Sommer in Berlins Bädern: Leute retten und so

Das Projekt "Bleib cool am Pool" will Gewalt in Freibädern verhindern. Das scheint zu klappen. Und wenn keine Gewalt in Sicht ist, werden die Dramen des Alltags entschärft.

Abkühlung ist manchmal die beste Deeskalationsstrategie. Bild: dpa

Schon am Eingang zum Columbiabad können empfindliche Menschen die Nerven verlieren. Am Samstagnachmittag ist die Schlange vor der Kasse des Nord-Neuköllner Sommerbads ewig lang. Badegäste, die rauskommen, müssen durch eine große Drehtür aus Metall, die mit jeder Drehung ein lautes, hässliches Plängplängpläng von sich gibt. Ein Pubertierender zielt mit seiner Wasserpistole auf die Wartenden: „Ich mach dich nass.“ Es ist heiß, es riecht nach Pommesfett und Popcorn, Familien warten mit Picknickkörben und schreienden Kleinkindern. Mädchen mit langen Kleidern und Kopftüchern zeigen sich kichernd Fotos auf dem Handy, dahinter stehen Jungs mit entblößtem Oberkörper und würden die Federn aufplustern, wenn sie welche hätten. Eine Anzeige verspricht 24 Grad im Mehrzweckbecken.

Drinnen im Bad warten Seyhan Akgül und Aydin Bilge auf Ärger. Nicht, weil sie welchen suchten, im Gegenteil: Sie sind unterwegs, um erhitzte Gemüter diplomatisch abzukühlen. „Bleib cool am Pool“ steht auf ihren knallblauen T-Shirts, bei gutem Wetter sind sechs bis acht der Streitschlichter im Columbiabad unterwegs. Akgül und Bilge waren schon im vergangenen Jahr dabei, als die Aktion startete. Beide sind Sozialbetreuer und auch bei den„Kiezvätern“ tätig, einem Projekt zur Unterstützung von Neuköllner Vätern mit Migrationshintergrund.

Akgül, 45 und eher der gemütliche Typ, sagt: „98 Prozent der Leute sind ganz lieb.“ Bilge, 41, erzählt viel, gern ernst und druckreif: „Wir wollen auf Augenhöhe mit den Menschen sprechen und so Gewalt verhindern“, sagt er. Oder: „Das ist unser Land. Wir sind keine Ausländer, wir haben es in der Hand. Wir müssen Vorbilder für unsere Kinder sein. Die Vorfälle vor zwei Jahren haben uns traurig gemacht.“

Die „Vorfälle“, das waren die Tage im Juli 2010, als das Columbia- und das Kreuzberger Prinzenbad von der Polizei geräumt wurden. In den Medien war damals von Massenschlägereien und Krawall die Rede, von Handgreiflichkeiten und Verletzungen sowohl bei Kindern als auch beim Sicherheitspersonal.

In der Darstellung von Matthias Oloew, dem Sprecher der Bäderbetriebe, war das alles jedoch nur halb so wild: Oloew spricht von einer „Rangelei“ im Prinzenbad und einem „Notfall“ im Columbiabad, bei dem ein Badegast einen epileptischen Anfall hatte. Wegen der Schaulustigen sei es nicht möglich gewesen, eine Rettungsgasse für den Krankenwagen zu bilden. Fakt ist: Beide Male rückte die Polizei mit großem Aufgebot an, je 5.000 bis 7.000 Badegäste mussten das Bad verlassen.

Dass sich so etwas wiederholt, soll „Bleib cool am Pool“ verhindern. Bei dem Projekt kooperieren die Berliner Bäderbetriebe mit der Polizei und der Gesellschaft für Sport und Jugendsozialarbeit (GSJ). Insgesamt 30 ehrenamtliche TeilnehmerInnen sind in Zweierteams im Columbia- und Prinzenbad unterwegs, vor allem an den Wochenenden. Sie kommen aus den Kiezen der Umgebung, einige von ihnen sprechen außer deutsch auch türkisch, arabisch oder polnisch. Aufgabe der Teams ist, „Konflikte früh zu erkennen und zur Deeskalation beizutragen, wenn sich die Stimmung in den Sommerbädern Kreuzberg und Neukölln zu sehr aufheizt“ – so formuliert es die Projektbeschreibung.

„Es ist ja nicht so, dass die Leute per se gewalttätig sind“, sagt Pressesprecher Oloew. „Da geht es ja mehr um Kleinigkeiten, die sich vielleicht mal hochschaukeln können. Da läuft jemand über mein Handtuch, ich mache ihn blöd an, er pöbelt zurück, solche Sachen.“ Dass nach „solchen Sachen“ auch mal Leute ins Krankenhaus gebracht werden müssen, darüber redet Oloew allerdings nicht so gerne.

