Renate Künast zur Grünen-Urwahl: „Rot-Grün oder Schwarz-Rot“

Ihre Partei wird sich weder an einer Ampel noch an Schwarz-Grün beteiligen, sagt Renate Künast. Und Autos möchte sie auch nicht reparieren.

Schon die Urwahl ist kein Blümchen pflücken, die Bundestagswahl wird es erst recht nicht. Bild: dapd

taz: Frau Künast, Sie reisen gerade mit 14 anderen Grünen-Spitzenkandidaten in spe durch die Republik, um bei der Basis für sich zu werben. Fragen Sie sich manchmal, was mache ich hier eigentlich?

Renate Künast: Nö. Auch wenn es anstrengend ist, zwei Stunden unter Beobachtung auf einem Barhocker zu sitzen: Es überwiegt die Freude an der Sache.

Worauf genau freuen Sie sich dabei?

Die Foren sind spannend. Die Mitglieder finden es klasse, dass sie mit bestimmen können. Unsere Entscheidung für die Urwahl hat auch mit Mut zu tun. Die Piraten reden darüber, wir machen es.

Und kein Mitglied fühlt sich veräppelt?

Warum? Mitbestimmen ist ein hohes Gut bei uns Grünen.

Die 56-Jährige ist Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion.

Sie will eine von zwei SpitzenkandidatInnen ihrer Partei bei der Bundestagswahlkampf 2013 sein. Beworben haben sich auch Claudia Roth, Karin Göring-Eckardt, Jürgen Trittin und elf weniger bekannte Männer von der Basis. Die Entscheidung fällen die Parteimitglieder bis Ende Oktober in einer Urwahl.

Künast wollte 2011 als Spitzenkandidatin ihrer Partei Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Das Ziel verfehlte sie deutlich.

Weil wir im 21. Jahrhundert ernsthafte Probleme haben und Politiker brauchen, die ihren Job können. Und keine Partizipationsillusion.

Mitglieder, die Ihre Sicht teilen, können sich ja für zwei Profis entscheiden. Andere bevorzugen vielleicht Basisvertreter. Entscheidend ist, dass wir in einer wichtigen Frage ein breites Angebot an unsere Mitglieder machen.

Wir würden unser Auto auch nicht von Ihnen reparieren lassen.

Ich würde Ihr Auto auch nicht reparieren wollen.

Eben.

Unsere Regeln gelten für alle Mitglieder. Jede und jeder darf mitmachen.

Neben den Prominenten stehen elf völlig Unbekannte zur Wahl. Alle sind Männer. Führt Testosteron zu Selbstüberschätzung?

Ich besuche gerade viele DAX-Konzerne wegen der Frauenquote. Oft höre ich, dass Frauen in ihrem Bewerbungsgespräch für eine bessere Stelle sagen, ich muss mir diese oder jene Fähigkeit noch aneignen. Während die Männer sagen: Das kann ich. Männer ticken da sportlicher.

Die letzten Wahlkämpfe wurden mit einem Spitzenkandidaten gewonnen – Robert Habeck in Schleswig-Holstein, Sylvia Löhrmann in NRW. Warum lernen die Grünen nicht daraus?

Manchmal bietet sich aus Sicht aller eine Person an, manchmal nicht. Die Konstellation im Bund ist eine andere als in den Ländern. Und sollen wir bei der wichtigsten Wahl ohne eine Frau in der ersten Reihe antreten?

Warum nicht?

Weil wir es mit der Gleichberechtigung ernst meinen. Und ganz nebenbei: Uns wählen mehr Frauen als Männer. In NRW zum Beispiel 13 Prozent der Frauen und 11 Prozent der Männer.

Worum geht es bei der Urwahl, wenn nicht um Machtfragen?

Es geht darum in welcher Konstellation die grünen Mitglieder sich vorstellen können, sichtbar, glaubwürdig und erfolgreich zu sein.

Was sind Ihre Qualitäten?

Ich bin geradeheraus. Mich kann man in Stürme stellen, und ich bleibe stehen. Ich habe den Atem für langwierige, anstrengende Prozesse.

Künast, die Steherin.

Der Wahlkampf wird nicht lustig. Union und FDP haben Angst vor dem Machtverlust. Sie sehen doch, wie Schwarz-Gelb die Nebeneinkünfte instrumentalisiert, um Steinbrück zu beschädigen.

