Debatte um die Berliner Innenstadt: "Feldzug gegen die Moderne"

Noch herrscht auf dem Rathausforum in Mitte gähnende Leere. Verena Pfeiffer-Kloss, die Vorsitzende des Netzwerks "Urbanophil", will den Kern des historischen Berlins auch künftig als Stadtplatz erhalten - und die Leere deshalb bewahren

Wie siehts künftig vor dem Roten Rathaus aus? Darüber streiten nicht nur Stadtplaner. Bild: Berlin Partner

taz: Frau Pfeiffer-Kloss, Sie wollen, dass das Rathausforum so bleibt, wie es ist. Warum?

Verena Pfeiffer-Kloss: Ich bin unbedingt für die Pflege und Aufwertung des Platzes, wie sie gerade angegangen wird. Die Wasserkaskaden wurden saniert, neue Bänke wurden aufgestellt, die Begrünung wird gepflegt. Ich möchte aber auf keinen Fall, dass der Platz bebaut wird. Der Stadtplatz ist ein authentischer Freiraum, der gemocht, genutzt und in dieser Form gebraucht wird. Er ist ein urbaner Stadtplatz.

Was bedeutet Urbanität für Sie?

Zum Urbanen gehören Komplexität und Vielseitigkeit: In zwischenmenschlichen Beziehungen und Arbeitsplätzen, kulturellen und ökonomischen Angeboten, der Architektur, den historischen Schichten einer Stadt und der Identität der Bewohner. Für mich bedeutet Urbanität Platz und Raum zur Entfaltung.

Was sehen Sie momentan zwischen Spree und Alex?

Einen Raum, der diese Idee von Urbanität ganz gut repräsentiert. Ein Stadtensemble aus den 1960er Jahren mit zugehöriger Freiraumplanung aus den 1970ern, das die städtebauliche und gesellschaftliche Nachkriegsmoderne der DDR verkörpert. Das Ganze ist eine Rarität an einem so zentralen Ort Berlins und historisch und städtebaulich wertvoll.

Sie beschäftigen sich mit der Rolle von Abwesenheit in der Stadtplanung. Was ist hier abwesend?

Der Ort ist voller Abwesenheiten: Von der Bebauung des Mittelalters über die Bauten des 19. Jahrhunderts bis zu den späteren Veränderungen – die sind alle nicht mehr sichtbar. Straßen sind abwesend, der Stadtgrundriss ebenfalls. Die Abwesenheit ist Bestandteil der Identität dieses Raums.

30, ist Stadt- und Regionalplanerin und lebt in Berlin. Sie ist Gründungsmitglied und Vorsitzende des 2007 gegründeten Vereins Urbanophil.

Der Verein Urbanophil ist ein Netzwerk für urbane Kultur mit Sitz in Berlin. Das Anliegen der jungen Absolventen aus Stadtplanung und Architektur ist es, aktuelle Entwicklungen und Forschungen im Kontext von Stadt, Architektur und Stadttheorie aufzuzeigen, zu vermitteln und den Dialog zu diesen Themen zu unterstützen. Die Urbanophilen laden in unregelmäßigen Abständen auch zu Filmveranstaltungen, den urbanoFILMS, Stadttouren, Diskussionsrunden und anderen Veranstaltungen ein. Im Mittelpunkt der Vereinskommunikation steht jedoch der Blog www.urbanophil.net.

Davon wissen viele gar nichts. Wie kann man das deutlich machen?

Durch Erzählen. Ich hatte während eines meiner Besuche am Ort ein schönes zufälliges Erlebnis mit einem jungen Paar aus Bonn, das sich den Platz angesehen hat. Ich habe die beiden angesprochen und war überrascht, wie positiv sie den Ort empfanden. Sie meinten, er erinnere sie an einen Boulevard in Paris.

Dabei wird der Platz häufig ziemlich negativ wahrgenommen.

Diese Wahrnehmung wird heraufbeschworen. Aber ich habe dann auf die Marienkirche gezeigt und erzählt, dass sie ein Relikt aus dem mittelalterlichen Berlin ist und dieser Ort früher dicht bebaut gewesen ist. Es ist eben der Kern des alten Berlins, dort wurde die Stadt erweitert. Die beiden haben sich umgeschaut und gesagt: Dann müssen wir noch mal über den Ort nachdenken.

Was heißt das?

