Umbau der Nordbahntrasse in Wuppertal: Der Radweg ist blockiert

Eine Wuppertaler Initiative hat Geld gesammelt und das Projekt angeschoben: Aus einer Bahntrasse soll ein Radweg werden. Doch die Stadtverwaltung ist den Bürgern zu langsam.

Die Bahn fährt schon lange nicht mehr – und die Fahrräder noch nicht. Bild: CC-BY-SA / Maximilian Dornseif

WUPPERTAL taz | Wenn man mit Carsten Gerhardt durch Wuppertal fährt, kann man ihn gleichzeitig leiden und lieben sehen. Eine Hand hat er am Steuer, mit der anderen zeigt er eine Stadt, die immer weniger wird. Massiv verschuldet und stark schrumpfend. Und er spricht darüber, was man aus ihr machen könnte. Gerhardt lebte in Sydney, München und Düsseldorf. Er kam in seine Geburtsstadt zurück, weil er „so ein Schollentyp“ ist. Eines Tages beschloss er, sich für Wuppertal zu engagieren. Und damit fing der Ärger an.

Gerhardt, 43, ist Gründer und Vorsitzender der Wuppertal Bewegung. Der emotionale Auslöser für diese Bürgerbewegung war kein Zielkonflikt mit einer politischen Entscheidung – wie etwa bei Stuttgart 21 oder im Schulstreit von Hamburg. Die Wuppertaler Bürgerbewegung ist nicht gegen etwas, sondern für etwas, sie will die Stadt wieder voranzubringen.

Leuchtturmprojekt der Bewegung ist die Umwandlung der stillgelegten Eisenbahnstrecke „Nordbahntrasse“ in einen Fuß- und Radweg. Die Nordbahntrasse führt über 22 Kilometer und sieben Tunnel durch den Wuppertaler Norden. Die Hälfte innerstädtisch. Wenn man die Trasse betritt, ist man binnen Sekunden in der Natur. Die Stadt kommt erst wieder in den Blick, wenn man über eines der historischen Backsteinviadukte geht.

Bei der Vorstellung, dass ausgerechnet das bergige Wuppertal eine Fahrradstadt sein könnte, lachen noch immer viele. Bisher gibt es kaum Fahrradwege und kaum Fahrradverkehr, dafür Dauerstau. Abgesehen von der kulturellen Dimension, dem wirtschaftlichen Potenzial, der Bewahrung von Architektur und Geschichte ist das der Punkt: Man wird die hügelige Stadt auf der flachen Strecke schneller mit dem Fahrrad als mit der Schwebebahn durchqueren, vom Auto ganz zu schweigen. Allein 40 Schulen liegen in unmittelbarer Nähe. Es ist ein Projekt, das alle wollen. Aber nun zieht sich die Umsetzung seit 2006 hin und ist zu einem erbitterten Kampf geworden zwischen Bürgern und Politik. Bei den Sitzungen des gemeinsamen „Lenkungskreises“ knallen schon mal Türen.

Die Bürger hatten zunächst 2,5 Millionen Euro zusammengebracht, durch einige örtliche Großsponsoren und viele, viele Kleinspenden. Das war die Grundlage, um den Rest der veranschlagten 32 Millionen Euro Baukosten aus Fördermitteln von Land, Bund und EU bekommen zu können. Dann stellten sie 2010 das erste Teilstück von 2,3 Kilometern in vier Wochen fertig. Danach übergaben sie der Stadt die Federführung. Seither haben sie den Eindruck, es gehe nur noch im Schneckentempo voran und sie würden permanent gegängelt.

