Umweltkatastrophe um Ölschiff „Erika“: Ladung und Strafe gelöscht

Das Urteil im Prozess um die Havarie des Tankers „Erika“ droht kassiert zu werden. Mit juristischen Kniffen könnte der Ölkonzern Total ungeschoren davonkommen.

An den Folgen der durch das Tankerunglück 1999 vor der französischen Küste verursachten Ölpest starben 150.000 Seevögel. Bild: dpa

PARIS taz | „Für uns war es wie ein Terroranschlag. Und jetzt sollen die Schuldigen ungeschoren davonkommen?“ Der Meeresbiologe und Muschelzüchter Benoit Bonnel in Le Croisic ist schockiert und empört – wie viele andere Opfer der Ölpestkatastrophe nach dem Schiffbruch der „Erika“ im Dezember 1999.

Allein die Aussicht, dass der Erdölkonzern Total wegen juristischer Spitzfindigkeiten am Ende für diese Umweltkatastrophe ungestraft bleiben könnte, ist für sie ein Skandal. Unabsehbare Folgen für die Zukunft fürchten die Natur- und Umweltschützer, falls eine Aufhebungsbeschwerde von Total gegen die bisher rechtskräftige Verurteilung zum Erfolg käme.

Es wäre wie ein Freibrief für skrupellose Reeder und Auftraggeber von giftigen Seetransporten. Total machte am Donnerstag vor dem Kassationshof in Paris geltend, dass französische Gerichte laut internationalem Seerecht nicht zuständig sind für Tankerunglücke, die sich außerhalb der Hoheitsgewässer ereignet haben. In diesem Sinne plädierte auch Generalstaatsanwalt Didier Boccon-Gibod.

Er war sich bewusst, dass er viele schockierte: „Ich sage das mit Bedauern, denn ich weiß, dass meine Ansicht verletzt und als Skandal aufgefasst wird.“ Über 20.000 Tonnen Schweröl, die aus dem im Dezember 1999 im Sturm entzweigebrochenen Tanker ausgeflossen waren, hatten weite Teile der bretonischen Küste verschmutzt und riesige Schäden an der Meeresfauna und für die lokale Wirtschaft verursacht.

Strafrechtliche Verantwortung

150.000 Seevögel starben an der Ölpest, noch ist unklar, ob die Gesundheit der freiwilligen Helfer, die – oft ohne Schutzanzüge und Atemmasken – den braunschwarzen stinkenden Schlamm einsammelten, nicht ebenfalls gelitten hat. Für die meisten Kosten der betroffenen Kommunen, Betriebe und Personen ist der Erdölkonzern, für den der Tanker unterwegs war, sowie der internationale Fonds „Fipol“ aufgekommen.

Über die strafrechtliche Verantwortung haben die Gerichte bereits ebenfalls geurteilt. Im Frühling 2010 bestätigte das Pariser Berufungsgericht einen Entscheid der ersten Instanz, der den Auftraggeber Total für mitverantwortlich erklärt und zu einer Geldstrafe von 375.000 Euro verurteilt hatte.

Ebenfalls verurteilt wurden dabei Vertreter der Prüfungsgesellschaft Rina, die die „Erika“ für hochseetauglich erklärt hatten. Erstmals hielt das französische Gericht es dabei für zulässig, dass Naturschützervereinigungen wegen der „ökologischen Schäden“ klagen können.

Das Hauptargument für den Generalstaatsanwalt ist, dass dabei die französische Justiz das ihr übergeordnete internationale Seerecht nicht respektiert habe. Falls er und mit ihm der Konzern Total recht bekommt, steht die Rechtsprechung nach Meinung der Anwältin und Exumweltministerin Corinne Lepage vor einem Präzedenzfall mit verheerenden Konsequenzen.

„Im Dienst der Menschen“

Dann könnte nämlich nur noch Malta, unter dessen Flagge die „Erika“ fuhr, noch gerichtlich gegen Total vorgehen – das gilt als eher unwahrscheinlich. Lepage hofft noch, dass „Widersprüche im Plädoyer des Generalstaatsanwalts“ dazu führen, dass das Urteil nicht kassiert wird.

Zuversichtlich bleibt Loïc Le Meur, der Bürgermeister des kleinen Küstenortes Ploemeur: „Das Recht muss im Dienst der Menschen stehen“, sagt Le Meur. Er sei „sicher, dass die Richter das nicht vergessen werden. Sie werden auch daran denken, dass der Fall Erika nicht nur die Bretagne und die Vendée betrifft, sondern ganz Frankreich.“

Und nicht nur das Land, vor dessen Küsten die „Erika“ sank, sondern „darüber hinaus alle Länder, die den Risiken von Umweltkatastrophen ausgesetzt sind. Die Welt blickt auf uns.“

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