Musikzeitschrift „Spex“ unter neuer Leitung: Ein Versuchslabor auf 138 Seiten

Als Torsten Groß neuer „Spex“-Chefredakteur wurde, war er sehr allein. Die Redaktion hatte fast geschlossen gekündigt. Nun ist seine erste Ausgabe erschienen.

Auftritt im Netz ist die eine Sache. Dass eine Zeitschrift es pünktlich in die Auslagen schafft, eine andere. Bild: screenshot

Der neue Chefredakteur der Spex sitzt auf einer Bierbank im schmalen Hinterhof des Kreuzberger Redaktionsgebäudes, trinkt Kaffee, raucht Kette und blinzelt entspannt in die Sonne. Torsten Groß kann sich die Pause erlauben – seit vergangenem Freitag liegt sie am Kiosk, pünktlich: die neue Spex, seit ihrer Gründung im Jahr 1980 Magazin gewordene Heimat linksalternativer Sub- bis Nischenkultur.

Dass eine Zeitschrift es pünktlich in die Auslagen schafft, ist insofern einige Zeilen wert, als die Ausgabe Numero 339 der Spex die Hälfte ihrer achtwöchigen Planungs- und Produktionsphase praktisch ohne Redaktion auskommen musste. Als Groß im April seinen Schreibtisch beim Springer-Musikmagazin Rolling Stone räumte und für das gekündigte Führungsduo Wibke Wetzker und Jan Kedves die Spex-Redaktion übernahm, saß er erst mal allein da – nach dem Rauswurf von Wetzker und Kedves ging bis auf den Onlineredakteur nach und nach auch der Rest der Redaktion.

Man war man mit dem tatsächlich unsanft anmutenden Umbau der Chefetage, gelinde gesagt, nicht einverstanden. Es habe „Differenzen“ um die inhaltliche Ausrichtung der weiteren Hefte gegeben, sagt Jörg Sauer, Spex-Verantwortlicher im Verlag Piranha Media. „Wir wollen da hin, wo wir ursprünglich herkommen: etwas mehr zurück zur Musik. Musik ist immer der Motor der Popkultur gewesen.“ Von Wetzker und Kedves habe man sich aber „im Guten getrennt“, betont Sauer – was freilich schwerfällt zu glauben, auch angesichts des Schweigens der alten Chefredaktion, die keine offizielle Stellungnahme gibt.

Was macht man da, wenn die Redaktion geht, 138 Seiten Heft zu füllen sind – „vorproduziert war nichts“, sagt Groß – und die Drucklegung näher rückt? „Ankommen, herausfinden, wie der Mailaccount funktioniert – und dann arbeiten“, sagt Groß. 16 Stunden habe er oft durchgearbeitet. Nach vier Wochen wurde es besser. Da kamen dann Koredakteur Arno Raffeiner, der die Produktion der Plattenstrecke übernahm und vorher freier Autor war, und eine Praktikantin dazu. Jacqueline Krause-Blouin, die neue Chefin vom Dienst, die ebenfalls vom Rolling Stone wechselte, war erst in der Endphase dabei.

Deutliche Ablehnung aus dem Netz

So schlimm sei das Produktionschaos seiner ersten Spex-Ausgabe aber gar nicht gewesen, sagt Groß gelassen: „Weil zwischendurch auch viel Positives passiert ist: Themen, die geklappt haben, oder es haben sich Leute gemeldet, die für uns schreiben wollten.“ Und das Gerücht, es hätten sich zunächst kaum AutorInnen gefunden, die unter ihm für die Spex schreiben wollen? „So deutlich haben das vielleicht zwei Leute gesagt.“

Ziemlich deutliche Ablehnung schwappte Groß dagegen im Netz entgegen, als er im April auf Spiegel Online verkündete, er wolle weniger „randständige Themen“ in der neuen Spex und ja, warum nicht, auch mal David Bowie auf dem Cover. Radio-Rock statt der Plattengeheimtipps der intellektuellen Gegenkultur? Groß findet das „ein bisschen eindimensional gedacht“. Man sei sich der „Marke Spex“ durchaus bewusst: „Aber ich möchte verhindern, dass sich nur von Kulturwissenschaftler zu Kulturwissenschaftler unterhalten wird.“ Ihm gehe es darum, „subkulturelle Nischenthemen“ auch für die Leser verständlich zu machen, „die davon noch nie etwas gehört haben“.

In der neuen Ausgabe, mit einer Auflage von 31.500, wird Musikthemen tatsächlich wieder mehr Platz eingeräumt – und es gelingt zum Teil erstaunlich gut: Da wird im Rahmen einer großen Beastie-Boys-Würdigung der Tradition jüdischen Humors in der Popkultur nachgegangen, über Antisemitismus im deutschen Rap reflektiert und in fünf Thesen erklärt, warum Jude sein „hip“ ist „im Post-Grass-Debatten-Deutschland“. Durchaus spannende Perspektiven, die man so weder im täglichen Feuilleton und schon gar nicht in anderen deutschsprachigen Musikmagazinen serviert bekommt. Mainstream ist das jedenfalls nicht.

Mainstream und Anspruch

Groß sieht die kommenden Ausgaben als eine Art Versuchslabor: „Bei der Spex ist viel machbar. Man ist nicht so festgelegt.“ Nicht so festgelegt? Schaut man sich die Reaktionen etwa auf Groß’ Spiegel-Online-Interview an, zweifelt man daran, ob die Spex-Käuferschaft da ähnlich denkt. Die Grenzen zwischen Mainstream und Anspruch scheinen recht unverrückbar gezogen. Und dass einer vom Rolling Stone jetzt ausgerechnet Spex-Chef geworden ist, wird da wohl als eindeutige Grenzüberschreitung gewertet. Groß zündet sich noch eine Zigarette an. Nicht die Heftigkeit der Emotionen habe ihn überrascht, sagt er. Enttäuscht habe ihn „das extreme Maß an Voreingenommenheit – da habe ich gedacht: Okay, das soll jetzt also der aktuelle Popdiskurs sein?“

Sauer will, dass die Spex in Zukunft nicht nur Gegenstand von Popdiskurs ist, sondern selbst auch wieder mehr dazu beiträgt: „Wir wollen wieder mehr Meinungsjournalismus machen, mehr ’Straße‘ sein.“ Groß sagt: „Die Handschrift der neuen Spex muss sich erst entwickeln.“ Bleibt abzuwarten, ob man ihm nun die Zeit dafür gibt, das zu tun.

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