Japanischer Journalist über Fukushima: „Die Verbrechen sind so offensichtlich“

TV-Journalist Shigenori Kanehira über Machtkämpfe in Japans Politik, eine neue Art von Zivilgesellschaft und warum er glaubt, dass die Industrie zu glimpflich davonkommt.

Diese Forderung von Demonstranten in Tokio im Mai bleibt nicht mehr als bloße Hoffnung. Denn Japans Regierung schaltet Reaktoren wieder an. Bild: dpa

taz: Herr Kanehira, ist die japanische Denkweise schuld an Fukushima?

Shigenori Kanehira: Das glaube ich tatsächlich. Leider denken wir sehr traditionell und konform. Da ist nicht viel Platz für Kritik.

Es scheint, dass die Atomindustrie an Einfluss verloren hat. Der Betreiber des zerstörten Atomkraftwerkes, Tepco, wird eindeutig als Schuldiger in dem Report genannt.

Der Bericht ist immer noch viel zu mild für eine tiefgreifende Kritik an der Atomindustrie. Die alten Verbindungen funktionieren immer noch, die Studie ist eindeutig parteiisch gegenüber der Atomwirtschaft.

Woran machen Sie das fest?

Weil die Schuld auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Naoto Kan abgewälzt wird, der während des Unglücks an der Macht war. Es geht in dem Report um einen Machtkampf in der Demokratischen Partei. Es heißt darin, Tepco hätte während der Katastrophe niemals seine Arbeiter vom verunglückten Kraftwerk abziehen wollen. Naoto Kan, damals Ministerpräsident, behauptet das Gegenteil. Nach seiner Version wollte Tepco das Kraftwerk seinem Schicksal überlassen. Außerdem heißt es, Kan hätte alles viel schlimmer gemacht mit seinem Eingreifen. Die Kommission hat eigentlich Partei für Tepco ergriffen.

58, ist Journalist beim japanischen Fernsehsender TBS, Teil eines der größten Medienkonglomerate des Landes. Er moderiert samstagabends eine investigative Sendung, hauptsächlich zur Atomwirtschaft.

Warum?

Weil Kan eine Gesellschaft ohne Atomkraft fordert. Seine Gegner in der regierenden Demokratischen Partei wollen ihn deshalb diskreditieren.

Aber nochmal: Auch Tepco wird heftig kritisiert. Warum?

Das ist in der Tat bemerkenswert. Es heißt, der Reaktor Nummer eins habe bereits vor dem Eintreffen des Tsunamis Kühlwasser verloren und sei schwer beschädigt worden. Tepco sagte stets, es sei der Tsunami gewesen und dafür könne man nichts. Aber die Verbrechen von Tepco sind so offensichtlich, das Parlament hatte überhaupt keine Wahl, als sie anzugreifen.

Erstaunt Sie das?

Die Japaner sind extrem atomkritisch geworden. Das sieht auch die Politik.

Wie nimmt die Öffentlichkeit den Bericht auf?

Alle Mainstream-Medien zielen nur auf den politischen Machtkampf ab. Das ist ein Versagen der Journalisten.

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Anti-Atomkraft-Bewegung in Japan ein?

Als vor kurzem der erste Atomreaktor in Oi wieder hochgefahren wurde, gab es Demonstrationen, wie ich sie seit 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Da entsteht gerade eine völlig neue Art von Zivilgesellschaft.

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