Für welche Inhalte stehen Sie?

Zwei Schwerpunkte: Das Land muss gerechter werden, jeder soll teilhaben können, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir anders wirtschaften und damit unsere Lebensgrundlagen erhalten.

Ah. Und das unterscheidet Sie von den anderen Kandidaten?

Ich werbe etwa seit Jahren dafür, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Und ich traue mich, auch unbequeme Forderungen zu stellen. Ich provoziere auch mal, um ein Thema zu setzen. Nehmen Sie die ökologische Agrarwende. Mit ihr haben wir gegen massiven Lobbywiderstand einer grünen Idee zum Durchbruch verholfen. Das ist mein Gesellenstück.

Claudia Roth bedient das grüne Gewissen, das Dagegensein. Katrin Göring-Eckardt bezeichnet die Grünen als Dafürpartei. Sind Sie dagegen oder dafür?

Putzige Frage.

Ja?

Die Grünen sind gegen das Falsche, wie Atomkraft, immer gepaart mit einer starken Vision für etwas, wie 100 Prozent erneuerbaren Strom 2030. Dagegenpartei ist doch nur ein Kampfbegriff der anderen gegen uns. Ich leite meine Kerninhalte aus klaren Wertvorstellungen ab, wie die vollständige Gleichberechtigung von Frauen. Und ich verstehe die Grünen als Partei der linken Mitte. Dieses Angebot geht weit über 10 Prozent hinaus.

Sind die Grünen in Baden-Württemberg für Ihre Partei das, was die CSU für die CDU ist? Ein etwas anderer Landesverband, aber viel wichtiger?

Die Wahl in Baden-Württemberg war kein singuläres Ereignis. Die Grünen wachsen ja überall. Aber neben den Faktoren Kretschmann, Stuttgart 21 und Fukushima haben sich die Grünen dort bemüht, der gesellschaftlichen Mitte zu zeigen, dass sie für ihre Interessen Politik machen. Sie haben die Alltagsfragen der Menschen ernst genommen und auch dem Mittelstand Angebote gemacht.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat im Wahlkampf die Machtfrage nicht gestellt, Sie haben das in Berlin gemacht. War das ein Fehler?

Nein. Berlin lief anders als Baden-Württemberg. Kretschmann kämpfte gegen eine CDU, die das Land im Zangengriff hatte. Wir konnten nicht sagen, wir wollen die Stärksten werden, und gleichzeitig so tun, als würden wir nicht die Frage der Hegemonie im linken Lager stellen.

Was war Ihr größter Fehler als Spitzenkandidatin?

Der größte Fehler war, nicht einfach zu sagen: Ich bin, wie ich bin. Geradeheraus, ehrlich, engagiert.

Das war der größte Fehler?

Ja, ich bin auf Plakaten und in der öffentlichen Darstellung zu sehr auf die herkömmliche Erwartung an die Bürgermeisterrolle eingegangen. Statt zu sagen: Ich werde das Amt ausfüllen, wie ich es eben ausfülle.

Wo war der Widerspruch zwischen Ihnen und Ihrer Darstellung?

Wenn ich auf sämtlichen Plakaten einen dunkelblauen Hosenanzug trage, kommt nicht unbedingt heraus, dass ich Dinge anpacke. Auch wenn ich diese Hosenanzüge besitze. Dabei ging Authentizität verloren.

Hosenanzüge? Mit analytischer Selbstkritik haben Sie es offenbar nicht so.

Ich habe mich bei unserem Landesausschuss in einer längeren Rede mit einer Reihe von Ursachen für das Wahlergebnis, auch mit unseren und meinen Fehlern und Schwächen, auseinandergesetzt. Ebenso bei diversen internen Treffen. Das sind die richtigen Orte dafür. Mir geht es darum, künftig ein paar Dinge besser zu machen. Mehrstündige, öffentliche Vorträge zur Fehleranalyse helfen da wenig.

Auf Ihr Versprechen, die Dinge anzupacken, haben die Berliner zwei mögliche Antworten gegeben: Wir wollen nicht, dass die Grünen es anpacken. Oder: Wir wollen nicht, dass Künast es anpackt. Wie sehen Sie das?

