Guido Möbius „Spirituals“: Metaphysischer Hokuspokus

Das neue Album „Spirituals“ von Guido Möbius ist voll von künstlicher Ironie. Aber was hier auf die Schippe genommen wird, erschließt sich nicht.

Die Sonne geht auf: Aber ganz ironisch. Bild: Karaoke Kalk

„Spirituals“ ist das vierte Studioalbum von Guido Möbius und das erste, auf dem Texte gesungen werden. Seine Vorliebe für industrielle Neutralität und das Spiel mit wechselnden Harmonien hat Möbius in seinen elektronischen Produktionen schon früh offenbart. Was aber soll diese plötzliche Spiritualität über den sich immer wieder selbst zerstörenden Instrumentals, denen kein Hörer seine Aufmerksamkeit entziehen kann?

Ein beiläufiger Genuss ist „Spirituals“ wahrlich nicht. Die Platte zwingt einen förmlich, sich mit ihr zu beschäftigen. Guido Möbius hat das fragwürdige Werk mit einem smarten Pressetext versehen, der schwört, alles sei völlig sinnfrei gemeint. Bei so einer uneindeutigen Platte ist man froh darum, dass ein PR-Text auch mal gut geschrieben ist und einleuchtend scheint. Vielleicht führt er trotzdem in die Irre.

Man hört aus den sehr systematisch wirkenden Gebilden eine Botschaft heraus, irgendein Konzept muss da sein. Die sogenannten Spirituals, deren Texte sich Möbius für das Album von diversen Sängern vortragen ließ, sind entstanden als eine kreative Bewältigung des Opferdaseins der als Sklaven Geborenen. Sie sind Dokumente der Selbstsuche in einer Welt, die für andere gemacht ist, und der Hingabe an einen Glauben, der den Vorfahren der letzten hundert Jahre vom System aufgezwungen wurde.

Afroamerikaner sangen sie im Kollektiv auf der Plantage, mit wechselnden Gesangsstimmen, im Arbeitstakt, um die Last untereinander und mit dem Schöpfer zu teilen. Die meist von Analphabeten gedichteten und mündlich tradierten geistlichen Lieder offenbarten nur Eingeweihten eine Doppelsinnigkeit, die geheime Botschaften, nicht selten Sozialkritik verbarg.

Nun stecken bei Möbius auch Hinweise auf Sinngehalte, zu dechiffrieren sind sie jedoch nicht. Die treibenden Loops bei Möbius, etwa in „Godhead Appears“, fallen und erheben sich wieder kurz im Stillen, sie flüstern Unsicherheit. Bei „Babylon’s Falling“ treffen die Klangspuren zufällig aufeinander und passen sich dann im Verlauf des Songs einander an, bis sie wieder auseinanderdriften. Dazu kommen Gesangschöre, die den Text der Spirituals zerhacken und phrasenweise willkürlich intonieren. Möbius gibt an, keine Kenntnis von den Originalen gehabt zu haben. Ein Schuldgefühl beschwört er trotzdem, wenn beängstigend-verfremdete Stimmwellen immerzu „I’m doing the right thing“ wiederholen.

Pathos und Geräusch

Ein bisschen Pathos will aufkommen, bei den herumwuselnden Melodien im Hinterhalt und den großspurigen Stimmungswechseln zwischen Folk, Techno und Doom Metal. Doch wirft der Komponist immer wieder zahllose Sounds ein, deren Ursprung mal im dumpfen Knallen des Tischtennisballs, mal im Aufsprung einer rostigen Stahlfeder, mal im Plastikreißverschluss vermutet werden.

Das zieht das Ganze ins Lächerliche, macht es ironisch. Aber in einer zu offensichtlichen Weise, um das wiederum ernst zu nehmen. Nur am Ende der Kompositionen nimmt Möbius die Störgeräusche jeweils raus, sodass die letzte Minute eines jeden Songs zusammengerechnet ein cooles Album ergeben könnte.

Unruhe macht sich breit in „Blessed to sleep“. Lärmende Metallfluten überschwemmen die meditativen Songzeilen „Asleep in Jesus, blessed sleep / From which none ever wakes to weep / A calm and undisturbed repose“. Und es wird klar: Der ausgewiesene Atheist Möbius übt sich in der künstlerischen Form, der Inhalt ist ein Zitat und zwar ein selbstreferenzielles. Daran kann man herumwerkeln, wie man möchte, es hat immer emotionales Gewicht, egal in welche Richtung. Die künstliche Ironie, mit der Möbius’ Produktionen die spirituellen Texte behandeln, soll nur den Blick abwenden von jenem metaphysischen Hokuspokus, den er in seiner Musik fabriziert.

Guido Möbius: „Spirituals“ (Karaoke Kalk/Indigo)
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