Demontage eines V-Manns: VW-Affäre unerwünscht

Jahre bevor die VW-Affäre um Sexpartys für verdiente Betriebsräte aufflog, war die Polizei von einem V-Mann informiert worden. Statt gegen VW ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den V-Mann.

Dass es Sexpartys für verdiente VW-Betriebsräte gab, erfuhr der V-Mann Kircher schon im Jahr 2000 - aufgeflogen ist die Affäre allerdings erst 2005. Bild: dpa

Oberstaatsanwalt B. genießt bei seinen Kollegen von der Staatsanwaltschaft Hannover einen guten Ruf. „Wesensfremd“, sagen sie, sei dem inzwischen pensionierten Kollegen, was ihm in Berichten des Bremer Weser-Kurier und der taz vorgeworfen werde: dass B. gegen den V-Mann der Polizei im Hannoverschen Rotlichtmilieu, Bernd Kirchner, mit fragwürdigen Methoden ermittelt habe.

Die Ermittlungen von B. führten zur Abschaltung des V-Manns, der die Polizei in Hannover frühzeitig über die VW-Affäre unterrichtet hatte. Der Bordellbetreiber R. organisiere Sexpartys für hochrangige VW-Manager, er selbst habe die Schecks gesehen, berichtete Kirchner bereits 1999.

Im Jahr 2000 erfuhr der V-Mann von einem VW-Betriebsrat, dass es auch vom Konzern gesponserte Sexpartys für verdiente VW-Betriebsräte gab. Kirchner gab die Informationen weiter, doch statt zu ermitteln, informierte die Polizei den Sicherheitschef von VW, den Ex-Polizisten Dieter Langendörfer. Erst fünf Jahre später flog die Affäre auf.

2000 war auch das Jahr, in dem Oberstaatsanwalt B. zum ersten Mal mit Kirchner zu tun hatte. Er beantragte einen Strafbefehl gegen den V-Mann wegen „Konkursverschleppung“, das zuständige Amtsgericht gab dem Antrag am 4. Oktober 2000 statt. Nach Informationen der taz hatte Kirchner den Konkurs seiner Firma tatsächlich verschleppt – auf Anweisung seiner Führungsbeamten bei der Polizei, die laufende Ermittlungen nicht gefährden wollten.

In einer Antwort der niedersächsischen Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen zu dem Fall behauptet Innenminister Uwe Schünemann (CDU), Oberstaatsanwalt B. habe von dem Einsatz Kirchners als V-Person nichts gewusst. Allerdings, so Schünemann, habe die Polizei am 30. Oktober mit der Staatsanwaltschaft „Rücksprache gehalten“. In den Akten finde sich „ein undatierter Einspruch mit Datumsstempel vom 30. 10.“ Doch Oberstaatsanwalt B. ließ den Strafbefehl nicht fallen, Kirchner musste bezahlen.

Die sogenannte VW-Affäre wurde 2005 durch die Entlassung von Helmuth Schuster als Personalvorstand der VW-Tochter Skoda ausgelöst. Die Entlassung selbst hatte nichts mit der Affäre zu tun, aber Schuster plauderte.

Der VW-Konzern hatte Luxusreisen und Sexpartys für Betriebsräte finanziert, um sie bei Laune zu halten - und auf Konzernkurs.

Eine Haftstrafe musste als einziger der Hauptangeklagten der ehemalige Betriebsratschef Klaus Volkert verbüßen. Er wurde im September 2011 entlassen - nach einem Jahr und neun Monate im offenen Vollzug.

Der ehemalige VW-Personalvorstand Peter Hartz wurde im Januar 2007 zu einer zweijährigen Bewährungs- sowie zu einer Geldstrafe von 576.000 Euro verurteilt.

Die Ermittlungen, die für Kirchners V-Mann-Tätigkeit das Ende bedeuteten, nahm Oberstaatsanwalt B. im Januar 2003 auf. Er kannte Kirchner mittlerweile persönlich, hatte ihm sogar „Vertraulichkeitszusagen“ gegeben. Dennoch ermittelte er gegen den V-Mann zunächst wegen Zuhälterei und Menschenhandels, später kam dann auch noch der Vorwurf der Vergewaltigung dazu.