„Wir wollen niemanden Piesacken“

Die Stadt dagegen hat den Eindruck, die Bewegung sehe nicht, wie penibel man die bürokratischen Anforderungen und Auflagen einhalten müsse, etwa um den Artenschutz zu sichern, um die Fördergelder zu bekommen, um Haftungsklagen auszuschließen. „Wenn das als Bevormundung oder als bürokratische Schikane empfunden wird, muss man darüber reden“, sagt Oberbürgermeister Peter Jung (CDU). „Wir wollen niemanden piesacken, warum auch? Es ist aber unabdingbar, dass wir ein Vorhaben dieser Größenordnung rechtssicher und sorgfältig realisieren.“

Bei den Bürgern kommt das Wort „rechtssicher“ nicht so gut an. Das klingt wie: „Danke, dass ihr die Vorarbeit geleistet habt, aber jetzt müssen Profis ran.“ Braucht es wirklich Schriftverkehr von sieben Zentimeter Dicke, bevor man die Renovierung einer einzigen Brücke angehen kann? Braucht es wirklich diese immensen Ausgaben für Fledermausgutachten? Ist das nicht Schikane, wenn die Stadt die Sponsoren der Bewegung einlädt, aber nicht die Bewegung?

Die Sache eskalierte, als der Stadtkämmerer Johannes Slawig Fördergelder zurückhielt, weil die Wuppertal Bewegung „schwere Vergabefehler“ beim Bau des ersten Trassenstücks gemacht habe. Das ist das Stück, das die Bewegung allein und zügig fertiggestellt hat. Um Rückerstattung von etwa 400.000 Euro wird bis heute gestritten.

Gerade ist der Wuppertaler Unternehmer Heinz Schmersal gebeten worden, als neutraler Mediator zu fungieren. Schmersal ist eine Wuppertaler Institution und Arbeitgeber von 1.400 Beschäftigten. Was treibt ihn? Erstens hängt er an seiner Stadt, zweitens ist er Sponsor der Nordbahntrasse, vor allem sieht er das Projekt inzwischen ernsthaft gefährdet. „Es war so eine Euphorie in der Stadt“, sagt er. „Und dann ging das Kompetenzgerangel los.“ Grade war er das erste Mal im Lenkungskreis dabei. Seither schwant ihm: „Diese Vermittlung wird sicher keine leichte Aufgabe.“

Professoren, Ingenieure und Steuerprüfer

Die „Rentnergang“ nennen manche im Rathaus die aktiv Engagierten unter den 1.100 Mitgliedern und etwa 2.000 Unterstützern der Wuppertal Bewegung. Tenor: Die haben wohl sonst nichts mehr zu tun? Es sind emeritierte Professoren, Doktoren, Diplomingenieure, Steuerprüfer, Werber, Künstler. Leute, die sich von Autoritätsgesten und Fachjargon nicht ins Bockshorn jagen lassen. Sie haben Netzwerke und Kompetenzen. Und sie kennen sich inzwischen auch aus mit Förderrichtlinien und Fledermäusen, Kämmerern und Molchen. Der engere Kern besteht aus etwa 20 Leuten.

An diesem Tag sind sie in Gerhardts Wohnung in einem großbürgerlichen Stadtviertel in Hanglage zusammengekommen. Der Hausherr kocht unten Kaffee. Und im Wohnzimmer oben sagt es die eine explizit und pathetisch, der andere indirekt: Der Grund für ihr Engagement scheint bei allen die Liebe zu Wuppertal zu sein. Und nun werden sie nicht zurückgeliebt. Jedenfalls nicht vom Rathaus. Aber sie haben keine Lust mehr, immer nur zu nörgeln, dass es abwärts geht – offenbar ein alte Tradition in der Stadt –, und Weggehen ist auch keine Option. Gerhardt ist der Jüngste, manche sagen, er sei ihr „Guru“.

Eigentlich ist er Doktor der Physik und leitet den Nachhaltigkeitsbereich bei einem Düsseldorfer Beratungsunternehmen. Im Jahr 2005 entdeckte er bei einem Fahrradausflug die zugewachsene Trasse. Gerhardt sagte zu seiner Frau: Das darf man doch nicht verrotten lassen. Heute ist er geschieden, aber das denkt er immer noch.

