Italien bei der Fußball-EM: Il fenomeno

Italiens Fußballer sind mehrfach aus den Untiefen heimischer Ligaskandale zu internationalen Turniererfolgen aufgestiegen. Ob das wieder klappt?

Italiens Trainer Cesare Prandelli hat nicht viel Zeit, die Mannschaft über sich hinauswachsen zu lassen Bild: dapd

DANZIG taz | Italien ist ein Phänomen. Wenn nichts mehr zu gehen scheint, schwingt sich das Nationalteam zu einer bemerkenswerten Leistung auf. „Wenn am Anfang niemand an Italien glaubt, holt es am Ende immer das Beste aus sich heraus“, sagt Paolo Rossi, Italiens WM-Held von 1982. Er traut der Squadra Azzurra nach dem 1:1 gegen Spanien sogar den Titel bei dieser Europameisterschaft zu.

„Wenn ihr Schwierigkeiten habt, wachst ihr immer über euch hinaus.“ Das hat Uefa-Präsident Michel Platini gesagt. Als Spross piemontesischer Auswanderer und ehemaliger Spieler bei Juventus Turin kennt er sich ein wenig aus mit italienischen Befindlichkeiten. „Wir sind gewachsen, wir haben uns verwandelt. Das ist Italien“, freute sich Coach Cesare Prandelli nach dem Spiel.

Italiens Nationalteam ist schwer gebeutelt vom Wett- und Manipulationsskandal in der Liga. Domenico Criscito wurde aus dem Team genommen, nachdem ihm die Staatsanwaltschaft einen Ermittlungsbescheid zugestellt hatte. Das hatten die Behörden bei Verteidiger Leonardo Bonucci versäumt.

Nur deswegen stand er am Sonntagabend im Danziger Stadion überhaupt auf dem Feld. Auch Torwart Gianluigi Buffon, als großer Zocker bekannt, steht unter Verdacht, verbotene Wetten auf Spielausgänge getätigt zu haben. Allein 1,6 Millionen Euro hat er an einen Tabakhändler wohl zu diesem Zwecke überwiesen.

Dem Fußball dienen

So musste Trainer Cesare Prandelli, der sogar damit gedroht hatte, sein Team von der EM zurückzuziehen („Wenn es dem Fußball dient“), sich in der hohen Kunst der Improvisation üben. Vor allem die Abwehr musste er umbauen, weil sich im letzten Vorbereitungsspiel auch noch Defensivkraft Andrea Barzagli verletzt hatte. So wurde aus einer Vierer- eine Dreierkette, in der Mittelfeldspieler Daniele De Rossi den zentralen Ausputzer spielte. Der gerade erst wiedergenesene Giorgio Chiellini und eben jener Leonardo Bonucci spielten De Rossis Kompagnons.

„Zwischen drei und vier Verteidigern ist kein großer Unterschied“, postulierte Chiellini. Prandelli lobte seine zusammengewürfelte Abwehrformation: „Sie haben sich an meine Anweisungen gehalten.“

Das Team geht mit erstaunlichem Pragmatismus vor – und auch einer Portion Trotz. So war das auch im Jahre 2006, als Italien ziemlich überraschend Fußball-Weltmeister wurde. Die Liga ächzte unter dem als Calciopoli oder Moggiopoli (benannt nach dem sinistren Sprippenzieher Luciano Moggi) in die Fußballgeschichte eingegangenen Skandal, aber siehe da: Die Mannschaft erwies sich während des Sommermärchens in Deutschland als äußerst robust. Vor dem Turnier hätte freilich kaum jemand einen Pfifferling auf die Squadra Azzurra gesetzt.

1982 war das ähnlich. Zwei Jahre zuvor war der italienische Fußball von seinem bislang größten Wettskandal erschüttert worden. Damals hatten zahlreiche Spieler und Klub-Funktionäre Partien der ersten und zweiten Liga durch Ergebnisabsprachen manipuliert. Der AC Mailand und Lazio Rom wurden seinerzeit zum Zwangsabstieg verurteilt. Zahlreiche Stars wie Paolo Rossi wurden mit langen Sperren belegt, aber es war eben jener Rossi, der Italien zum WM-Titel in Spanien schoss.

Die alte Geschichte

Rossi hatte vor dem Spiel am Sonntag empfohlen, Spanien „zum Weinen“ zu bringen. Ganz so schlimm kam es nicht für Iniesta und Co., aber sie gingen doch als gefühlte Verlierer vom Platz. Die italienische Presse blieb nach dem ersten Auftritt erstaunlich zurückhaltend.

„Besser als erwartet. Es bleibt die Zufriedenheit zurück, gut gegen die Weltmeister gestartet zu sein nach all dem Notstand und den Polemiken in den letzten Wochen“, schrieb La Repubblica. „Wie lautet noch mal diese alte Geschichte? Wenn die Italiener in die Enge getrieben werden, holen sie das Beste heraus. Es ist wieder passiert“, meinte der Corriere della Sera.

Die Süddeutsche Zeitung erkannte in Prandellis Mannschaft „das Ergebnis von Experimentierfreude“ und hebt die „große Geduld“ des Trainers hervor. Die wird er auch mit Mario Balotelli haben müssen, seinem Entfant terrible. In der Spitze zusammen mit Antonio Cassano angetreten, verstolperte er eine Großchance und wurde gegen Antonio Di Natale, dem späteren Torschützen, ausgetauscht. Aber angesichts der problematischen Großwetterlage ist Balotellis Versagen nur ein klitzekleiner Sturm im Wasserglas.

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