Protest in Pankow: "Ich lasse mich raustragen"

Seit 100 Tagen halten SeniorInnen ihre Freizeitstätte in der Stillen Straße in Pankow besetzt. Die 76-jährige Ingrid Pilz über ihre Erfolge und Enttäuschungen.

Protestutensilien vor Rüschengardinen: Die Stille Straße in Pankow. Bild: dapd

Am morgigen Sonnabend dauert die Besetzung der Seniorenbegegnungsstätte Stille Straße in Pankow bereits 100 Tage. Die BesetzerInnen, meist Damen über 70, haben damit den Verkauf des Gebäudes vorerst verhindert. Die Volkssolidarität will es als Träger übernehmen, fordert aber finanzielle Zugeständnisse des Bezirks. Dieser lehnt dies kategorisch ab.

Mit Nachbarn, Unterstützern und Initiativen wird das erfolgreiche Ausharren am Sonnabend ab 13 Uhr gefeiert. (taz)

taz: Frau Pilz, haben Sie, als Sie jung waren, schon mal ein Haus besetzt?

Ingrid Pilz (lacht): Nein, das ist meine erste Besetzung. Wir haben uns da ein wenig blauäugig hineingestürzt. Keiner von uns hat mit so einem großen Medienrummel gerechnet oder damit, dass sich so viele mit uns solidarisieren. Seit dem Anfang der Besetzung waren mehr als tausend Menschen aus ganz Deutschland hier.

Haben Sie sich dadurch in Ihrem Vorhaben bestärkt gefühlt?

Natürlich. Viele haben uns nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten geholfen und uns etwa Essen gebracht. Eine Sängerin aus Potsdam hat ein Lied für uns komponiert; wir haben einen Anwalt, der uns unterstützt, und einen Arzt, der einmal pro Woche vorbeikommt. Einige haben auch Geld gespendet, von dem wir die wieder angeschaltete Heizung bezahlen können.

Die läuft seit Ende September wieder?

Ja. Der Bezirk hatte sie abgestellt, jetzt ist sie – auf einen Monat befristet – wieder an, auf unsere Kosten. Wir hatten auch lange kein warmes Wasser. Von den sechs Leuten, die hier übernachten, waren vier erkältet.

Wer waren die ersten BesucherInnen, die vorbeikamen?

Zwei junge Burschen um die 16. Sie haben einen selbst gebackenen Kuchen mitgebracht, auf dem mit gefärbtem Zuckerguss stand: „Wir bleiben alle – in Pankow und überall“. Das war sehr rührend. Es hat uns allen leidgetan, das wir den Kuchen zerschneiden mussten.

Sind überwiegend junge Menschen gekommen?

Die meisten BesucherInnen waren tatsächlich junge Menschen. Vielleicht war da auch ein wenig Neugier dabei: Eine Besetzerszene kennt man ja meist aus ganz anderen Kreisen. Aber es kamen Menschen jeden Alters. Es waren auch ehemalige Hausbesetzer bei uns, die in die Jahre gekommen sind und nun in unserem Alter sind. Sie haben sich darüber gewundert, wie gut wir organisiert sind. Dass jeder bei uns seinen Teil zu tun hat entsprechend seinen Neigungen und Fähigkeiten.

Gab es in den letzten drei Monaten Momente, in denen Sie dachten, jetzt hören wir auf?

Hätten wir keine Besetzung gemacht, dann wäre das Haus jetzt geschlossen. Erst dadurch war das Bezirksamt gezwungen, etwas zu unternehmen. Ich sehe einfach die Notwendigkeit unserer Aktion: Man glaubt gar nicht, wie viele Menschen im Alter vereinsamen. Die Gemeinsamkeit der SeniorInnen in unserer Begegnungsstätte ist sehr wichtig.

Waren Sie zwischendurch nie erschöpft?

Doch, natürlich. Wir stehen jeden Tag gegen sieben, halb acht Uhr auf. Am Anfang kamen bis halb zehn Uhr abends BesucherInnen. Das ist sehr anstrengend für Leute in unserem Alter. Ich selbst bin 76, natürlich ist das alles ein wenig aufreibend für mich. Mittlerweile haben wir die Besuchszeit auf 17 Uhr begrenzt. Außerdem sind wir nicht mehr rund um die Uhr hier: Jeder geht für einen Tag in der Woche nach Hause, und jemand von den Projektgruppen kommt als Ersatz.

Wie war die Stimmung, als am 20. September im Bezirksparlament Pankow Verhandlungen mit der Volkssolidarität, die das Haus übernehmen will, auf Mitte Oktober vertagt wurden?

Es war große Wut da. Einige von uns haben geweint und befürchtet, dass es nicht klappen wird. Aber wir werden das Haus nicht freiwillig räumen.

Hatten Sie oft Angst vor einer Räumung?

Nein, ich nicht. Wenn das eintritt, setze ich mich auf den Fußboden ohne eine Regung und lasse mich raustragen von der Polizei. Aber am Anfang gab es einige, die Angst hatten. Wir haben leere Flaschen auf die Türklinken gelegt, damit diese, wenn jemand die Tür öffnet, auf den Boden fallen.

Ist die Besetzung für Sie bisher erfolgreich?

Bis jetzt ja, das Haus ist ja noch offen. Außerdem wird nicht mehr darüber gesprochen, die Begegnungsstätte dem Liegenschaftsfonds zu übergeben und somit zum Verkauf auszuschreiben. Es wurde zugestimmt, dass ein freier Träger das Haus übernimmt.

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