Schon 2007 erschien in brand eins ein Beitrag über die engagierten Wuppertaler mit dem jubelnden Titel: „Das geht.“ Aber ein Ende ist immer noch nicht nahe. Die Stadt teilt auf Nachfrage mit, die innerstädtischen Teile würden Ende 2013 „nutzbar“ sein. Es gibt aber auch außerstädtische. Locker lassen werden sie jedenfalls nicht mehr. „Das ist nicht alles in den Kleidern hängen geblieben“, sagt Gerhardt, „aber das ist zu wichtig, und zu viele haben uns unterstützt.“ Er sieht ziemlich jung und unverbraucht aus, gar nicht abgefressen. Danke, sagt er. „Aber das ist nichts, was ich für den Rest meines Lebens machen möchte.“

Der Karlsruher Kunstprofessor und Medienwissenschaftler Peter Weibel beobachtet den neuen Konflikt zwischen Bürgern und Politik seit Stuttgart 21 genau. „Das Problem entsteht, weil die Politik Bürgerbeteiligung zwar beschwört, aber sie dann nicht einlöst, sondern auf ihrem Monopolanspruch beharrt“, sagt Weibel am Telefon.

Die Bürger akzeptierten das Kompetenzmonopol der Politik oder Verwaltung aber nicht mehr, eigneten sich selbst Kompetenzen an und maßten sich an zu sagen: Wir wissen selber, was wir wollen. Das sei zu viel für die Berufspolitiker. Ihre Reaktion: „Formalistische Prozeduren werden herangezogen, um die Bürger zu entmutigen.“ Für Weibel ist das fatal. „Wenn sich Bürgerbeteiligung als neue Stufe von Demokratie nicht durchsetzt“, sagt er, „dann driften wir nach rechts. Wie Ende der 20er.“

Keine Angst vor Machtverlust?

Wuppertal habe eine lange Tradition der Bürgerbeteiligung, sagt Oberbürgermeister Jung. „Insofern gibt es ganz sicher weder bei Politik noch Verwaltung Angst vor Machtverlust.“ Die Stadt war mal reich. Dank seiner Lage industrialisierte sich das Tal früher als das nahe gelegene Ruhrgebiet. Heute tut man sich schwer mit dem Umbau von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft. Inzwischen hat man zwei Milliarden Euro Schulden angehäuft und darf nur noch Pflichtausgaben wahrnehmen.

„Der Graben zwischen Regierten und Regierenden ist extrem gefährlich“, sagt der grüne Wuppertaler Bundestagsabgeordnete Hermann Ott. Aus Otts Sicht prallen bei diesem Streit zwar auch Egos aufeinander. Aber Auslöser des Konflikts sei die „antiquierte Vorstellung der Stadtverwaltung vom Verhältnis Stadt und Bürger“.

Die Macht ist in Wuppertal seit Jahren eisenhart aufgeteilt – und liegt in den Händen weniger. Im Gemeinderat regiert eine SPD-CDU-Koalition, die Opposition ist marginalisiert. Die politischen und gesellschaftlichen Strukturen seien versteinert, sagt Ott. Und nun kommen da plötzlich Leute und formen eine neue Bürgerelite. Was wollen die? Wirklich nur einen Fahrradhighway – oder irgendwann das Rathaus stürmen – mit Gerhardt an der Spitze?

Ach was, sagt Gerhardt. „Aber das ist unser Wuppertal. Und dann gibt es einige Wenige in der Verwaltung, die den Rest des Tales gängeln wollen.“ Er gehört übrigens keiner Partei an. Im Grunde, sagt Carsten Gerhardt, sei er „eher unpolitisch“. Auch die Piraten sind innerhalb der Bewegung kein Thema.

Unternehmer Schmersal sieht das Projekt Nordbahntrasse in ernsthafter Gefahr, wenn man Bürger und Politik weiter aufeinander los ließe. „Es kann passieren, dass die Sponsoren aussteigen“, sagt er. Das wäre angesichts der Finanzlage der Stadt dann das Ende. Das will er verhindern. Aber ist er überhaupt offizieller Vermittler? Einerseits hat ihn Oberbürgermeister Jung gebeten, andererseits lässt er auf Nachfrage mitteilen, er sei nicht der Ansicht, dass „ein Mediator als feste Institution für dieses Projekt nötig ist“. Für Schmersal geht es längst um mehr als einen Radweg. „Wenn dieses Projekt scheitert“, sagt der Unternehmer, „dann ist die Reputation aller Beteiligten stark beschädigt.“ Vor allem die der Politik.

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