Auch kam die Initiative zu „Bleib cool am Pool“ nicht von den Bäderbetrieben, sondern von der GSJ in Zusammenarbeit mit der Polizeidirektion 5. Sie haben die Ausbildung der TeilnehmerInnen übernommen: Kurse in Erster Hilfe, Schwimm- und Kommunikationstrainings, Schulungen zu interkulturellen und interreligiösen Dialogen mit Rollenspielen und Argumentationstraining.

Sindy ist 19 und kommt aus Neukölln. Ihr blaues T-Shirt hat sie hochgeknotet, sodass man ihren tätowierten Bauch sehen kann. Sie trägt einen Nasenstecker und große Kreolen, demnächst will sie eine Ausbildung im Modebereich anfangen. Warum sie mitmacht? Sie fand die Aktion „einfach cool“. Und sie will „aufpassen, dass alle sich wohlfühlen“. Klar gebe es manchmal auch dumme Anmachen, sagt sie. „Muss man halt ignorieren.“

Heute ist Sindy mit Robin unterwegs, der mit 17 Jahren zu den jüngsten Teilnehmern gehört. Die letzten Tage sei wenig los gewesen, sagt Robin. „Außer bisschen Rüberklettern war nichts.“ Auch das ist eine Cool-am-Pool-Aufgabe: Leute abfangen, die über den Zaun gratis ins Schwimmbad wollen. „Manche graben sich auch drunter durch“, weiß Sindy. Robin macht bei „Bleib cool am Pool“ mit, weil er es „einfach cool“ findet. „Leute retten und so“, grinst er.

Zum Leuteretten hat er eine Gürteltasche dabei, mit Pflastern für Schürfwunden und Salbe gegen Insektenstiche. Die meisten Konflikte, die gelöst werden müssen, sind Gedrängel an den Rutschen, Diebstahl, rauchende Leute in Nichtraucherzonen, Leute mit Schuhen im Barfußbereich. „Ich geh halt hin und sag denen, was okay ist und was nicht“, sagt Sindy.

Die Teams von „Bleib cool am Pool“ sollen weder den Bademeister noch die Security ersetzen, sie sind ein zusätzliches Angebot. Das Rettungsschwimmen, das zu ihrer Ausbildung gehört, brauchen sie bei ihrem Einsatz eigentlich gar nicht. Es soll den TeilnehmerInnen vor allem Sicherheit geben.

Trotzdem denken manche Badegäste, es handele sich bei den Cool-am-Pool-Leuten um Polizisten. Wegen der blauen T-Shirts. „Das macht uns stolz“, sagt Aydin Bilge, und schiebt hinterher: „Polizisten sind auch nur Menschen.“ Es gehe eben darum, für das Recht zu sorgen. „Wir haben hier ein Grundgesetz“, sagt Bilge. Beim Wort „Grundgesetz“ ballt er die Faust. „Daran soll sich jeder halten.“ Ob seine Aufgabe ihm Spaß macht? „Es ist eine Herzenssache.“

Seyhan Akgül erzählt, dass er die Großfamilien aus dem Kiez kennt. Und manche kämen nur ins Freibad, wenn sie wissen, dass er da ist. „Die Leute freuen sich, wenn sie uns wiedererkennen“, erzählt er. „Mich nennen die Kinder immer Amca, das heißt Onkel auf Türkisch.“

Türkisch ist auch das Schild in der Nähe des Kleinkinderbereichs. „Elternaufsicht“ steht da und darunter: „Anneler, Çocuklar Dikkat“. „Das heißt: Mütter, achtet auf eure Kinder“, übersetzt Akgül. Warum nicht die Väter? „Gute Frage“, lacht er. Bilge erzählt, manchmal müsse man auch auf die Mütter aufpassen, weil die mit langen Kleidern und Kopftüchern ins Kleinkinderbecken stiegen. „Die müssen raus“, sagt er, „wegen der Hygiene im Becken.“

Dass es im vergangenen und bislang auch in diesem Jahr keine schlimmeren Gewaltausbrüche gegeben hat, könnte natürlich am Wetter liegen. In verregneten Sommern wird es im Freibad eben nicht besonders voll. Es könnte aber auch an der Präsenz der Cool-am-Pool-Teams liegen.

Überflüssig sind die trotzdem nicht: Immer wieder helfen sie, Probleme zu lösen, manchmal auch kleine Dramen zu beenden. Wie das vom kleinen Mohammed. Der stand am Freitag eine Ewigkeit in der Schlange am 1-Meter-Brett. Immer wieder drängelten sich ältere Kinder vor, und als Mohammed endlich dran gewesen wäre, war es 18 Uhr und das Bad machte zu. Er war untröstlich. Heute hat er zwei Stunden gewartet, auf Aydin Bilge und darauf, dass der Sprungbereich geöffnet wird. Jetzt darf er aufs 1-Meter-Brett, als Erster. Bilge führt ihn an allen anderen vorbei. „Los“, ruft er, „zeig mir, was du kannst!“

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