taz-Serie (Über)Leben in Berlin (Teil 3): "Eigene Ideen sind unerwünscht"

Karin A. ist Krankenschwester in der ambulanten Pflege. Sie mag an ihrer Arbeit, dass sie sinnvoll ist. Doch um die Patienten angemessen zu versorgen, reicht die Zeit nicht.

Ambulant tätige Krankenschwestern stehen meist unter Zeitdruck. Bild: Eléonore Roedel

taz: Wie heißen Sie?

Das möchte ich lieber nicht sagen. Nennen Sie mich Karin A.

Seit wann sind Sie in Berlin?

Ich bin hier geboren, vor 44 Jahren. Ich würde auch nirgends anders wohnen wollen.

Was arbeiten Sie?

Ich arbeite in der ambulanten Pflege, in der Sozialstation einer kirchlichen Einrichtung.

Haben Sie mehr als einen Job?

Ja. In der Station arbeite ich 35 Stunden. Das reicht nicht, deshalb habe ich daneben eine geringfügige Beschäftigung, auch in der Pflege. Dort arbeite ich an den Tagen, die ich in der Station freihabe, etwa 20 Stunden im Monat.

Wie sind Sie zu dem Job gekommen?

Wie viele andere: Ich habe neben dem Studium angefangen, in der Pflege zu arbeiten. Dann hat das mit dem Studium nicht geklappt, ich habe abgebrochen und bin in der Pflege geblieben. Seit elf Jahren arbeite ich bei meinem jetzigen Arbeitgeber. Die Ausbildung zur Krankenschwester hatte ich schon vor dem Studium gemacht.

Würden Sie gern einen anderen Job machen?

Ja. Mich würde vieles interessieren: Umweltschutz zum Beispiel. Nicht, weil ich meinen Job nicht mag. Ich mache gern etwas Sinnvolles. Den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen, das könnte ich auch nicht. Aber die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind einfach zu hart.

Haben Sie einen Arbeitsvertrag?

Ja. Unbefristet.

Würden Sie gern in einer anderen Form arbeiten?

Ja. Ich würde gern eine volle Stelle haben, 40 Stunden. Aber volle Stellen gibt es bei uns kaum, außer für die Angestellten in den Büros. In der Pflege arbeiten die meisten nur 75 Prozent.

Die Serie: Wie überlebt man in Berlin? Anders als anderswo, das ist klar. Berlin hat kaum Industrie, wenig finanzkräftige Unternehmen, nur wenige Menschen arbeiten Vollzeit von 8 bis 16 Uhr. Berlin ist Vorreiter neuer Wirtschaftsstrukturen, Boomtown, Hauptstadt der Kreativen und Gründer - und als Stadt mit den meisten Arbeitslosen zugleich Hauptstadt des Prekariats. Die taz hat sich umgeschaut und nachgefragt - und dokumentiert in der Sommerserie "(Über)Leben in Berlin", wie Berliner und Berlinerinnen arbeiten und wirtschaften. Jeweils mittwochs erscheint ein Interview, geführt anhand eines standardisierten Fragebogens, das den Alltag in einer bestimmten Branche abbildet.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich komme morgens in die Station. Wenn ich Frühdienst habe um halb sieben. Dort bekomme ich den Plan ausgehändigt, nehme den Dienstwagen und fahre los. Ich wechsle Verbände, versorge Wunden, gebe Spritzen oder Medikamente. Manchmal gehört auch Waschen oder Lagern dazu. Meistens übernehmen diese Aufgaben aber die Hauspfleger, da bin ich als Krankenschwester zu teuer.

Wie viele Stunden am Tag arbeiten Sie?

Nach Plan: 6,75 Stunden. Mir reicht die Zeit vorn und hinten nicht. Das sind ja alles schwerkranke Menschen, mit denen ich arbeite, viele sind über 80. Die Zeitfenster, die im Dienstplan stehen, sind extrem kurz: 6 Minuten Fahrtweg, 7 Minuten für eine Spritze, dann geht es weiter. Gestern zum Beispiel hatte ich 22 Patienten. Das heißt 22-mal durch die Rushhour, Parkplatzsuche. Das ist da nicht eingerechnet.

Machen Sie Überstunden?

