit ihm, transkribierte das Gespräch und ließ es in die Szene einfließen.

geboren 1982 in New York, Studium der Filmwissenschaft und der Soziologie. Seit 2006 wohnt Zeitlin in New Orleans. „Beasts of the Southern Wild“ ist sein erster langer Spielfilm, zuvor hatte er den Kurzfilm „Glory at Sea“ gedreht.

Es gibt ja einige nichtprofessionelle Schauspieler, die aus der Gegend kommen. Welches sind die Vorzüge von Laiendarstellern, welches die Nachteile?

Das Schwierigste ist, dafür zu sorgen, dass der Text erinnert wird. Professionelle Schauspieler können den Text auswendig, sie können den anderen Schauspielern in der Szene zuhören und reagieren. Das ist der große Unterschied. Sie werden merken, dass wir kaum je Szenen haben, in denen zwei Figuren gleichzeitig zu sehen sind. Man muss in kleineren Einheiten drehen, Dialogzeile für Dialogzeile, jeweils einzeln einstudiert und einzeln abgedreht.

Und die Vorzüge?

Der Film handelt ja von Dingen, die ich selbst nicht erlebt habe. Diese Dinge wurden für mich im Kontakt mit den Laiendarstellern nachvollziehbar. Sie verstanden besser als ich, wovon der Film handelte, und wir redeten dann viel darüber, wie man etwas glaubwürdig machen konnte. Der Mann, der Wink spielte, erzählte mir zum Beispiel sehr viel darüber, wie es ist, einen Sturm zu überstehen, und darüber, was es bedeutet, ein Vater zu sein, was nicht heißt, dass er sich selbst spielen würde, überhaupt nicht.

Ihre Protagonistin Hushpuppy nimmt den Betrachter sehr für sich ein, in ihrer Unberechenbarkeit und ihrer Wildheit. Zugleich ist sie ein sehr hübsches, anmutiges Kind. Hatten Sie nicht manchmal Sorge, diese kindliche Anmut zu sehr zu strapazieren?

Hushpuppys subjektive Wahrnehmung prägt den gesamten Film. In dem Alter spielen die Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit noch keine so große Rolle. Sie ist die weise Frau des Films, die Figur, die am allermeisten weiß, und das wollte ich niemals infrage stellen – zum Beispiel wenn sie glaubt, ihre Mutter zu finden. Der Zuschauer mag zwar denken, dass dieses oder jenes nur in Hushpuppys Fantasie geschieht, aber ich wollte innerhalb dieser Fantasie, innerhalb dieses Bewusstseins bleiben.

Ich hatte den Eindruck, dass Sie Leitmotive aus Märchen verwenden, etwa den Zaubertrank, der den Vater kurieren soll.

Ja, denn ich wollte etwas machen, was wie eine Volkssage ist, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Etwas wie „Huckleberry Finn“ oder „Robin Hood“. Hushpuppy sieht sich ja eingebettet in der Geschichte der gesamten Menschheit, von den Anfängen bis hin zu dem Augenblick, wo die Wissenschafter der Zukunft auf sie zurückblicken werden. Sie glaubt, dass alles, was sie tut und lässt, sich auf die ganze Welt auswirkt, so ähnlich, wie sich Wasser kräuselt, wenn man einen Stein hineinwirft. Und das auf eine sehr viszerale Weise.

Wie kamen Sie auf die Idee mit den Fabelwesen, teils Stier, Schwein und Säbelzahntiger?

Sie stammen aus dem Theaterstück, das ich zusammen mit der Autorin Lucy Alibar zum Drehbuch adaptiert habe, „Juicy and Delicious“. Darin sind sie so etwas wie die Reiter der Apokalypse. Je näher das Ende der Welt rückt, umso näher kommen die Urtiere. Im Film ist es anders. Hushpuppy nimmt sich ja als Teil der Natur wahr, als ein Tier, das Teil eines großen Systems ist. Am Anfang sieht sie in den Urtieren eine Kraft, die sie verschlingen wird: Sie ist Futter für ein anderes, für ein größeres Tier. Doch sie wächst, und sie beginnt die Zyklen des Lebens zu begreifen – und auch dass die Natur nicht nur zerstörerisch ist. Die Urtiere werden dann so etwas wie Mitgeschöpfe, die auch nur überleben wollen. Für uns war es ganz wichtig, dass es echte Tiere waren, keine Attrappen.

Was waren denn das für Tiere? Verkleidete Schweine?

Das ist ein Geheimnis, das erzähle ich niemandem.

In der jüngeren Theoriebildung gibt es Strömungen, die vom Diktat der Ratio nichts mehr wissen wollen. Da ist die Rede davon, dass die Natur eine Seele habe oder dass wir den Tieren viel näher seien, als wir bisher dachten. Können Sie damit etwas anfangen?

O ja, auf jeden Fall! Sich überlegen zu fühlen ist doch verrückt. Jedes Wesen hat seinen eigenen Mikrokosmos. Und wenn wir diesen Mikrokosmos mit seinen Gesetzmäßigkeiten, seinem Empfindungsreichtum und seinen Kommunikationsformen nicht verstehen, dann ist das unser Fehler, kein Mangel an Bewusstsein aufseiten der Tiere und der Natur. Wir überschätzen uns gewaltig.

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