Kommentar G20-Gipfel in Mexiko: Zeit, die Feuerglocke zu läuten

Der G20-Gipfel ist gescheitert und niemand regt sich auf. Dabei ist die Lage dramatisch. Aber noch glauben die Deutschen, Merkel könne sie von der Krise abschotten. Das ist Unfug.

Manchmal sagt ein Bild eben doch weniger als tausend Worte. Die ungewöhnlich heitere Stimmung, die beim gemeinsamen Abschiedsfoto des G 20-Gipfels offenbar herrschte, ist nur mit einem kollektiven Ausbruch von Galgenhumor zu erklären. Die Schlusserklärung lässt hingegen keinen Zweifel daran, wie die Atmosphäre wirklich gewesen sein muss: verzagt, düster, mißtrauisch, ratlos. Außer Formelkompromissen und vagen Absichtserklärungen ist nichts herausgekommen. Hat jemand etwas anderes erwartet?

Nein, es hat wohl kaum jemand etwas anderes erwartet, und darin liegt ein Teil des Problems. Die Öffentlichkeit rechnet gar nicht mehr damit, dass bei Gipfeltreffen ein Durchbruch erzielt werden kann. Ein Scheitern wird zwar mißmutig, aber dennoch seltsam gelassen zur Kenntnis genommen. Dabei ist Gelassenheit - ausnahmsweise - die falsche Reaktion. Es gilt, die Feuerglocke zu läuten.

So unterschiedlich die Interessen der verschiedenen Staaten nämlich auch sind, die in Los Cabos vertreten waren: Alle Regierungen eint zumindest der Wunsch, die Krise beherrschbar zu machen, schon um die eigene Macht nicht zu gefährden. Zumindest in dieser Hinsicht ist die Politik dem Sport nicht unähnlich. Selbstverständlich gönnen gegnerische Fußballmannschaften dem jeweils anderen Team nicht den Sieg. Aber beide Parteien wünschen eine klare, für alle Beteiligten erkennbare Begrenzung des Spielfelds und des Strafraums.

Im Hinblick auf die globale Wirtschaftspolitik kann davon gegenwärtig keine Rede sein. Weder das Spielfeld noch dessen Begrenzung lassen sich für Politiker und Bevölkerung präzise definieren. Wenn die einflußreichsten Regierungen der Welt unter diesen Umständen nicht die Kraft aufbringen, gemeinsam auch nur einen kleinen Schritt in diese Richtung zu tun, dann ist die Lage nach dem Gipfeltreffen nicht genauso schlimm wie vorher. Sondern schlimmer.

Es ist ja nicht so, dass keinerlei Beschlüsse möglich gewesen wären. Was wären eigentlich die Folgen, wenn sich die G 20-Teilnehmer überraschend auf ein Verbot des privatwirtschaftlichen Handels mit Staatsanleihen verständigt hätten? Na ja. Im Hinblick auf Parteienkonkurrenz wäre das Risiko überaus überschaubar. Die Opposition möchte man sehen, die so einem Beschluss widersprechen würde.

Aber natürlich würde das die Zinsen verteuern, und das würde, zumindest kurzfristig, das Regieren nicht einfacher machen. Zugleich jedoch könnte ein solcher Beschluss auch die Berechenbarkeit wirtschaftlicher Prozesse vergrößern. Und, vielleicht wichtiger noch: Er würde ein Signal aussenden. Das Signal nämlich, dass man bereit ist, um der Sache willen einen zumindest vorübergehenden Ansehensverlust in Kauf zu nehmen.

Die Gipfelteilnehmer haben genau das Gegenteil bekundet: Sie alle wollen sich durchmogeln, so lange es noch irgend funktioniert. Es wird nicht mehr lange funktionieren.

Angesichts der Dramatik der Entwicklungen müßten eigentlich Hunderttausende auf die Straße gehen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Sie tun es nicht, jedenfalls nicht hierzulande. Das hat viel mit der Person der Bundeskanzlerin zu tun. Noch immer erweckt Angela Merkel den Eindruck, es könne gelingen, Deutschland von den Folgen der Krise abzuschotten - die Bundesregierung müsse eben nur gegenüber allen Partnerländern schön streng auftreten.

Die Bevölkerung ist davon zwar nicht mehr restlos überzeugt, aber sie möchte es dennoch gerne glauben. Alle Leute wollen gerne glauben, dass eine prognostizierte Katastrophe am Ende doch nicht eintreten wird. Davon profitiert die Bundeskanzlerin. Sie vermittelt das wohlige Gefühl, dass es ihr gelingen kann, Deutschland als „Insel der Seligen“ zu erhalten.

Das ist, wie sie zweifellos selbst weiß, nicht wahr. Längst besteht nur noch eine Wahl zwischen „teuer“ und „noch teurer“. Keine angenehme Alternative. Es ist unredlich, wenn auch verständlich, dass die Opposition mit einer solchen Botschaft nicht in den Wahlkampf ziehen will. Wenn aber eine Regierungschefin die Bevölkerung in einer so wichtigen Frage belügt, dann ist das verantwortungslos. Das Erwachen wird bitter. Aber vielleicht hält die Illusion ja bis nach den nächsten Wahlen. So lange sie populär bleibt, so lange scheint diese Kanzlerin nichts anderes zu interessieren.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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