Wenn ich nicht fertig werde, überziehe ich. Kann man es begründen, bekommt man das ausgeglichen. Unangenehm ist es trotzdem – ich weiß nie, wann ich Dienstschluss habe.

Ist die Arbeit körperlich oder geistig anstrengend?

Beides. Ich habe ja eine hohe Verantwortung und muss konzentriert sein, wenn ich Medikamente gebe oder Entscheidungen treffe. Die Patienten sind oft nicht einfach, viele sind dement. Manche sind sehr dankbar, andere sehr fordernd. Die sehen nicht, dass man nicht nur für sie da ist. Und körperlich – da macht man sich natürlich kaputt bei der Arbeit.

Fühlen Sie sich nach der Arbeit erschöpft?

Das Berufsfeld: Die Berliner Politik hat den Bereich Gesundheitswirtschaft seit Jahren als einen der zentralen Felder Berliner Wirtschaft ausgemacht. 352.000 Personen arbeiten laut Wirtschafts- und Arbeitsmarktbericht 2011 in Berlin und Brandenburg in diesem Bereich. Das sind 13 Prozent aller Erwerbstätigen. Etwa 9 Prozent der Bruttowertschöpfung fand 2008 in diesem Bereich statt - und der Bereich wächst weiter.

Berlin gilt als ein Schwerpunkt der Pharma- und Biotech-Industrie, etwa 10.000 Beschäftigte arbeiten dort. Der weitaus größte Teil der Beschäftigten arbeitet jedoch weiter im zentralen Feld Gesundheitsversorgung. Etwa ein Siebtel von ihnen sind Ärzte, rund die Hälfte der restlichen Beschäftigen sind in der Pflege tätig. Auch im Bereich Gesundheit sind alternative Beschäftigungsformen auf dem Vormarsch - seit 2000 hat sich der Anteil geringfügig Beschäftigter sowohl in Krankenhäusern als auch in Pflegeeinrichtungen verdoppelt.

In der Pflege hat laut der Gewerkschaft Ver.di nur noch jeder Vierte eine Vollzeitstelle. Und trotz mangelnder Fachkräfte ist die Entlohnung weiterhin extrem niedrig. "72 Prozent der Altenpflegerinnen verdienen weniger als 2.000 Euro brutto im Monat", so Gabriele Feld-Fritz von Ver.di. "Hungerlöhne von 4,50 Euro die Stunde sind leider keine Seltenheit."

Total. Auf eine sehr negative Art.

Fühlen Sie sich manchmal unter- oder überfordert?

Als Krankenschwester fühle ich mich nicht unterfordert. Das ist bei den Hauspflegern anders, die keine Fachausbildung haben, die müssen viele stupide Tätigkeiten verrichten. Schlimm ist, dass man die Arbeit gar nicht gestalten, sich nicht einbringen kann. Eigene Ideen, wie etwas besser laufen könnte, das ist bei uns absolut unerwünscht. Mich überfordert, dass wir so viele Aufgaben gleichzeitig erledigen müssen: Patienten versorgen, Abrechnungen, die Einsätze dokumentieren. Ich habe manchmal das Gefühl, ich verliere den Überblick, bekomme abends Panik, weil ich denke: Das hast du vergessen oder das.

Ist Ihre Arbeit gefährlich? Sind Sie schon mal verletzt worden?

Ja, mehrmals. Ich bin einmal von einem Patienten geschlagen, ein anderes Mal gestoßen worden. Kleinere Sachen – Nadelstichverletzungen, dass man sich stößt, ausrutscht –, das passiert oft. Man ist eben immer in Eile. Verkehrsunfälle gab es bei uns in der Station schon mehrfach. Und Raubüberfälle. Man ist ja oft nachts oder früh morgens unterwegs.

Was mögen Sie an Ihrer Arbeit?

Dass sie sinnvoll ist. Dass einem nie langweilig ist. Die Zeit ist immer gefüllt, sie geht schnell rum.

Was nicht?

Die Bedingungen, unter denen wir arbeiten. Und die fehlende gesellschaftliche Anerkennung. Die drückt sich ja auch in der Bezahlung aus.

Haben Sie schon mal überlegt, den Arbeitsplatz zu wechseln?