Kirchner, das bestätigen die Verantwortlichen bei der Polizei, hatte sich damals in einen Menschenhändlerring eingeschlichen. Vor einer Razzia sollte er zwei Prostituierte verstecken, zunächst in einem Hotel, dann brachte er sie in seiner Privatwohnung unter. Die Anklage wegen „Menschenhandels“ kam zustande, weil die Prostituierten aus Polen und der Ukraine kamen.

Die Prostituierte aus Polen, Kirchners Ex-Freundin M., war es, die Kirchner gegenüber Oberstaatsanwalt B. der Vergewaltigung bezichtigten sollte. Bei dem Prozess vor dem Landgericht Hannover 2005 verwickelte sie sich in Widersprüche und wollte ihre Aussage schließlich nicht wiederholen. Ihr eigener Anwalt, Raban Funk, plädierte auf „unschuldig“. Unter dem Eindruck des Prozesses wechselte er die Seiten und vertrat später Kirchner.

Noch während der Ermittlungen sprachen die Polizei-Verantwortlichen bei der Staatsanwaltschaft vor, um sie von einer Anklage gegen Kirchner abzubringen. Oberstaatsanwalt B. warfen sie einen „Rachefeldzug“ vor – Kirchner hatte in der Zwischenzeit auch über Kollegen von B. berichtet, die dem Rotlichtmilieu womöglich zu nahe standen. „Der Mann trägt ein Goldkettchen, das kann nur ein Verbrecher sein“, soll B. gesagt haben. Sollte hier beschlossen werden, dass er seine Ermittlungen einzustellen habe, werde er sich an die Generalstaatsanwaltschaft in Celle wenden.

Kirchner selbst hatte von den Anschuldigungen bereits vor dem Beginn der Ermittlungen erfahren. 2002 war er ins niedersächsische Städtchen Nienburg gefahren, wo der Menschenhändlerring operierte, um mit P., dem Mann der Tante seiner Ex-Freundin M., zu sprechen. Gegen Kirchner sei eine „große Schweinerei“ im Gange, sagte P. zu Kirchner. Kirchners Ex-Freundin solle aussagen, dass er sie vergewaltigt habe, und dafür Zeugenschutz bekommen und die deutsche Staatsbürgerschaft. Direkt nach dem Gespräch berichtete Kirchner der Polizei.

Kirchners späterer Anwalt Raban Funk erinnert sich noch an den „ungewöhnlichen Eifer“, den Oberstaatsanwalt B. bei dem Prozess an den Tag legte. Kirchner sei als Schuldiger „auf dem Silbertablett“ präsentiert worden, sagt er. Am Ende brachen die Anklage zusammen, der Prozess wurde gegen eine Auflage von 200 Arbeitsstunden eingestellt – als einziger Vorwurf war geblieben, dass Kirchner eine Prostituierte zu einem Bordell gefahren hatte.

Als V-Mann war Kirchner nach dem Prozess verbrannt, als Informationsquelle hatte er allerdings noch lange nicht ausgedient. Als die VW-Affäre 2005 publik wurde, bekam er mehrere Anrufe von Olaf Glaeseker, dem Sprecher des damals regierenden Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU). Mehrmals habe Glaeseker mit ihm telefoniert, sagt Kirchner, er habe ihn darüber ausgefragt, was er über die VW-Affäre wusste.

Kirchners Anwalt Funk sagt, er habe sich mehrmals mit Glaeseker getroffen, darunter einmal am 7. Februar 2006 im Büro des niedersächsischen LKA-Präsidenten. Glaeseker habe zugesagt, dass Kirchner, der nach dem Prozess untertauchen musste, die Unterstützung der Landesregierung habe. „Das“, sagt Funk, „hat sich nicht erfüllt.“ Kirchner lebt derzeit auf dem Land und bezieht Hartz IV.

Funk sagt, in dem Gespräch beim LKA-Präsidenten habe er darauf gedrängt, eine Ermittlungskommission solle untersuchen, warum Kirchners Hinweise auf die VW-Affäre versackt seien. Auch dazu ist es nie gekommen.

Warum, steht in der Antwort von Innenminister Schünemann: „Nach dem von Herrn Kirchner erhobenen Vorwurf der Urkundenunterdrückung bzw. der Strafvereitelung im Zusammenhang mit der VW-Affäre“, heißt es da, „ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und nach umfangreichen Ermittlungen im Juli 2006 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden.“

Die Staatsanwaltschaft Hannover will sich zum Fall des V-Manns Kirchner nicht mehr äußern. „Die Ermittlungen“, so die offizielle Auskunft, „sind für uns abgeschlossen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.