Im Februar 2012 hatte Kulturstaatssekretär André Schmitz angekündigt, das freie Areal vor dem Roten Rathaus zu einer neuen Stadtmitte umbauen zu wollen. "Wir sollten noch in dieser Legislaturperiode einen Ideenwettbewerb ausschreiben und das Projekt nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben", sagte Schmitz vor etwa sechs Wochen.

Im Kulturausschuss hatte sich nach Angaben des SPD-Politikers eine parteiübergreifende Bereitschaft abgezeichnet, über eine Wiederbelebung des Areals nachzudenken. "Nachdem es lange eine Art Denkverbot dafür gab, ist das eine gute Entwicklung", sagte Schmitz. "An dieser Stelle ist vor 800 Jahren Berlin gegründet worden. Es stünde uns gut an, mit einer modernen Bebauung wieder einen lebendigen Ort zu schaffen."

Der Umbau des sogenannten Rathausforums mit dem Denkmal von Marx und Engels und dem Neptunbrunnen könnte nach den Vorstellungen von Schmitz in zwei Jahren beginnen.

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Dass das Wissen um Abwesendes Emotionen auslöst, Wahrnehmungen verändert und auch eine städtebauliche Debatte beeinflussen kann.

Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) fordert eine „urbane Rückgewinnung“ des Ortes und sieht für die Freifläche keine Zukunft. Wie finden Sie das?

An dieser Stelle würde ich fragen, was eigentlich das jeweilige Verständnis von Urbanität ist, ob sich das an einer bestimmten Bebauung festmachen lässt – und ob Freiräume keine Urbanität schaffen können.

Wäre eine kleinteilige Bebauung urban?

Wenn ich mir eine Stadt ansehe wie Budapest: In Buda liegen auf dem Berg das barocke Schloss und die alte Bürgerstadt auf mittelalterlichem Grundriss. Das ist dort ganz beschaulich, ein bisschen romantisch, aber überhaupt nicht urban. In Pest liegt die gründerzeitliche Neustadt mit der großen, breiten Straße, dem Boulevard. Dort ist es, wie wir das heute auch verstehen, urban. Ich bin mir nicht sicher, ob das Ziel der Urbanität durch kleinteilige und vor allem durch mittelalterliche Strukturen erreicht werden kann.

Eine der Varianten für das Rathausforum war ein großer, freier Stadtpark. Wäre das auch eine Art, den Freiraum zu erhalten?

Ein Park ist kein Platz. Wichtig ist mir der Erhalt des Ortes als Stadtplatz. Deswegen würde ich auch eine Parkvariante mit vollkommener Begrünung nicht gut finden.

Was wollen Sie dann?

Ich bin für ein denkmalpflegerisches Konzept. Dabei würden unter möglichst neutralen, wissenschaftlichen Gesichtspunkten der Freiraum und seine Gestaltung, die Bebauung der Ränder des Platzes hin zum Roten Rathaus und den Rathauspassagen als Gesamtanlage bewertet. Das fehlt.

Unter dem Platz befinden sich archäologische Funde und Stadtreste. Sind die jetzt ab- oder anwesend?

Die sind anwesend. Das sind ja nicht nur Bilder, sondern das ist die Originalsubstanz, die da im Boden liegt.

Was soll damit passieren?

Das große Interesse der Bürger daran ist ja schon da. Man sollte, solange es noch möglich ist, öfter Führungen anbieten, wie es etwa das Bürgerforum Mitte am Tag des offenen Denkmals gemacht hat. Ein Konzept für die nachhaltige Einbindung der Funde in den zukünftigen Platz muss allerdings noch entwickelt werden. Da gehören Stadtplaner, Freiraumplaner, Denkmalpfleger, Archäologen und Kuratoren in ein Team: eine schwere, aber sehr spannende Aufgabe mit offenem Ausgang.

Der Staatssekretär für Stadtentwicklung, Ephraim Gothe (SPD), will eine strukturierte Debatte über den Ort führen. Wie könnte die aussehen?

Den Bebauungsbefürwortern geht es auch um einen Feldzug gegen die Nachkriegsmoderne, die Ostmoderne. Den Menschen, die sich für die Freifläche aussprechen, geht es hingegen um ihr Lebensumfeld und um den Umgang mit Geschichte. Die beiden Meinungen sind aktuell noch zu weit auseinander und zu sehr Feind. Ich glaube, dass so schnell kein vernünftiger Dialog zustande kommen wird – außer vielleicht über die archäologischen Funde, die verbinden.

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