Daran denke ich dauernd, ich schaue mir auch Jobangebote an. Es ist nicht schwer, etwas zu finden. Aber ich habe einen unbefristeten Vertrag und bin nicht mehr die Jüngste. Und die Arbeitsbedingungen sind in der Pflege überall beschissen.

Wo in der Hierarchie im Unternehmen stehen Sie?

Ganz unten. Oder nicht ganz: die Hauspfleger ohne Ausbildung, die sind noch weiter unten.

Wer kontrolliert Ihre Arbeit?

Die Pflegedienstleitung. Darüber steht der Geschäftsführer der Station. Und der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen, der festlegt, wie lange man für einen Handgriff brauchen darf. Der Druck wird dann immer nach unten weitergegeben, jeder schiebt die Verantwortung ab. Eigentlich müssten unsere Chefs uns vertreten, müssten sagen, was machbar ist und was nicht. Aber das tun sie nicht. Wir haben keine wirkliche Vertretung, keine starke Lobby wie etwa die Ärzte. Und die solidarisieren sich auch nicht mit uns. Obwohl sie wissen, dass das System ohne uns nicht funktioniert.

Was passiert, wenn Sie Fehler machen?

Im schlimmsten Fall: Der Patient stirbt. Kleinere Fehler passieren natürlich immer wieder. Wenn es bekannt wird, weil sich zum Beispiel Angehörige beschweren, wird man zur Pflegedienstleitung zitiert, notfalls zum Geschäftsführer. Es wird immer erst mal versucht, das intern zu regeln, die haben alle furchtbare Angst vor Öffentlichkeit.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit wertgeschätzt wird?

Von den Patienten – „Kunden“ sollen wir sie jetzt nennen – im Großen und Ganzen ja. Auch von den Angehörigen, die unsere Arbeit mitbekommen. Was fehlt, ist die gesellschaftliche Anerkennung. Und wenn man auf einer Party sagt, was man arbeitet, gibt es schon mal komische Reaktionen. Fragen wie: „Hast du dir das freiwillig ausgesucht?“ Was eigentlich seltsam ist: Denn jeder wird ja mal alt und möchte dann gut gepflegt werden.

Was sehen Außenstehende nicht?

Wie wenig frei planbare Zeit mir die Arbeit gibt. Wenn ich Glück habe, habe ich ein Wochenende im Monat frei, an den anderen Dienst oder Bereitschaft. Da gibt es oft wenig Verständnis bei Freunden, bei der Familie. Ich habe das Gefühl, immer kämpfen, mich rechtfertigen zu müssen.

Wie viel bekommen Sie bezahlt?

Pro Stunde 11,42 Euro netto. Als Krankenschwester gehöre ich damit zu den besser Bezahlten. Die Hauspfleger, die keine Berufsausbildung haben, bekommen etwa 8 Euro.

Fühlen Sie Sich angemessen bezahlt?

Nein.

Was würden Sie als angemessen empfinden?

15 Euro? Ich bin jetzt mal so frech: 20 Euro netto. Ich trage ja auch eine große Verantwortung.

Mit wem konkurrieren Sie?

Außerhalb des Betriebes mit kaum jemandem: Pflegekräfte werden händeringend gesucht. Dafür konkurrieren die Unternehmen miteinander, das ist ein ganz harter Markt. Ob kirchlich oder privat, das macht gar keinen Unterschied. Vor allem alte Leute haben da ja oft noch ein ganz falsches Bild von den kirchlichen Einrichtungen. Unsere Chefin beginnt die Besprechungen oft mit Bibelsprüchen. Und sagt uns dann, dass es auch im 10. Jahr leider keine Lohnerhöhung geben kann. Das ist total verlogen.

Mit wem kooperieren Sie?

Mit ein paar wenigen engagierten Kolleginnen und Kollegen. Das ist unglaublich schwierig bei uns, Zusammenarbeit hinzubekommen. Nicht nur, weil wir allein arbeiten und die gemeinsame Kaffeepause fehlt.

Sind Sie in einer Gewerkschaft?

Ja. Da bin ich aber die absolute Ausnahme. Im Bereich Pflege sind nur etwa 2 Prozent der Arbeitenden organisiert.

Haben Sie schon einmal gestreikt?

