Klaus Ernst zieht Bilanz als Linksparteichef: Keine Ära der Lebensfreude

Klaus Ernst zieht beim Parteitag der Linken die Bilanz seiner Zeit als Teil der Doppelspitze. Es wurde ein Rückblick aus Selbstkritik und Schuldzuweisung.

Und ab geht er: Klaus Ernst nach seiner finalen Rede. Bild: dapd

GÖTTINGEN taz | Zum Schluss gab es für die glücklose Doppelspitze der Linken von Oskar Lafontaine eine Entschuldigung und einen Korb: Er fühle sich „mitschuldig, dass Du diese Aufgabe übernommen hast“, gestand der Saarländer erst Gesine Lötzsch auf dem Parteitag der Linken in Göttingen. Um dann Klaus Ernst eine Auswahl italienischer Köstlichkeiten mit dem Hinweis zu überreichen, dass der Sozialismus „eine Lehre der Lebensfreude“ sei.

Die gut zwei Jahre im Amt werden dem Gewerkschafter und der Berlinerin jedoch alles andere als „sozialistisch“ vorgekommen sein. Gewählt im Mai 2010 auf einem Parteitag in Rostock, ist die Linkspartei in der Ära von Ernst und Lötzsch immer weiter auf der schiefen Bahn in die Erfolglosigkeit gerutscht - die Wahlniederlagen häuften sich, die Partei verlor 9.000 Mitglieder, ganze Kreisverbände lösen sich auf. Für Lebensfreude gab es da wenig Anlass.

Es war Ernst, der am Samstag vor den Delegierten auf zwei Jahre an der Spitze der Partei zurückblickte – Lötzsch, die bereits im April aus persönlichen Gründen von ihrem Amt zurückgetreten war, hörte in der ersten Reihe zu. Ihn schmerze „der Zustand unserer Partei genauso wie euch“, rief der scheidende Vorsitzende den Delegierten zu – und hob dann zu einer Ursachenforschung an, in der Selbstkritik und Schuldzuweisung nahe beieinander lagen.

„Auch ich habe Fehler gemacht“

Ja, „die Führung hat Fehler gemacht, auch ich habe Fehler gemacht“, sagte Ernst und zählte einige Beispiele aus dem großen Archiv des öffentlich ausgetragenen Streits der Linkspartei auf – die Debatten um Antisemitismus, den Mauerbau, den Kommunismus. „Auch dafür bin ich zumindest auch mitverantwortlich“, so Ernst. „Aber lasst uns auch über Solidarität reden.“

Wie schon so oft in den vergangenen Monaten machte der Noch-Vorsitzende jene in den eigenen Reihen für den schlechten Zustand der Partei verantwortlich, die ihre Kritik an der Doppelspitze über die Medien lancierten, statt das direkte Wort unter Genossen zu suchen. Zum gefühlt 374. Mal wiederholte Ernst den Vergleich mit der „Fußballmannschaft, in der zwei, drei aufs eigene Tor schießen“.

Viele in der Linken sehen die Gründe für den Zustand der Partei woanders. Einmal abgesehen davon, dass die beiden Vorsitzenden ihre Verantwortung kaum bestreiten können, waren es keineswegs zuallererst die medial angetriebenen Debatten um Ernst Gehalt, Lötzschs Wege zum Kommunismus oder das Grußschreiben an Fidel Castro, welche die Linke in die Krise führten. Dass die Partei in Göttingen einen riesigen Knoten aus Problemen und Konflikten durchschlagen muss, hat vielmehr damit zu tun, dass es dieser Parteispitze nie gelang, als wirkliche Führung zu wirken.

Proporz und Flüggelogik

Die mächtigen Strömungen hatten 2010 nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine und dem Abservieren von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch einen Vorstand installiert, der vor allem von Proporz und Flügellogik zusammengehalten wurde, sich aber nie durch programmatische oder strategische Ausstrahlung auszeichnen konnte.

Auf die grundlegend veränderten Bedingungen, unter denen die Linkspartei nach der Bundestagswahl von 2009 agieren musste, fand dieses Gremium mit Lötzsch und Ernst an der Spitze keine Antwort: Wie man auf eine SPD reagiert, die in der Opposition links blinkt. Wie man auf das wachsende Bedürfnis nach neuen Formen der politischer Teilhabe und Transparenz reagiert. Was es heißt, linke Politik in der Krise zu machen, wenn im eigenen Land die Erwerbslosigkeit immer weiter sinkt und woanders immer weiter steigt. Warum es falsch ist, trotzig zu behaupten, man habe die Lösung, wenn die meisten Menschen, verunsichert von Abstiegsängsten, gar nicht glaubt, dass es überhaupt eine gibt.

Der Hinweis auf die „Interessen der Mehrheit“ hilft da nicht weiter. Wenn Ernst sagt, man habe ein von einer großen Mehrheit der Partei befürwortetes Programm, nun komme es nur noch darauf an, dass auch „die Wähler das Programm akzeptieren“, dann zeigt Ernst auch bei seiner letzten Rede als Parteichef, wie wenig von diesen neuen politischen Herausforderungen er verstanden hat. Kampagnen wurden gestartet und dann nur unzureichend weitergeführt. Versuche, die Linke wieder zu einem „Motor für den Politikwechsel“ zu machen, versandeten.

Fehlende Hartnäckigkeit

Es gab einen Mangel an strategischem Vorausblick und Hartnäckigkeit, wenn es darum ging, die nötigen Debatten auch einmal dann weiter zu führen, wenn es unangenehm wird. Lötzsch und Ernst fanden auch kein Mittel gegen die sich zusehends verschlechternde Stimmung in der Partei, gegen eine um sich greifende Kultur des Verdachts, gegen Orientierungslosigkeit und inneren Rückzug.

„Es ist uns nicht gelungen, die zentrifugalen Kräfte in der Partei durch ein starkes Zentrum zu integrieren“, hat Ernst am Samstag in Göttingen gesagt. „Uns driftet der Laden momentan auseinander.“ Ernsts Nachfolger werden es nicht leicht haben, die Partei zusammenzuhalten. „Wenn mit der neuen Führung genauso umgegangen wird wie mit der alten, werden wir wieder ein Problem haben“, warnte Ernst am Schluss. Die Delegierten in Göttingen wissen, dass das nicht die größte Sorge der Partei ist.

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