Kirche in den Niederlanden: Kastration gegen Homosexualität

In den 1950er Jahren wurden Jugendliche in Einrichtungen der niederländischen katholischen Kirche kastriert. Der Fall Heithuis ist nun an die Öffentlichkeit gekommen.

Zu Kastrationen in katholischen Einrichtungen in den 50er Jahren soll es eine neue Untersuchung geben. Bild: testfight / photocase.com

ARNHEIM taz | Wieder einmal schrecken schockierende Neuigkeiten aus der römisch-katholischen Kirche die Niederländer auf. Die niederländische Tageszeitung NRC Handelsblad berichtete am Wochenende, dass mindestens ein minderjähriger homosexueller Junge in den 50er Jahren in einer Einrichtung der katholischen Kirche kastriert worden ist. Bei dem Jungen soll es sich um den mittlerweie Verstorbenen Henk Heithuis gehandelt haben.

Sein Fall war schon bei der Untersuchungskommission Deetmann von einem Mann namens Cornelius Rogge angezeigt worden. Rogge hatte Kenntnis von dem Fall, weil Heithuis als Erwachsener in der Familie Rogge aufgenommen und betreut worden war.

Diese Untersuchungskommission, die im Auftrag der katholischen Kirche die Missbrauchsfälle untersucht hatte und im Dezember einen erschütternden Abschlussbericht vorlegte, hat die Kastrationsvorwürfe nach diesen Angaben nicht weiter verfolgt, weil sie dafür zu wenig Anknüpfungspunkte sah. Kastrationen sind in dem Untersuchungsbericht überhaupt nicht erwähnt.

Das niederländische Parlament erwägt angesichts der neuen Enthüllungen nun, eine eigene, neue Untersuchung durchführen zu lassen. In der kommenden Woche soll darüber debattiert werden. Bei der Fragestunde im Parlament soll auch Wim Deetman, der Leiter der nach ihm benannten Untersuchungskommission, anwesend sein.

Einweisung nach Anzeige

Laut dem Bericht des liberalen Handelsblad hatte Heithuis 1956 bei der Polizei Anzeige erstattet und angegeben, in dem Jungeninternat der katholischen Kirche in Harreveld in der Provinz Gelderland sexuell missbraucht worden zu sein. Statt die Vorwürfe zu untersuchen, wurde er nach seiner Aussage bei der Polizei in die psychiatrische Einrichtung „Huize Padua“ in der Provinz Nordbrabant eingeliefert. Diese Einrichtung wurde ebenfalls von katholischen Priestern geleitet. Hier wurde Henk Heithuis die Schuld am sexuellen Missbrauch angelastet. Es habe geheißen, er habe die Priester verführt, berichtet Cornelius Rogge.

Heithuis sei dann kastriert worden. Er sei total verstümmelt gewesen, berichtet Rogge. Der Eingriff sei vorgenommen worden, um Heithuis von seinen homosexuellen Neigungen zu heilen. Das Handelsblad verfügt nach eigenen Angaben über Hinweise, dass die katholische Kirche noch mindestens zehn Minderjährige in den 50er Jahren kastrieren ließ.

Der Vorsitzende der Organisation Klokk Guido Klabbers, der die Interessen der Opfer vertritt, ist der Meinung, dass eine Untersuchung durch das Parlament aufgrund der neuen Fakten nun nicht mehr ausbleiben kann. Die Affäre erhält noch mehr Brisanz durch verschiedene Gesprächsprotokolle, die nahelegen, dass die niederländischen Behörden von den Praktiken in der katholischen Kirche Kenntnis gehabt haben müssen. Man könne nur vermuten, dass es Fälle gebe, die nicht bekannt seien. Diese neuen Fälle würden die bislang aufgedeckten Vergehen aber weit übertreffen.

Die Kommission Deetman hatte im Dezember nach einer intensiven Untersuchung von eineinhalb Jahren bekannt gemacht, das geschätzt 10.000 bis 20.000 Minderjährige, die einen Teil ihrer Jugend in römisch-katholischen Einrichtungen verbracht haben, im Zeitraum von 1945 bis 1981 in jenen Einrichtungen sexuell missbraucht wurden. Etwa 1.000 Minderjährige wurden vergewaltigt. Die neuen Vorwürfe werfen nun Zweifel auf bezüglich der Gründlichkeit des bislang vorgelegten Berichts.

Bekannt ist, dass bis in die 60er Jahre hinein bizarre Methoden angewandt wurden, um von Homosexualität angeblich zu heilen. So seien chemische und chirurgische Kastrationen und Hormonbehandlungen vorgenommen worden. Auch mit Elektroschocks behandelte man Homosexuelle. Nicht bekannt war bislang, dass auch Minderjährige Opfer dieser Praxis wurden.

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