DIE WAHRHEIT: Ein toller Käfer

Im Jahr des Drachen: Neulich war Angela Merkel schon wieder in China.

Neulich war Angela Merkel schon wieder in China. Vielleicht war ich der Grund dafür, hatte ich doch anlässlich ihrer letzten Visite im Februar hier geschrieben, sie möge sofort nach Peking zurückkommen, um mich in einem Café in der Altstadt wegen einer Geldübergabe (60 Euro) zu kontaktieren. Kurz vor dem Besuch der alten Dame bekam ich jedoch Angst um mein schönes Geld und floh Hals über Kopf aus der Hauptstadt.

Statt meiner verkündete dann „der wichtigste Künstler der Welt“ (stern.de), Ai Weiwei, die Kanzlerin unbedingt treffen zu wollen. Zur Übermittlung dieses Wunsches wählte er die deutsche Bild-Zeitung: „Ich respektiere Angela Merkel sehr,“ sagte Ai diesem exklusiven Sprachrohr für Avantgardekunst, „daher würde ich sie gern treffen. Ich weiß, dass sie großen Rückhalt genießt.“

Aber auch aus diesem Date wurde nichts. „Chinas Staatsfeind Nr. 1“ (Bild) liefert zwar immer wieder schönen Stoff für aufregende Artikel in der deutschen Presse, stört aber ansonsten die deutsch-chinesischen Geschäftsbeziehungen. Sicher: Er versteht sehr gut, wie man aus Kunst Millionen macht, aber nicht so genau, wie Kapitalismus funktioniert.

Ich wüsste allerdings schon gern, was der „Märtyrer-Künstler“ (Die Zeit) Angela Merkel erzählen wollte. Vielleicht, dass er Anfang Juli am Südtor des Pekinger Chaoyang-Parks in eine Schlägerei verwickelt war, wo er mit vollem Körpereinsatz einen anderen chinesischen Blogger so lange von den Vorzügen der Meinungsfreiheit überzeugte, bis der zu Boden ging?

Wahrscheinlich nicht, denn über diesen Vorgang hatten zwar der britische Daily Telegraph und der amerikanische Journalist Adam Minter auf bloomberg.com berichtet, die deutsche Presse aber lieber nicht.

Vielleicht wollte Ai es aber auch seinem Dissidentenkollegen, dem blinden Rechtsberater Chen Guangcheng, nachtun, der inzwischen in den USA weilt.

Chen war im August von John Boehner, dem Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, und Nancy Pelosi, Fraktionsvorsitzende der Demokraten, in Washington empfangen worden und hatte dabei die US-Regierung aufgefordert, etwas „gegen China zu unternehmen“ beziehungsweise dem Land „bei einem sanften Übergang zu helfen und diesen zu unterstützen.“ Wie sanft so etwas in der Regel vor sich geht, ist ab und an im Fernsehen zu besichtigen.

Natürlich könnte Ai bei Merkel in dieselbe Kerbe hauen. Doch was könnte die schon tun? Die Küstenstadt Qingdao wie einst durch deutsche Truppen besetzen, um so Ai zu einem gerechten Steuerverfahren zu verhelfen, ist wohl momentan keine Option.

Vielleicht wollte sich aber „der gefährlichste Dissident der Welt“ (Die Zeit) auch nur mit Merkel über Lieblingsfilme unterhalten (Merkel: „Out Of Africa“ / Ai: „Ein toller Käfer“). Ich habe keine Ahnung. Doch vielleicht sollte mal einer Ai die Bedeutung des Wortes Dissidenz erklären. Ein echter Dissident jedenfalls hält sich von allen Erscheinungsformen der Macht fern. Der Rest endet wie Wolf Biermann.

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kari

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