Kommentar Bahnstrecke Turin-Lyon: Das Stuttgart 21 des Südens

Der von Frankreich und Italien gegen alle Widerstände beschlossene Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke von Turin nach Lyon ist so teuer wie unsinnig.

Trotz Pauken und Trompeten – der Protest gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke blieb erfolgos. Bild: reuters

Italien und Frankreich haben den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Lyon nach Turin beschlossen. Der lokale Protest gegen das Milliardengrab hat nichts geholfen, die Bauindustrie profitiert.

Extrem teuer, völlig unsinnig, dazu noch schädlich – einfach die perfekten Voraussetzungen für ein Projekt. Das jedenfalls müssen sich Italiens Premier Mario Monti und der französische Präsident François Hollande gedacht haben, als sie am Montag ihren endgültigen Segen für den Bau der Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon gaben. Wenn Deutschland sich S 21 gönnt, so die offensichtliche Logik, können wir das genauso gut.

Knapp neun Milliarden Euro, die sich aller Erfahrung nach schnell bis zum Doppelten hochschrauben werden, sollen in den Alpentälern beiderseits der Grenze versenkt werden, Umweltschäden eingeschlossen. Die neun Milliarden sind alleine für den Bau des 57 Kilometer langen „Basistunnels“ eingeplant, während die Finanzierung des großen Restes, davor und dahinter, noch gar nicht steht.

Großspurig verkündete Italiens Wirtschaftsminister Corrado Passera, schon mit diesem Tunnel allein würden pro Jahr „600.000-700.000 LKW von der Straße geholt“. Großspurige Ankündigungen begleiten die Hochgeschwindigkeitsstrecke von Anfang an. Die ersten Planungen erfolgten vor gut 20 Jahren, mit Prognosen, die die Verdoppelung des Güter- und Personenverkehrs zwischen Turin und Lyon binnen weniger Jahre vorhersagten.

Geschehen ist seither das Gegenteil: Das Verkehrsaufkommen ist drastisch eingebrochen. Macht nichts, sagten sich die Planer und hielten stur an einem Projekt fest, für dessen Bedarf es keinen Beleg gibt. Dies erkannte auch der französische Rechnungshof. In einem vor wenigen Wochen bekannt gewordenen Gutachten rechnete er der Regierung vor, die Strecke werde sich nie und nimmer rentieren.

Vor allem, weil es viel billigere Alternativen gäbe: Schon jetzt verbindet eine Eisenbahnstrecke Turin und Lyon. Man könnte sie für einen Bruchteil der für das Megaprojekt eingebuchten Kosten für den Güterverkehr fitmachen.

Unsinnige Hybridnutzung

Nur in diesem Winkel Europas soll der Güterverkehr mit einer Hochgeschwindigkeitsstrecke bewältigt werden. Diese Sorte von Hybridnutzung – ein bisschen ICE, ein bisschen Güterzüge – ist sonst nirgends in Europa vorgesehen, weil keinen vernünftigen Grund gibt, Güterzüge auf Hochgeschwindigkeitstrassen fahren zu lassen, damit sie dann eine halbe Stunde früher in Lyon sind.

Just diesen Irrsinn aber haben Frankreich und Italien jetzt endgültig aufs Gleis gesetzt. Ausgerechnet in Zeiten, in denen beide Staaten an allem angeblich Überflüssigen und an so manchem Notwendigen sparen müssen, soll dieses Milliardenprojekt schier unverzichtbar sein für „das Wachstum Europas“ (so Mario Monti am Montag). Gerade in Italien ist das Vorhaben seit Jahren von einem Konsens aller Parteien ebenso wie aller entscheidenden ökonomischen Akteure – der Banken wie der großen Bauunternehmen (und auch der „roten“ Genossenschaften im Bausektor) – getragen, die hier ein schönes Geschäft wittern.

Gegen das Hochgeschwindigkeitsprojekt entwickelte sich über die Jahre heftiger lokaler Widerstand. Doch auch er kann die Planer nicht von ihren Plänen abbringen. Im Gegenteil – es drängt sich der Eindruck auf, als werde die Idee jetzt auch deshalb durchgezogen, um den Protestierern eine Lektion zu erteilen: dass makroökonomisch unsinnige, aber dennoch für die Profiteure einträgliche Projekte auf „kleinlichen Protest“ leider keine Rücksicht nehmen können.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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