Charité sucht nach Ursachen: Aktenzeichen Keim-Krimi ungelöst

Nach dem Tod eines Säuglings in der Berliner Charité ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung. Ein weiteres Baby ist inzwischen außer Lebensgefahr.

Zur Zeit keine neuen Aufnahmen: Frühgeborenenstation der Charité. Bild: dpa

BERLIN taz | Nach dem Tod eines Frühchens in der Berliner Charité ist ein weiteres Baby, das sich ebenfalls mit dem Darmbakterium Serratia marcescens infiziert hat, außer Lebensgefahr. Dem Säugling gehe es besser, sagte der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) am Montag.

Seine Informationen beruhten auf Angaben der behandelnden Ärzte. Die Charité selbst mochte bis Redaktionsschluss keine Angaben machen, weder zu den Krankheitsverläufen sechs weiterer infizierter Babys noch zu etwaigen Behandlungserfolgen. Unklar blieb auch der Stand ihrer bisherigen Untersuchungen nach dem weiterhin unbekannten Infektionsherd.

Unterdessen teilte die Berliner Staatsanwaltschaft am Montag mit, dass sie nach dem am Wochenende bekannt gewordenen Todesfall des Frühchens wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Die Ermittlungen richteten sich gegen unbekannt und stünden noch ganz am Anfang. Zu klären sei, wie die Serratien-Keime in die Klinik gelangten und ob daraus strafrechtliche Vorwürfe entstehen könnten.

In deutschen Kliniken sind in den vergangenen Jahren mehrfach Babys gestorben, wobei eine Infektion mit Keimen als Todesursache angenommen wurde.

Februar 2012: Nach der Wiedereröffnung der Frühchenstation des Klinikums Bremen-Mitte werden erneut Darmkeime bei Babys nachgewiesen. Zwei Frühchen sterben an Blutvergiftung.

August/Oktober 2011: Insgesamt drei frühgeborene Babys sterben im Klinikum Bremen-Mitte vermutlich an einem multiresistenten Darmkeim.

Januar 2010: Zwei Frühchen sterben in einem Hamburger Krankenhaus durch einen Keim, ähnlich dem im Bremer Klinikum.

September 2011: In einer Siegener Kinderklinik sterben drei Frühgeborene innerhalb von zwei Tagen. Todesursache ist Multiorganversagen.

August 2010: In der Mainzer Universitätsklinik sterben drei Säuglinge. Die Ermittlungen ergeben, dass zwei von ihnen durch eine verseuchte Nährlösung ums Leben gekommen sind. Das dritte Kind erlag schweren Vorerkrankungen. (dpa)

Der frühgeborene Säugling war auf einer Frühchenstation am Campus Virchow-Klinikum nach dem Befall mit dem Darmbakterium im Oktober gestorben. Das Baby war zunächst mit einem Herzfehler im Virchow-Klinikum zur Welt gekommen und dann für eine Operation ins benachbarte Deutsche Herzzentrum verlegt worden. Dort starb es fünf Tage nach der Operation an einer Blutvergiftung.

Arbeitsgruppe zur Ursachensuche

Nach Charité-Angaben war das Kind fünf Tage vor der Verlegung noch negativ auf den Keim getestet worden, später wurden die Bakterien dann aber doch nachgewiesen. Wie und durch wen das Baby infiziert wurde, ist unklar.

Unter Leitung des Gesundheitsamts in Berlin-Mitte wurde daraufhin am Montag in der Charité eine Arbeitsgruppe zur Suche nach der Ursache gebildet. Das Team, das sich nach Redaktionsschluss erstmals treffen wollte, soll zudem die Lage auf den Frühgeborenenstationen analysieren und über weitere Hygienemaßnahmen beraten.

Der Gruppe gehören Vertreter der Charité, des Robert-Koch-Instituts, des Landesamts für Gesundheit und Soziales und der Senatsverwaltung für Gesundheit an. Bislang ist völlig unklar, wer den Keim in die Klinik schleppte und wie er sich dort offenbar über Wochen ungehindert ausbreiten konnte. Als mögliche Übertragungswege gelten die üblichen Verdächtigen: mangelhaft desinfizierte Geräte und nach dem Toilettengang ungewaschene Hände.

Keine multiresistenten Keime

Nach Angaben der Charité sind derzeit insgesamt sieben Babys an der Serratien-Infektion erkrankt. Bei weiteren 16 Patienten wurde der Keim positiv nachgewiesen, ohne allerdings eine Erkrankung auszulösen. Die Infektionen wurden bislang nur am Standort Campus Virchow nachgewiesen; die Frühchenstationen am Campus Charité Mitte seien, so die Charité, nicht betroffen.

Serratien sind Bakterien, die bei vielen Menschen zur Darmflora gehören, ohne dass deswegen jemand erkrankt. Sie gelten zudem als weitaus weniger gefährlich als etwa die multiresistenten Keime, gegen die es kein Antibiotikum gibt und an denen zuletzt im Bremer Klinikum Mitte drei Frühchen gestorben sind. Bei extrem früh Geborenen oder Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr können die Serratien-Keime jedoch schwere Infektionen hervorrufen.

Gerade Kinder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.500 Gramm sind gefährdet: Sowohl ihre Lungen als auch ihr Darm sind noch nicht ausgereift und somit für Infektionen aller Art anfällig. Jährlich kommen in Deutschland etwa 8.000 Kinder mit weniger als 1.500 Gramm zur Welt. Die Lebensfähigkeit von Frühgeborenen beginnt in der 23. Schwangerschaftswoche bei einem Geburtsgewicht von etwa 500 Gramm. Allerdings liegen die Überlebenschancen zu diesem Zeitpunkt bei nur 50 Prozent. In der 28. Woche liegen sie bereits bei über 90 Prozent.

Aufnahmestopp zur Vorbeugung

Als „vorbeugende Maßnahme“ hat die Charité einen Aufnahmestopp für zwei ihrer fünf Frühchenstationen verhängt. So soll verhindert werden, dass sich noch weitere Patienten infizierten, solange die Erregerquelle nicht gefunden wurde.

Seit dem Ausbruch am 8. Oktober, über den das Klinikum die Öffentlichkeit erstmals am 20. Oktober unterrichtete, seien überdies alle Patienten auf den entsprechenden Stationen auf den Erreger untersucht worden, so die Charité. Zudem seien die Patienten auf zwei – räumlich getrennte – Stationen aufgeteilt worden. Das Pflegepersonal, das sich um die Infizierten kümmere, habe keinen Zugang zu den Nichtinfizierten.

Ob ein erster Serratien-Fall in der Charité von Anfang Juli 2012 mit den jetzigen Infektionen zusammenhängt, muss noch geprüft werden. Damals hatte wahrscheinlich eine Mutter das Bakterium an ihr Neugeborenes weitergegeben.

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