Kommentar Dicke: Das Klischee vom gemütlichen Dicken

Für Übergewichtige ergreift niemand Partei. Dabei sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, Übergewichtige nicht zu diskriminieren: Sie haben schon schwer zu tragen.

Man stelle sich vor, ein mäßig begabter Liederschreiber würde einen Song aufnehmen, in dem er ein negatives Vorurteil über Schwule an das nächste reihte und zum Schluss blökte: Na, du schwule Sau? Viel mehr als eine Mitgliedschaft bei der Piusbruderschaft wäre wohl nicht für ihn drin.

Marius Müller-Westernhagen hat es mit genau dieser Masche zum Kultsänger gebracht. Klar, das sollte irgendwie ironisch gemeint gewesen sein. Und überhaupt findet es kaum jemand diskriminierend, Dicke anzugreifen. Das Vokabular dafür lautet „hänseln“. Wer spräche von Hänseln, würde ein Dunkelhäutiger als Neger verunglimpft?

Auch in sich emanzipatorisch empfindenden linken Kreisen gibt es keinerlei Bedürfnis, für Übergewichtige Partei zu ergreifen, im Gegenteil: Von der „fetten Sau“ zum „dicken Bonzen“ ist es nur ein Mopssprung. Auf der anderen Seite des Spektrums durfte in der Welt kürzlich der Bioethiker Peter Singer Dicke als gemeinschaftsschädigende Lebensform geißeln, die dem stählernen Volkskörper eine Wampe wachsen lässt und seine Wirtschaftskraft schwächt.

Singer, der Menschenrechte für Menschenaffen fordert, vertritt selbst die Ideologie eines Schimpansen, der unerwünschtes Erbgut in der Sippe durch Totbeißen ausmerzt. Er fordert finanziellen Ausgleich, denn: „Fettleibigkeit führt ganz allgemein zu höheren Kosten im Gesundheitswesen.“ Und das geht natürlich nicht, da könnte die Gemeinschaft ja gleich die Behandlungskosten bei Sport- oder Autounfällen übernehmen!

Das dahinterstehende Menschenbild verdient diesen Namen nicht. Es reduziert das Individuum auf seine Verwertbarkeit für wirtschaftliche Prozesse, es bedeutet die Monetarisierung von Körper und Psyche. Der Dicke, so das übereinstimmende Empfinden von links- bis marktradikal, ist selbst schuld, er müsste ja nur mal weniger essen. Weil er das verweigert, ist er Freiwild für Herabwürdigung und absurde politische Vorschläge aller Art.

Menschen sind unterschiedlich. Und so, wie es normalerweise kein Anlass wäre, Herrn Westernhagen wegen seines Unvermögens, einen ordentlichen Liedtext zu schreiben, oder Herrn Singer wegen seiner Dummheit anzugreifen, wenn sie denn damit nur andere in Ruhe ließen, so sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, Übergewichtige nicht zu diskriminieren: Sie haben schon schwer zu tragen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.