Literatur für alle: Bücherbesitzer, wechsel dich!

In Hannover gibt es mehr öffentliche Bücherschränke als in jeder anderen deutschen Stadt. Sie werden von Privat-Initiativen bezahlt und ehrenamtlich betreut.

Öffentlicher Bücherschrank: Ein Konzept, das funktioniert. Bild: dpa

Deutschlands Hauptstadt des offenen Bücherschranks ist: Hannover. 28 Schränke voller Bücher stehen dort an Straßen und Plätzen – so viele wie in keiner anderen Stadt. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann man sich hier kostenlos Lesestoff besorgen – oder Bücher einstellen, die man selbst nicht mehr braucht. „Der offene Bücherschrank ist eine tolle Idee“, sagt Marie Vollack (Name geändert), eine der vielen NutzerInnen des Bücherschranks in Hannover-List. Sie findet dort interessante Krimis oder auch Literaturklassiker und kommt nicht selten mit anderen Lesern ins Gespräch.

Vollack gehört auch zu denen, die Bücher für den Schrank stiften. „Mein Mann und ich lesen gerne, und so sammelt sich über die Jahre viel Lektüre an, für die man irgendwann keinen Platz mehr hat“, sagt sie. Weil sie aber auch keine Bücher wegwerfen wolle, sei der Bücherschrank die ideale Lösung.

Alle zwei Tage schaut Vollack beim Bücherschrank vorbei, der auf dem Fußgängerweg direkt vor einer Weinhandlung steht. Ladeninhaber Götz Kreikemeier ist Bücherschrank-Pate – schon seit vier Jahren. Das heißt: Er kümmert sich. „Ich reiße morgens Aufkleber ab, die auf das Holz oder die Plexiglasscheiben geklebt wurden, und gucke regelmäßig den Bestand durch“, sagt er. Zerfledderte Bände oder uralte Computerhandbücher, die keiner mehr liest, sortiert er aus und bringt sie einmal im Monat zur Deponie.

Von seinem großen Schaufenster aus hat Kreikemeier einen guten Blick auf den Bücherschrank. Neue Kunden kämen dadurch nicht in seinen Laden, sagt er. „Aber ich finde es einfach gut, wenn Menschen mit wenig Geld sich auf diese Weise Bücher besorgen können.“

Maximal 400 Bände passen in einen Bücherschrank. In den meisten Standorten in Hannover dominieren Autoren wie Simmel, Konsalik und Danella. Kinderbücher findet man kaum. Wäre es da nicht sinnvoller, das für die Bücherschränke eingesetzte Geld für die Stadtteilbüchereien auszugeben? Nein, meint Dieter Wuttig, bei der Stadt Hannover für Bildung zuständig: „Ein Schrank ist etwas ganz anderes als eine Bibliothek.“ Ein Schrank sei jederzeit zugänglich und erreiche auch Menschen, die sich nicht in Bibliotheken trauen. Außerdem könne man die Bücher aus dem Schrank behalten – und manchen sei eben wichtig, ein Buch zu besitzen.

Pro Jahr und Schrank gibt die Stadt Hannover rund 100 Euro für Reparaturarbeiten aus. Die Anschaffungskosten von 2.000 Euro pro Schrank müssen die Initiatoren allerdings selbst aufbringen – meistens sind es Vereine oder private Sponsoren, die mit finanzieller Unterstützung der Stadtbezirke Plätze in ihrem Kiez aufwerten und einen Treffpunkt schaffen wollen.

„Als wir 2005 mit den ersten öffentlichen Bücherschränken begonnen haben, gab es viele Bedenken. Was passiert, wenn einer umkippt, wenn er mit faschistischer oder pornografischer Literatur bestückt wird, hat man sich gefragt“, sagt Wuttig. Viele Städte hätten deshalb gar nicht erst Bücherschränke aufgestellt. „Wir dagegen haben überlegt, wie man das Lesen unterstützen kann“, sagt er. Und der Haftungsfall sei nie eingetreten.

Im Gegenteil, die Schränke werden mehr: Ende 2012 wird es in 32 der 52 hannoverschen Stadtteile Bücherschränke geben. „Das trägt dazu bei, dass sich die Bewohner stärker mit ihrer Gegend identifizieren. Sie achten selber darauf, dass dort nichts zerstört wird“, sagt Wuttig. Damit die Bücher bei Regen nicht nass werden, fallen die Klappen aus wasserfestem Sperrholz einfach von oben zu.

Die evangelische Melanchthon-Kirchengemeinde im Stadtteil Hannover-Bult hat einen Bücherschrank vor dem Gemeindebüro aufgestellt. Direkt daneben steht eine Bank. „Hier sitzen viele Leute und stöbern einfach. Ich bin mit der Resonanz sehr zufrieden“, sagt Pastor Axel Kawalla. In den Regalen findet man Rosa Luxemburg neben Utta Danella, Alfred Hitchcock neben Dorothee Sölle. „Wenn Bücher von Simmel oder Anne Golon Überhand nehmen, dann räume ich schon mal ein Regal leer“, sagt Kawalla.

Es gebe auch Nutzer, die gezielt auf die Suche nach interessanten Titeln gingen, um sie auf dem Flohmarkt weiter zu verkaufen, sagt der Pastor. Er findet das in Ordnung: „So wird immer wieder Platz geschaffen.“ Kawalla hat gerade wieder 40 Kilo Bücher eingestellt, die ihm ein Freund gegeben hat.

Wenn mindestens die Hälfte der Bücher innerhalb eines Monats „umgeschlagen“ wird, dann spricht Stephan Mingers von einem „guten Schrank“. Er ist bei der Stadt Hannover für die Bücherschränke zuständig und unterstützt die ehrenamtlichen Paten. „Die Stadt ist Eigentümerin der Schränke“, sagt er.

„Wir machen aber keine genauen Vorgaben, was dort hineingestellt werden darf.“ Allerdings bekomme er schon mal Anfragen von Paten, die wissen wollen, ob etwa Bücher von Henry Miller dort bleiben dürfen. „Das ist schon pornografisch, aber auch Kunst“, sagt Mingers. Die Paten entschieden letztlich selbstständig. Werbebroschüren, extremistische Literatur sowie Zettel zur Kontaktaufnahme sind aber in Hannover verboten.

Anders bei der Bücherbox im 40 Kilometer entfernten Celle: Sie lädt ausdrücklich zur Kontaktaufnahme ein. Der von der dortigen Bürgerstiftung aufgestellte Schrank in der Innenstadt ist im Internet unter www.bookcrossing.com registriert. Jeder Buchspender kann sich einen eigenen Account anlegen, damit „seine“ Bücher registriert werden.

„So kann man verfolgen, wohin die eingestellten Bücher wandern und Kontakt mit den neuen Nutzern aufnehmen“, sagt Rolf Fiedler, der sich ehrenamtlich um die Bücherbox kümmert. Leider bekomme man auf zehn eingestellte Bücher nur eine oder zwei Rückmeldungen, sagt Fiedler. „Das ist noch ein bisschen wenig.“

An dem Celler Bücherschrank wurden gerade einige Klappen zerstört. Bis zur Reparatur werden sie durch eine Plastikplane ersetzt. Ein Schild informiert die Nutzer: „Sorry, aber irgend jemand hat wohl hier nicht sein Lieblingsbuch gefunden und aus Enttäuschung darüber den schönen Schrank demoliert.“

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