Krieg in Syrien: Söldner im Namen Allahs

Junge internationale Mudschaheddin unterstützen die syrischen Rebellen. Die einen wollen einen islamischen Staat, die anderen Demokratie.

Soldaten der Freien Syrischen Armee und Mudschaheddin kämpfen in Aleppo gemeinsam gegen Assads Truppen. Bild: dapd

ALEPPO taz | Die Mörsergranate ist zwei Meter von dem Auto entfernt eingeschlagen. Abu Abed war sofort tot, jetzt liegt sein Leichnam auf einer Bahre in der Fatima-Aqila-Moschee, gehüllt in ein weißes, blutbeflecktes Laken. Sein Freund Abu Zeid küsst ihn auf die gelb angelaufene Stirn, ein letzter Gruß.

Abu Moaz steht etwas abseits, gerade hat er auf sein Handy das neue Hintergrundbild geladen: das letzte Foto, das er von Abu Abed gemacht hat, am Tag bevor sie nach Aleppo aufgebrochen waren: Abu Abed lächelt, er hat seine beiden kleinen Töchter auf dem Arm.

Ich hatte Abu Abed am Vorabend kennengelernt, im Zarzur-Krankenhaus, gemeinsam mit Abu Moaz und Abu Zeid. Nachdem sie ihre Gewehre am Klinikeingang abgestellt hatten, hatten sie, mitgerissen von der sonoren Stimme Abu Zeids, die Ärzte und Pfleger eine gute halbe Stunde lang mit Kampfliedern unterhalten. Lieder, die die Jungen ermutigen sollen, zu den Waffen zu greifen, sich von ihren Liebsten zu verabschieden und für die Gerechtigkeit zu kämpfen, voll Gottvertrauen und ohne Furcht vor dem Tod.

Am letzten Tag der vereinbarten Waffenruhe haben Piloten der syrische Luftwaffe nach Angaben von Aktivisten 34 Angriffe gegen Vororte von Damaskus geflogen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London handelte es sich um die bisher schwersten Luftangriffe überhaupt. Über Opfer lagen zunächst keine Angaben vor. Bei einem Autobombenanschlag in Damaskus kamen nach Regierungsangaben mindestens 10 Personen ums Leben, 41 weitere wurden verletzt. Aus mehreren Teilen des Landes wurden Kämpfe gemeldet.

Seit Beginn der gescheiterten Feuerpause am Freitag kamen täglich über 100 Menschen ums Leben. Das sind genauso viele wie in den Wochen zuvor. Seit Beginn der Protestbewegungen gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad vor 19 Monaten wurden 35.000 Menschen getötet.

Der Syrien-Sonderbeauftragte Lakhdar Brahimi erklärte, er werde sich durch die anhaltende Gewalt in Syrien nicht entmutigen lassen. „Wir sind der Meinung, dass dieser Bürgerkrieg enden muss“, sagte Brahimi nach einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow in Moskau. Notwendig sei nun die Unterstützung von Russland und anderen Mitgliedern im Sicherheitsrat. Brahimi wollte anschließend nach Peking weiterreisen. „Wir werden alles nur Mögliche unternehmen und sind bereit, mit allen Akteuren im In- und Ausland zu kooperieren, um der Gewalt ein Ende zu setzen“, fügte der algerische Diplomat hinzu, der die Waffenruhe vermittelt hatte.

Bereits im April hatte es eine Feuerpause gegeben, die von dem damaligen Sonderbeauftragten Kofi Anan vermittelt worden war. Nachdem die Angriffe und Gefechte etwas abgeflaut waren, brachen die Kämpfe nach zwei Tagen wieder in vollem Umfang aus. Sie nahmen sogar noch an Intensität zu, die in den folgenden Wochen und Monaten unvermindert anhielt. Daher befürchten Aktivisten heute, dass das Regime nach dem Ende der „Waffenruhe“ umso brutaler reagieren wird und sich die Spirale der Gewalt weiterdrehen wird.

„Denn wer auf dem Weg des Herrn stirbt, hatte Abu Abed gesagt, lebt ewig.“ Das ist es, was diese Jungs Dschihad nennen, was Hunderte junge Männer weltweit antreibt, alles hinter sich zu lassen, um sich als islamische Kämpfer, als Mudschaheddin, der syrischen Revolution anzuschließen. Junge Männer wie Abu Zeid und Abu Moaz.

Ausländische Mudschaheddin

Denn Abu Zeid, „der Sänger“, ist nicht Syrer, sondern Tunesier. „Ich kam vor einem Monat hier an“, erzählt er. „Die nötigen Kontakte hatte ich dank einer salafitischen Gruppe. Das belgische Hochpräzisionsgewehr, mit dem ich als Scharfschütze kämpfe, habe ich aus eigener Tasche bezahlt.“ Abu Moaz dagegen ist Ägypter: „Bevor ich nach Syrien aufbrach, war ich Professor für islamische Geschichte an der Al-Azhar-Universität in Kairo“. Beide sind etwa 30 Jahre alt, genauso wie Abu Abed, der einzige Syrer unter ihnen, er war vor der Revolution Imam in einer Moschee in Aleppo.