Die Frage, ob diese Stadt Veränderung will oder nicht, ist ja noch nicht beantwortet.

Aber dass sie sie zumindest nicht von Renate Künast will, das ist beantwortet.

Es kann genauso gut sein, dass die Wahl keine Entscheidung über meine Person war, sondern das Gefühl ausdrückte: So, wie es jetzt ist, ist es in Ordnung.

Nachdem Ihr Machtanspruch und die Neupositionierung der Grünen abgelehnt wurde, sind Sie jetzt wieder Mehrheitsbeschafferin der SPD.

Nein. Die Situation hat sich verändert, ebenso das Verhältnis von Grünen und SPD. Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen über den Umgang eines Kanzlers Steinbrück mit den Grünen. Auch wenn ich 1,64 Meter groß bin und er 1,80 Meter, sind wir auf Augenhöhe. Weil wir anders im Geschäft sind als vor zehn Jahren.

Was heißt das?

Damals gingen Gerhard Schröder und Joschka Fischer mit einem Rotwein in ein Zimmer, kamen irgendwann raus und erzählten uns, wie toll der Wein war und was sie beschlossen hatten.

Das würden Steinbrück und Trittin nicht tun?

Beide Parteien würden sich solche Verfahren nicht bieten lassen. Auch das Kräfteverhältnis untereinander hat sich geändert. Kretschmann sitzt jetzt die ganze Legislaturperiode lang als Ministerpräsident im Bundesrat. Das ist ein politischer Dauertatbestand, der Dinge ändert.

Können Sie sich eigentlich Claudia Roth neben Steinbrück am Kabinettstisch vorstellen?

Soll ich jetzt das Spiel spielen: Wer sitzt mit wem am Kabinettstisch?

Es geht um die zwischenmenschliche Psychologie.

Grün und Rot, das würde funktionieren. Schon allein, weil die SPD sich auch verändert hat und sich eine Basta-Politik intern nicht mehr bieten lässt.

Wenn es für Rot-Grün nicht reicht, ist Steinbrück auf die FDP angewiesen. Schließen Sie die Ampel aus?

Es geht darum, für das zu kämpfen, was man wirklich will: Rot-Grün.

Sie schließen die Ampel aus?

Die Grünen werden sich im Bund 2013 weder an einer Ampel noch an Schwarz-Grün beteiligen. Rot-Grün oder Schwarz-Rot: Nur die beiden Möglichkeiten gibt es. Wir wollen die neoliberale Politik von Merkels Regierung beenden.

Für Sie persönlich kann doch nur noch Regieren interessant sein?

Machen Sie sich mal keine Gedanken über mich persönlich.

Berufskrankheit.

Aha. Regieren ist immer noch schöner als Opposition. Aber so weit sind wir noch nicht. Ich will jetzt erst einmal meinen Teil beim Kampf für eine rot-grüne Mehrheit beitragen.

Wann haben Sie sich entschieden, noch mal für die Spitzenkandidatur anzutreten?

Wissen Sie was? Ich habe mich in dem Augenblick entschieden, in dem ich auch entschied, den Zeitpunkt eines Tages in meine Autobiografie zu schreiben. Das ist aber keine Zusage, dass ich sie wirklich schreibe.

Sie wollen es nicht sagen?

Nein.

Einige Ihrer Parteifreunde haben Sie intern heftigst gemobbt. Was da ablief, hätte andere fertiggemacht.

Richtig ist: Ich habe mit mir gerungen, und auch innerhalb der Partei gab es einiges aufzuarbeiten. Zwar 4,5 Prozent gewonnen, aber letztlich verloren. Die Aufarbeitung nach so einer Wahl braucht immer Zeit. Die erste Phase ist emotional. Da muss man für sich selber durch, und man ist es seiner Partei auch schuldig, das auszuhalten. Damit man in die nächste Phase kommt, in der es wieder konstruktiv wird. Erst dann kam für mich die Überlegung dran, wieder zu kandidieren.

Haben Sie das Stellen der Machtfrage in Berlin denn nun als positiv verbucht oder nicht?

Sagen wir es so: Man kommt im Leben nicht drum herum, auch mal richtig anstrengende Dinge zu tun.

Ein Feigling sind Sie jedenfalls nicht.

Das wäre ja noch schöner.

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