Deutscher Ethikrat zum Inzestverbot: Streit um „Volksgesundheit“

Der deutsche Ethikrat hat zum Inzestverbot getagt. Experten äußern sich überwiegend kritisch zur bestehenden Rechtslage.

Mitglieder des Deutschen Ethikrates. Bild: dapd

BERLIN epd |Bei einer öffentlichen Anhörung des Deutschen Ethikrats zum Inzestverbot haben sich Experten überwiegend kritisch zur bestehenden Rechtslage geäußert. Einvernehmliche, inzestuöse Verbindungen zwischen erwachsenen nahen Verwandten stellten kein soziales Problem dar, sagte der Freiburger Strafrechtler Hans-Jörg Albrecht am Donnerstag in Berlin. Die öffentliche Diskussion bezeichnete er als „sehr aufgeladen“.

Anlass für die Anhörung war ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom April. Der Gerichtshof gab einer Beschwerde eines Leipzigers nicht statt, der mit seiner jüngeren Schwester vier Kinder gezeugt hat. Deutsche Gerichte hatten ihn dafür zu Haftstrafen verurteilt. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte 2008 die Gefängnisstrafe bestätigt.

Ethikrat-Mitglied Michael Wunder sah vor allem die „Begründungsmuster“ des Bundesverfassungsgerichts kritisch. Zum einen sei auf die „Bewahrung der familiären Ordnung“ verwiesen worden. Es sei aber die Frage, inwiefern ein einvernehmlicher Inzest eine „zerstörende Wirkung“ habe und auf welche Familie sich der Schutzgedanke beziehe.

Besonders skeptisch sah Wunder den Begriff der „Volksgesundheit“, auf deren Schutz das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil verwies. Hier werde Menschen mit genetischen Risiken ein Zeugungsverbot auferlegt, das andere Paare nicht hätten. Bei Inzest besteht eine erhöhte Gefahr, genetische Krankheiten auf Kinder zu übertragen. Diese erhöhte Gefahr besteht bei anderen Paaren mit bestimmten Voraussetzungen auch.

Inzestverbote habe es zu jedem Zeitpunkt und in jeder Kultur gegeben, sagte die Berliner Kulturhistorikerin Claudia Jarzebowski. Insbesondere Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sowie Geschwistern seien seit dem frühen Mittelalter ein „nicht verhandelbares Verbot“. Zwar würden in der Praxis bei einer Aufhebung des Verbots die Zahl der Fälle aus ihrer Sicht nicht steigen. Gleichwohl werde eine „symbolische Grenze“ aufgehoben, was destabilisierend auf die ganze Gesellschaft wirken könne, widersprach Kulturhistorikerin Jarzebowski.

Nach Angaben des Ethikrats sind in Deutschland zehn Paare in Inzestbeziehungen mit engen Verwandten bekannt. Die Dunkelziffer liege sicherlich höher, sei aber insgesamt niedrig.

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