Das dürfen wir angeblich nicht. Weil wir zu einer kirchlichen Einrichtung gehören, gilt für uns der „dritte Weg“. Das heißt, wir haben eine ganze Reihe von Rechten nicht, die normale Angestellte haben. Die Kirchen argumentieren, das passe nicht zu ihrem Selbstverständnis, wir seien eine Dienstgemeinschaft, in der alle zusammenhalten. Wir dürfen nicht streiken, haben keine Tarifverhandlungen, auch keinen Betriebsrat. Es gibt Mitarbeitervertretungen, die aber nicht so viele Rechte haben. Engagement über die Arbeit hinaus, das ist bei uns extrem ungern gesehen.

Was tun Sie, um Ihre materielle Situation zu verbessern?

Finanziell: Ich arbeite in meinem Nebenjob. Und sonst: Ich mache mit Kolleginnen zusammen kleine Aktionen. Um darauf hinzuweisen, unter welchen Bedingungen wir hier arbeiten.

Wie viele Pausen haben Sie?

Zwischen den Einsätzen bleibt keine Zeit für Pausen. Eigentlich müssten wir nach sechs Stunden eine halbe Stunde Mittag nehmen. Die nimmt aber niemand, die ist im Plan auch nicht vorgesehen. Wo soll ich auch Mittag machen? Ich stehe da ja irgendwo zwischen zwei Patientenwohnungen mitten in der Stadt.

Arbeiten Sie am Wochenende oder nachts?

Nachts nicht, am Wochenende ja. Ich arbeite Schicht: mal Frühdienst von halb sieben bis halb zwei, mal Spätdienst von drei nachmittags bis zehn abends. Am Anfang, neben dem Studium her, fand ich das praktisch, inzwischen empfinde ich es als belastend. Ich würde lieber jeden Tag von acht bis vier arbeiten.

Wie viel Urlaub haben Sie?

30 Tage im Jahr.

Sind Arbeit und Freizeit klar getrennt?

Nein. Durch die Bereitschaftsdienste bin ich oft in „Wartestellung“, wenn ich eigentlich freihabe. Und ich nehme auch viel Stress mit nach Hause. Vor allem, wenn ich Spätdienst habe, kann ich schlecht abschalten und schlafe lange nicht ein.

Wie viele Stunden am Tag haben Sie ganz frei?

Vielleicht sechs.

Was würden Sie gern machen, was Sie aus zeitlichen Gründen nicht tun können?

Etwas lernen. Einen Volkshochschulkurs machen zum Beispiel. Das ist bei den unregelmäßigen Arbeitszeiten sehr schwierig. Und am Wochenende wegfahren, zu meinem Freund zum Beispiel. Der wohnt nicht in Berlin, das ist oft schwierig zu organisieren.

Wie viel Geld haben Sie im Monat zu Verfügung?

Mit beiden Jobs etwa 1.500 Euro. Nach den festen Ausgaben – Miete, Versicherungen – bleiben mir etwa 700 Euro. Für Essen, Einkaufen, für Urlaube. Das brauche ich auch. Ich arbeite so hart, das halte ich nur durch, wenn ich mir dafür auch mal was gönne. Was ich nicht schaffe, ist, etwas zu sparen.

Wer lebt von diesem Geld?

Zum Glück nur ich.

Wie viel Geld bräuchten Sie, um gut über die Runden zu kommen?

2.500 Euro wäre super. Dann könnte ich auch etwas ansparen für Notfälle.

Reden Sie mit Freunden über Geld?

Ja. Die meisten Menschen in meinem Umfeld haben viel weniger als ich. Mein Freund zum Beispiel ist Schlosser, der arbeitet voll, und ihm bleiben netto gerade mal 1.100 Euro.

Was hätten Sie gern, was Sie sich aus finanziellen Gründen nicht leisten können?

Ein Auto, das hätte ich wirklich gern. Aber das ist nicht drin. Nicht so sehr wegen der Anschaffung, die laufenden Kosten sind einfach zu hoch.

Wo wohnen Sie?

Im Westteil der Innenstadt. Mit der Wohnung hab ich total Glück: dreieinhalb Zimmer für zwei Leute, über 90 Quadratmeter. Und ich zahle nur etwa 300 Euro, weil wir uns die Miete teilen.

