Polen scheidet aus: Versager verstehen

Der "Club der polnischen Versager" war am Samstagabend der beste Ort in Berlin, um das Ausscheiden der Polen aus der EM im eigenen Land zu betrauern.

So sahen die Fans in Warschau das Aus ihrer Mannschaft Bild: Foto: dpa

Gegen 22.15 Uhr wird es auf einmal sehr ruhig im „Club der polnischen Versager“. Nur einzelne Flüche mit vielen Zischlauten sind zu vernehmen. Hände werden über den Köpfen zusammengeschlagen, traurige Blicke richten sich gen Leinwand. Petr Jiracek hat Tschechien gerade mit 1:0 in Führung geschossen. Wenn es so bleibt, ist das polnische Team draußen. David, der sich als „Halbpole“ vorstellt, schüttelt den Kopf: „Ich hätte es ihnen so gegönnt“, sagt er, „aber in den entscheidenden Augenblicken hat es nicht gereicht.“

Ja, in den entscheidenden Momenten haben sie versagt – wo könnte man das besser verstehen als hier, im „Club der polnischen Versager“ in Mitte. In der deutsch-polnischen Kulturkneipe, die in den Räumen des Schokoladens residiert, verfolgen viele Berliner Polen die EM-Spiele der „kadra“, wie die Elf in der Heimat genannt wird. Nun ist es das letzte Spiel geworden. „In einer neuen Disziplin – „Wie schieße ich möglichst knapp neben das Tor“ – waren wir heute die Erfolgreichsten“, sagt Joanna, 38, die aus Stettin stammt.

Dabei war doch alles auf Sieg ausgerichtet. Im Versagerclub drängt sich die Meute schon eine halbe Stunde vor Anpfiff, die Sitzplätze sind ohnehin belegt, der Rest ist Gewühle und Gedränge. Zum Anpfiff versucht man, ein Tyskie vom Fass und einen Blick auf die Leinwand zu ergattern, beides gar nicht so einfach. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten 87 Prozent.

Und nach zwei Minuten, als die meisten noch vor der Zapfanlage in der Bierschlange stehen, feiern die Besucher schon das polnische 1:0 – allerdings zu früh: Der Ball geht nur ans Außennetz. Auf geht‘s kadra!

Nur: Kein polnischer Spieler bringt den Ball ins Tor, immer geht er knapp vorbei. „Nur Borussia Polen kann‘s auch nicht richten“, sagt David und meint die Dortmunder Spieler im Kader der Polen, „da gehören auch noch acht andere dazu.“ Der 32-jährige, dessen Eltern aus dem Südosten Polens kommen, hat auch die letzten Spiele schon im Club geschaut. „Gegen Russland war die Stimmung noch ein bisschen besser.“ Nach den vielen vergebenen Chancen merken die Leute wohl schon, dass es ein bitterer Abend werden könnte. Den „Club der polnischen Versager“ gibt es seit 2001 – der Klub das, was Wladimir Kaminer und seine Russendisko für die russische Bevölkerung in Berlin sind: Eine kulturelle Heimat für viele in der Stadt lebende Polen. Und das sind immerhin 41.000 Menschen – die zweitgrößte Zuwanderergruppe.

Mittlerweile läuft die zweite Halbzeit, zum Entsetzen aller dominieren jetzt die Tschechen. Die „Polska, Polska“-Rufe werden leiser, das Team hat kaum noch Torchancen. Nach dem 1:0 für die Tschechen glaubt kaum noch jemand an das Weiterkommen der Rot-Weißen. Zwar wird noch artig gejohlt, als das polnische Team nochmal alles versucht. Aber hier in den Reihen spürt man: Das war‘s. Der Traum des EM-Gewinns beim Heimturnier der Polen ist dahin.

Das Gros der Fans zieht nach dem Abpfiff davon, einige wenige feiern trotzig weiter. Im Club laufen polnischen Schmonzetten und HipHop. Es wird getanzt, ein Mann im Nationaldress legt einen Auftritt mit dem Wischmopp hin, ein anderes Pärchen stürzt, es waren wohl ein paar Tyskie zu viel. Aber sie stehen wieder auf – wie alle hier wieder aufstehen werden, im Club der polnischen Versager.

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