Familienkino aus Uruguay: Rodolfo faltet die Nachthemden

In „3/Tres“ erzählt der Regisseur Pablo Stoll Ward, wie ein Exvater sich in seine Familie zurückschiebt – dreist und stoisch.

Nicht allein: Rodolfo liebt seine Pflanzen über alles Bild: controlzfilms / Bárbara Álvarez

Wie schafft man es als Regisseur, einen Film um einen Vater, eine Mutter und eine Tochter zu stricken, der den Zuschauer bei der Stange hält, obwohl erstens die drei Protagonisten kaum miteinander reden, zweitens die Beweggründe für ihr Handeln über weite Strecken im Dunkeln liegen und drittens der Film auch noch überlang ist?

Das ist das Rätsel von Pablo Stoll Wards „3/Tres“ . Seine Lösung setzt sich zusammen aus formaler Stringenz, in ihrer Undurchsichtigkeit faszinierenden Hauptfiguren, einem Händchen für Ausstattungsdetails und einem merkwürdig leisen, ja verschwiegenen Humor.

Rodolfo, Graciela und Ana. Sie leben in Montevideo, der Hauptstadt Uruguays. Rodolfo ist ein bei seiner Freundin lebender melancholischer Zahnarzt, trotz nicht unbeträchtlicher Beleibtheit passionierter Hobbyfußballer (Die Freundin sieht man nie, ihre Existenz wird angezeigt durch triste Ansichten eines halbvollen Aschenbechers neben dem Bett).

Graciela, Rodolfos vom Leben einigermaßen grau und glatt geschmirgelte, wiewohl immer gut frisierte Exfrau, lebt zusammen mit der gemeinsamen Tochter in einer Etagenwohnung und begleitet eine Tante beim Sterben (Auch diese Tante sieht man nie).

Die Exotik von alltäglichen Ritualen

Ana, die Tochter, ist fünfzehn, hat keine Lust mehr auf Schule und Handballtraining, nur bedingt Lust, den unsubtilen sexuellen Wünschen ihres gleichaltrigen Freundes nachzukommen, und große Lust, andere Männer anzutesten. Keine besonders exotischen Mittelschichtsumstände also, die Pablo Stoll Ward, der 2004 mit „Whisky“ bekannt wurde und als Regieassistent für „Gigante“ gearbeitet hat, in oft etwas überbelichteten, grünstichigen Bildern einfängt.

Fein sind Wards Sensoren für die symbolische Anordnung von alltäglichen Gegenständen sowie die große Exotik eines menschlichen Individuums in seinen Alltagsritualen. Als Rodolfo aus seiner Fußballmannschaft und der Wohnung seiner Freundin fliegt, fängt er an, den Kontakt zu seiner alten Familie wieder herzustellen. Beziehungsweise: sich in die Leben von Ana und Graciela zurückzuschieben.

Mit einer eigenen Mischung aus hartnäckiger Fürsorge und übergriffiger Unverfrorenheit folgt er seinem unausgesprochenen Ich-bin-wieder-da-Programm: Intensiviert den Kontakt zur desinteressierten Tochter, montiert heimlich neue Armaturen im Bad, faltet Nachthemden, lässt die Wohnung renovieren.

Er ist in seinen Bemühungen gleichermaßen lächerlich, dreist und bezaubernd stoisch, und Humberto de Vargas gibt ihm dazu das manchmal unheimliche Gesicht eines dauerfreundlichen Teddys. Graciela bandelt derweil mit einem hippiehaft-spießigen Selbsthilfe-Guru an und straft Rodolfo mit totalem Desinteresse. Ana benutzt den Vater, stiehlt ihm Geld und freut sich über die Hintern der von ihm bezahlten Handwerker.

Bloß nicht alleine sein

Trotz des in ihre Privatsphäre eindringenden Egotrips von Rodolfo machen die beiden Frauen unbeirrt weiter ihr Ding. Die Kamera von Bárbara Álvarez folgt ihnen dabei, meist in flüssiger Bewegung, manchmal kontrapunktisch anhaltend, bei formvollendeten Bildausschnitten verharrend.

Im Finale feiert Rodolfo einen Triumph. Die letzte Sequenz ist eine großartig liebe- und humorvolle Illustration dessen, was Familie in ihrem banalen Kern leisten kann: nicht alleine frühstücken müssen, nicht alleine vor dem Fernseher einschlafen müssen. Dazu braucht man im Zweifelsfall keine geliebten Menschen, sondern eben Familie – das versucht „Tres“ nonchalant am Beispiel dreier Verschlossener zu beweisen.

„3/Tres“ aktuell im Kino, Regie: Pablo Stoll. Uruguay/Argentinien/Deutschland/Chile 2012, 119 Min.
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