Wer macht den Haushalt?

Ich. Mein Mitbewohner hatte mit Hausarbeit noch nie was am Hut, und bevor ich ihn jetzt noch dazu bringe zu putzen, ist es weniger Stress, ich mache es selbst.

Haben Sie Kinder?

Nein. Das hat sich einfach nicht ergeben. Mit so wenig Geld wäre das aber auch hart. Neulich hat eine Kollegin verzweifelt erzählt, sie wisse einfach nicht, wie sie auch nur die Kleider für ihre Kinder kaufen soll.

Wie viel schlafen Sie?

Sehr unterschiedlich. Und oft zu wenig. Ich kann oft schwer einschlafen, wegen der wechselnden Arbeitszeiten, oder ich liege wach und denke daran, was mich am nächsten Tag erwartet.

Wann waren Sie zuletzt krank?

Im November, für drei Tage.

Wer übernimmt Ihre Aufgaben, wenn Sie krank sind?

Das müssen Kolleginnen zusätzlich machen. Besonders blöd ist es am Wochenende oder abends: Wenn da jemand ausfällt, muss jemand einspringen, der sonst freihätte. Das will man ja auch nicht, dass dann die Kolleginnen kein Wochenende haben. Ich schleppe mich oft zur Arbeit, wenn ich eigentlich im Bett liegen müsste.

Wer kümmert sich um Sie, wenn Sie krank sind?

Meine Eltern, die wohnen auch in Berlin. Aber die sind auch nicht mehr die Jüngsten.

Haben Sie Angst vor Arbeitslosigkeit?

Ja. Obwohl das eigentlich irrational ist, in dem Bereich findet man immer einen Job.

Wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen geben würde, wie hoch müsste es sein?

1.500 Euro. So viel, wie ich jetzt verdiene. Aber vorstellen, gar nicht zu arbeiten, das könnte ich mir nicht. Ich brauche diese Struktur im Leben. Aber ich würde mir gern mal ein Jahr freinehmen. So ein Sabbatjahr. Die Möglichkeit gibt es bei uns nicht.

Was macht Ihnen am meisten Sorgen, wenn Sie an die Zukunft denken?

Die Frage, wie lange ich den Anforderungen an den Job noch gewachsen bin. Das ist kein Job, den man bis 67 machen kann. Wenn ich merke, das geht nicht mehr, was kommt dann? Es gibt bei uns kein Ausstiegsszenario, keine Möglichkeit, auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt zu werden. Der Ausstieg, das ist für die meisten die Krankheit: Es geht nicht mehr, man wird arbeitsunfähig. Und die Rente kommt näher. Altersarmut – das ist auf jeden Fall eine Angst, die da ist.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Dass wir uns irgendwie trotz allem bisher nicht unterkriegen lassen haben – und auch weiterhin nicht unterkriegen lassen. Und: Ich lebe in Deutschland, in einem Land, in dem man trotz allem noch sehr viele Möglichkeiten hat. Gegenüber ganz vielen Menschen auf der Welt bin ich schon deshalb total privilegiert.

Wie wünschen Sie sich Ihr Leben und Ihre Arbeit in zehn Jahren?

Ich wünsche mir, dass ich in einem anderen Job arbeiten kann, der körperlich nicht so anstrengend ist. Dass ich keine Schicht- und Wochenendarbeit mehr machen muss. Dass ich ein bisschen mehr verdiene. Und dass ich weiterhin gesund bin. Gesundheit, das sehe ich jeden Tag, ist das Allerwichtigste. Und ich wünsche mir, auch wenn das keine persönliche Angelegenheit ist, dass unser wirklich gutes Gesundheitssystem – oder das, was davon noch da ist – aufrechterhalten und verbessert wird. Diese Errungenschaft darf nicht abgebaut und privatisiert werden. Darum muss sich der Staat kümmern. Und Geld reinstecken.

Wovon hängt das ab, ob sich das verwirklichen lässt?

Das Private: von meiner eigenen Kraft. Und dem Schicksal. Und das andere? Dafür braucht es im Grunde einen Systemwechsel. Eine gesellschaftliche Diskussion, die auch Folgen hat. Bisher wird immer wieder darüber geredet, und dann geht es doch weiter wie zuvor.

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