Ordnungsfaktor Feierabendsport: Unter Dealern

Im Hamburger Schanzenpark spielt eine Gruppe Kroaten zwischen Drogenhändlern, Säufern und Verrückten Boccia. Die Bahn hat ihnen die Stadt gebaut.

Manche können gar nicht mehr damit aufhören: Boccia. Bild: dpa

HAMBURG taz | Der Typ brüllt und heult und haut sich vor den Kopf und telefoniert und zieht an seiner Kippe und rennt nach links und nach rechts und nach links. Geburtstagsfeier im Hamburger Schanzenpark. Einer hat ’ne Krawatte um und wenig Zähne, unter der Bank stehen zwei Wodkaflaschen und ein Karton Orangensaft, Bushido aus dem Ghettoblaster. Jedes fünfte Wort ist „Scheiße“. Der Typ brüllt immer weiter, rennt mal hierin mal dorthin, sein Mädchen heult jetzt auch, telefoniert, die Hunde lassen sich nicht aus der Ruhe bringen und zwanzig Kroaten warten erst mal ab.

Sie haben die Kugeln schon in der Hand, hinter dem Rücken. Rollen die Kugeln ein bisschen in der Hand. Ein paar haben Arbeitsklamotten an, ein paar sind Frührentner, ein paar Rentner. Einer war 35 Jahre bei Blohm & Voss, einer 30 Jahre bei Astra, ein paar arbeiten auf der Baustelle gleich nebenan.

Die Stadt hat den kroatischen Bocciaspielern zwei Bocciabahnen in den Park gestellt. Der Sand, und auf den kommt es an, war nicht okay, nicht beim ersten, nicht beim zweiten Versuch, aber das ist nun geregelt. „Früher haben wir im Gras gespielt“, sagt Ivan, der Platzwart. Er kommt ein paar Stunden vor den anderen, richtet die Bahn, räumt auf, holt die Getränke. „Wir machen keinen Müll“, sagt er, Betonung auf „wir“ und „Müll“. Er klaubt die Kippen auf, die Bierdeckel, auch die fremden. „Schön Anton“, ruft Ivan. Das Spiel hat begonnen.

Der Typ ist mit seinem Mädchen abgezogen, die „Böhsen Onkelz“ brüllen „Nur wenn ich besoffen bin“, und die Typen, die noch da sind, grölen mit. Wenn die Hunde über die Bahn laufen, werfen die Kroaten nicht, wenn die Besoffenen zum Pinkeln über die Bahn in die Büsche schlappen auch nicht.

Einer trägt rote Schuhe und einen gezwirbelten Schnurrbart und hat einen schönen Wurf. „Jaa“, lobt Tomislav. Wenn nicht gerade Urlaub ist, wie jetzt, sind 50 bis 60 Spieler da und beide Bahnen belegt. Jetzt, im Urlaub, „können auch die Deutschen spielen, aber die halten nur zwei Stunden durch“, sagt Ivan. Die Kroaten spielen bis es dunkel wird.

Die Bahn ist 37 Meter lang und fünf Meter breit. An der Kopfseite eine versenkbare Kiste für die Kugeln und den Besen. Die Kroaten haben die Kiste verbessert: Regale eingebaut. „Wer will schon bis runter krabbeln, um die Kugeln zu holen? Na?“, fragt Ivan. Die Kugeln liegen jetzt oben, drunter der Besen. An der Bande der Bahn lehnt eine Kiste mit Wasser und Bier. Es wird drum gespielt, wer die Getränke bezahlt, im Grunde ist es egal.

„Glotz mich nicht so an“, brüllt der verrückte Typ, der wieder aufgetaucht ist, und sich wieder mit der Hand vor den Kopf haut und telefoniert und alles andere. Keiner guckt. Ivan fragt, ob wir ein Bier wollen. „Wir müssen uns ein bisschen grade machen, damit wir hier spielen können“, sagt er. Ivan weiß, dass die Stadt ihnen den Platz auch gebaut hat, weil die Bocciaspieler die Dealer, die hier ihre Sachen vertickt haben, verdrängen. „Die Dealer sitzen jetzt da unten in der Ecke“, sagt Ivan, „siehst du sie?“

Die Bocciaspieler haben die Stadt gebeten, die Lampen, die am Weg stehen, der unterhalb der Bahn durch den Park führt, zu drehen. Dann könnten sie auch in der Nacht spielen, schlecht für die Dealer. „Ist zu teuer, sagt die Stadt“, sagt Ivan, „du weißt, die Stadt hat kein Geld.“

Der andere Ivan, der Busfahrer, der kann sich schlecht konzentrieren, weil der Ghettoblaster so einen Lärm macht. Er seufzt ein bisschen. Der Typ hat sich etwas eingekriegt, und da macht der Bursche mit der Krawatte den Lärm aus. Erholung. Da sind Vögel, selbst der Verkehr der Schröderstiftstraße säuselt nur. Die Ruhe währt nicht lang.

„Unsere Frauen schimpfen“, sagt Ivan, „weil wir mehr hier sind als zu Hause, aber die schimpfen immer.“ Einer der Spieler holt ein Maßband aus der Tasche und prüft, welche Kugel näher an der Weißen liegt, damit der nächste Spieler weiß, was er tun muss. Einen Schiedsrichter brauchen sie nicht.

Spielen die Bahn hoch und die Bahn runter. Haben die Hände hinterm Rücken und lassen die Kugeln hüpfen. Wenn die letzten Würfe einer Partie anstehen, stehen die Spieler, die schon geworfen haben, auf der Bande, die Hände in den Taschen und rufen „schieß ihn weg“, oder „von links rein“, oder „über die Bande“, oder „genau so“, oder „ooh nein“.

Die Bahn fällt ein wenig ab, und nicht alle Sandkörner sind gleich groß. Das muss so sein. Das Unwägbare ist Teil des Spiels. Manchmal laufen die Kugeln direkt auf die Weiße zu und kurz bevor sie da sind, biegen sie nach links oder rechts ab, oder bleiben liegen. Manchmal liegt die Weiße bis zum vorletzten Wurf an einer Stelle, und dann trifft sie eine Kugel, und alles ändert sich. Wenn das Leben wie Boccia wäre, würden wir das den Jungs mit dem Wodka und dem Ghettoblaster wünschen. Andere Richtung.

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