Was Abu Zeid, Abu Moaz und Abu Abed eint, ist die Fahne, unter der sie kämpfen: die schwarze Fahne des Dschihad. Die gleiche Fahne, die seit einem Monat über der Schule von Sukkari weht. Die Schule ist der Sitz einer der wichtigsten islamistischen Brigaden in Aleppo, der Brigade Ahrar al-Scham, „Die Freien Syriens“. Auf dem schwarzen Tuch steht in Arabisch: „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet.“

Über die Jahre hinweg diente jene schwarze Fahne einer Vielzahl islamistischer Terrorgruppen. Im heutigen Syrien dagegen wurde sie zum Symbol des islamistischen Internationalismus; in der Schule von Sukkari haben Kämpfer aus den verschiedensten Ländern ihre Basis: Libyer, Saudis, Tschetschenen, Tunesier, Afghanen und auch Europäer.

Internationale Kriegsveteranen

Sie tragen lange Bärte, schwarze Turbane, Armeehosen in Tarnfarben, die Kalaschnikows über der Schulter. Einige Kriegsveteranen sind unter ihnen, zum Beispiel die Tschetschenen, die Libyer, die Afghanen. Andere dagegen sind erst 20 Jahre alt und ziehen, erfüllt von hohen Idealen der Solidarität, zum ersten Mal in den Krieg, um eine Gemeinschaft – die der Muslime – zu verteidigen, zu der sie sich über alle Grenzen hinweg zugehörig fühlen. Im Tausch werden sie nichts erhalten. Im Gegenteil: Der Großteil von ihnen wird im Kampf sterben.

Ein vor Kurzem vorgelegter Report des Swedish Institute for International Affairs schätzt die Zahl der internationalen Kämpfer in Syrien auf 800 bis 1.200, das entspricht etwa 5 Prozent der Kämpfer der Freien Syrischen Armee. Die beiden wichtigsten dschihadistischen Brigaden, die die internationalen Kämpfer in ihren Reihen aufnehmen, sind die Jabhat al-Nusra und die Ahrar al-Scham. Jabhat al-Nusra ist die kleinere von beiden. Sie ist die einzige der syrischen Dschihadistengruppen, die ihre Erklärungen im Internet veröffentlicht und die al-Qaida nahesteht.

Die Brigade Ahrar al-Scham ist eine der wichtigsten Kräfte nicht nur der Mudschaheddin, sondern auch im Verhältnis zu den bewaffneten Gruppen, die sich als Teil der Freien Syrischen Armee begreifen. Ihrer Facebook-Seite folgen 2.000 Personen, jeden Tag werden dort Nachrichten und Videos von den Kämpfen oder Lobpreisungen der Märtyrer gepostet.

Jetzt, wo die Kämpfe die Berichterstattung dominieren, sind die Mudschaheddin in Syrien willkommen. Auf Dauer jedoch droht die Präsenz von radikalislamistischen Milizen ein ernstes Problem zu werden. Davon sind die jungen Syrer der Al-Faruk-Brigade der Freien Syrischen Armee überzeugt.

Nationale Interessen

Ammar ist einer von ihnen. Der 25-Jährige war vor dem Krieg Maurer. Er betrachtet sich als praktizierender Muslim, doch er lehnt jedwede Form des Extremismus ab. „Die Syrer teilen das Denken der Mudschaheddin nicht. Das hier ist ein Befreiungskrieg. Wir wollen keinen islamischen Staat, wir wollen die Demokratie. Das sollten die Mudschaheddin so schnell wie möglich begreifen, andernfalls werden sie das gleiche Ende nehmen wie Absi.“

Der britische Staatsbürger Mohamed Shami El Absi führte die „Mudschaheddin Shura“ an, ein Bataillon mit etwa 50 internationalen Kämpfern, vor allem Briten mit asiatischen Wurzeln, aber auch Kanadier und Australier. Absis Bataillon hatte im Juni 2012 bei der Befreiung von Bab al-Hawa, mitgekämpft, einem Ort an der Grenze zur Türkei, nördlich von Idlib. Gleich darauf jedoch hatten die Probleme mit der örtlichen Brigade der Freien Syrischen Armee begonnen.

Zuerst wollten die Mudschaheddin die schwarze Al-Qaida-Fahne hissen und ein islamisches Emirat ausrufen“, erzählt Mohammed, ein alter syrischer Seemann, der in der Faruk-Brigade Dienst tut. „Dann entführten sie zwei Journalisten. Da mussten wir etwas unternehmen – und wir griffen sie an.“

Das war Ende August. Der Konflikt endete damit, dass Absi und vier seiner Männer getötet wurden und die Rolle seiner Brigade drastisch begrenzt wurde.

Doch trotz solcher Episoden besteht das Risiko, dass die Mudschaheddin in Syrien ihren Einfluss ausdehnen. Dank der militärischen Erfahrung und der ihnen zufließenden Gelder gelingt es ihnen, ihr Gewicht gegenüber der Freien Syrischen Armee zu erhöhen – in einer Armee, der ihrerseits Geld und Munition ausgehen.

Übersetzung aus dem Italienischen: Michael Braun

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