Zukunft der Paralympics: Kein blödes Glotzen mehr

Viele Behinderte gewinnen mit den Sportspielen von London neues Selbstbewusstsein. Sie hoffen auch auf mehr Akzeptanz in den Sportclubs.

Die Zukunft winkt: Rio de Janeiros Bürgermeister Eduardo Paes mit der paralympischen Flagge. Bild: dpa

LONDON taz | Als 2009 im Kinderkanal CBeebies Cerrie Burnell, der ein Unterarm fehlt, ihre erste Sendung moderiert hat, gab es noch Beschwerden besorgter Eltern – so etwas könne man Kindern nicht zumuten oder erklären. In den vergangenen zehn Tagen haben Millionen Eltern in Großbritannien und anderswo auf der Welt nun genau das getan – viel Aber.

Behinderte konnten sich unbeschwert unter die Menschen mischen, wurden auch ohne Sporterfolg gefeiert. Die Londonerin Shirley Young, 55, haben die Paralympics dazu angespornt, wieder ins Schwimmbad zu gehen. Als sie jung war, erlebte sie ihre Behinderung noch als Peinlichkeit.

Sie und Doreen Cowell, 63, sind gerade noch in der Halle, in der die letzten Tischtennisspiele laufen. Cowell zog sich vor zwölf Jahren bei einem Karibikurlaub eine Virusinfektion zu. Seitdem ist sie gelähmt. Die Einstellung gegenüber Behinderungen in Großbritannien sei derzeit sehr positiv, meint sie. Jetzt sei es Zeit für das Finetuning: „Es geht um die kleinen Vergesslichkeiten Nichtbehinderter, wie die zwei unüberwindbaren Stufen in der Schule meines Enkels.“

Mehr potentielle Sportler

Was die Paralympics selbst betrifft, kann es der Brite Dean Miller, 23, der vor einer Woche die 1.500 Meter lief, immer noch nicht fassen, dass da 80.000 Menschen im Stadion waren. „Ich fühle mich jetzt nur noch als Athlet“, meint der halbseitig gelähmte Mann. Er hofft, dass man jetzt im Fitnessstudio nicht mehr so blöd glotzt – „wenn man uns überhaupt reinlässt“, bemerkt er.

Auch der britische Sitzvolleyball-Trainer Steve Jones bemängelt, dass manche Sportvereine immer noch nicht für Behinderte zugänglich sind. Mit den Paralympics könnte sich das indes schnell ändern. Die Anfragen potenzieller Sportler haben sich schon gehäuft.

In ganz London und Großbritannien schätzt man, was erreicht worden ist. Nach Thatcher und Blair hatte man sich an den Zynismus gewöhnt. Man dürfe wieder stolz auf Made in Britain sein – das waren die letzten Worte von Cheforganisator Sebastian Coe auf der Abschlussfeier. Das Echo dessen hörte man später noch in der U-Bahn: „Team GB is the Best“, wurde da auf dem Heimweg oft gesungen, auch wenn die Besten eigentlich die Chinesen waren. Als Dritter im Medaillenspiegel hat Großbritannien bei den Paralympics dennoch viel erreicht. Ein Aufschwunggefühl wird wohl noch eine Weile anhalten – auch wenn die wirtschaftliche Realität ganz anders aussieht.

Junge Hoffnung

Der 12-jährige William Radford aus Manchester, der an den Rollstuhl gebunden ist, will jedenfalls dem Beispiel seiner paralympischen Helden Eleanor Simmonds und Oskar Pistorius folgen. Er würde allerdings am liebsten Rollstuhlrugby spielen. Seine Eltern wollen das unterstützen. Wenn es bei den Paralympics in 2020 einen britischen Sportler mit dem Namen William Radford geben wird, dann lag das auch an den erfolgreichen Paralympics in London.

2016 kommt erst einmal Rio. Brasiliens paralympische Erfolge in London mit Schwimmern wie Daniel Diaz (sechs Goldmedaillen) oder Sprintern wie Terenzinha Guilhermina, Alan Oliveira und Philipe Gomez deuten darauf hin, dass Brasilien die Welt genauso überraschen könnte, wie es London getan hat.

Für Sir Philip Craven, den Präsidenten des Internationalen Paralympischen Komitees, sind in London die großartigsten paralympischen Spiele aller Zeiten zu Ende gegangen. Die Aussichten, dass die nächsten Spiele noch besser und noch größer werden, sind gar nicht einmal so schlecht. Seit den Londoner Jubelpartys wird in vielen Ländern der Parasport erst so richtig ernst genommen. Até logo Rio de Janeiro!

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