Ein Jahr nach dem Gau in Fukushima: Die traurigen Rückkehrer

Wird es jemals wie vorher sein? Ein Besuch an einem Ort, der bereits dekontaminiert ist. Die Bewohner trauen sich jedoch kaum nach Hause.

Behelfsunterkünfte für Tsunami-Flüchtlinge in Hirono am Rande der Sperrzone: Keiner will hier hin. Bild: dapd

HIRONO taz | Auf einem Spielplatz mit Rutschen und Schaukeln stehen Arbeiter in weißen Schutzanzügen und Atemmasken und schaufeln die oberste Rasenschicht weg. Wenige Meter weiter spritzen ähnlich Vermummte mit einem Wasserstrahler sorgfältig auf einen gepflasterten Platz. Das Schmutzwasser pumpen sie in einen Tank auf einem Lastwagen – und Hirokazu Kishi blickt zufrieden auf seinen Geigerzähler.

„Die Strahlung ist um mehr als die Hälfte auf 0,2 bis 0,3 Mikrosievert pro Stunde gesunken. Mehr ist nicht zu schaffen.“ Aber mehr sei auch nicht notwendig. „Damit liegen wir unter dem Grenzwert von 1 Millisievert Jahresdosis für Kinder.“

Der Spielplatz gehört zum Schulzentrum von Hirono, einem 5.000-Seelen-Ort direkt am Rand der 20-Kilometer-Sperrzone um die zerstörten Atommeiler von Fukushima. Seit der Evakuierung vor einem Jahr steht hier alles leer. Nun testet die staatliche Atomenergie-Agentur effektive Methoden der Dekontaminierung. Doch viele Fragen sind noch offen. „Wo lagern wir etwa die vielen Säcke mit dem radioaktiven Material?“ Die neue provisorische Deponie an der Küste ist schon fast voll, sagt Kishi.

Dennoch geht die Testphase der Dekontaminierung bald zu Ende. lm April sollen die Reinigungen in großem Stil beginnen. Rund 10 Milliarden Euro hat der Staat dafür bereitgestellt.

160.000 Evakuierte aus dem 30-Kilometer-Umkreis der zerstörten Atomanlage warten auf das Ergebnis. Die Frage, die sich die Besitzerin eines kleinen Ladens an der Ecke stellt, stellen sich hier viele: „Werden wir unser altes Leben weiterführen können?“

Nur in den Orten, in denen die Strahlung unter 20 Millisievert Jahresdosis gedrückt werden kann, dürfen wieder Menschen wohnen. Alle Gebiete mit mehr als 50 Millisievert bleiben gesperrt, voraussichtlich zunächst für fünf Jahre. Messungen zufolge dürfte das etwa auf die Städte Futaba und Okuma zutreffen, die direkt an die strahlenden Meiler grenzen.

Zurück sind fünf Prozent

Dieses Schicksal bleibt Hirono sicher erspart. Die Stadt gehört zum äußeren Evakuierungsring und ist seit Ende September freigegeben. Aber zurückgekehrt sind trotzdem nur 250 Einwohner, gerade einmal fünf Prozent. Der Bürgermeister will seine Bürger bald zurückholen, im September sollen Kindergärten und Schulen neu eröffnen.

Der Hauptgrund für das Zögern vieler Atomflüchtlinge ist ihr großes Misstrauen in die Behörden und den AKW-Betreiber. Während sich die meisten Japaner früher auf die schützende Hand des Staates verließen, fühlen sich die Betroffenen heute belogen, betrogen und alleingelassen. „Man sagt uns, Hirono sei ungefährlich, aber wir alle glauben das nicht“, sagt der Reisbauer Michihiro Kitago.

„Erhalten wir Entschädigung, wenn wir etwas anbauen und wegen Verstrahlung nicht verkaufen können – oder bekommen wir Geld, wenn wir aufgrund der Radioaktivität erst gar nichts anbauen?“ Doch die Antworten auf solche Fragen liegen irgendwo im bürokratischen Nebel. Die Bauern erhalten nicht einmal Messgeräte, um die Radioaktivität auf ihren Feldern zu messen.

Der Schrecken sitzt tief in den Menschen. Die wenigen Rückkehrer in Hirono meiden Lebensmittel aus der Region und kaufen ihr Trinkwasser in Flaschen. Laut einer Umfrage des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio glauben nur 6 Prozent im Großraum Tokio und im betroffenen Nordosten den Informationen der Regierung zum Atomunfall. 73 Prozent haben kein Vertrauen in staatliche Institutionen. Aber die Menschen sind generell misstrauisch geworden. Da ist es fast egal, ob die Informationen vom Staat, von Tepco oder den Medien kommen.

Anfangs dauerte es etwas, aber kommen die Menschen in Hirono erst einmal ins Sprechen, füllen sich ihre Augen schnell mit Tränen. „Es gibt so viele seelisch Verletzte hier“, erzählt Apothekerin Mieko Suzuki. Viele Evakuierte und Rückkehrer fühlten sich wie lebende Tote und wähnten sich in einem Traum, sagt sie. „Die Alten haben alles, was sie aufgebaut haben, verloren. Und die Jungen leiden darunter, dass ihr Lebensplan zerfallen ist.“ Beruhigungs- und Schlafmittel verkauft sie mittlerweile an alle Altersgruppen. „Viele haben so tiefe Depressionen, dass sie gar nicht mehr mit anderen sprechen wollen“, sagt sie.

Ihre Kollegin Hiromi Nagawa glaubt nicht, dass die Dekontaminierung etwas bringt. „Warum wird für eine so dumme Sache so viel Geld ausgegeben?“ Die Regierung wolle damit doch nur ein gutes Bild im Ausland abgeben. „Der Staat soll uns lieber eine ordentliche Entschädigung zahlen, damit wir einen neuen Anfang finden können“, verlangt sie. „Ich bin noch jung und möchte endlich nach vorne schauen.“ Ob und wie lange eine Dekontaminierung anhält, ist tatsächlich umstritten. Nigowo ist wie viele andere hier überzeugt davon, dass die meisten Familien mit jüngeren Kindern nicht zurückkehren werden. Denn was bringen gute Messwerte einem Familienvater, wenn er seine Kinder dennoch nicht zum Spielen nach draußen schicken will?

Das schlechte Gewissen

Doch trotz aller Wut auf den Betreiber Tepco, trotz des Misstrauens gegen die staatliche Informationspolitik: Viele Menschen quält zusätzlich noch ein schlechtes Gewissen. Wie alle Städte auf dem 20-Kilometer-Küstenstreifen bis zu Fukushima Daiichi verdankt die Stadt Hirono ihren Wohlstand seit Jahrzehnten dem Konzern im Zentrum des Desasters. Hier in Hirono betreibt Tepco ein riesiges Wärmekraftwerk für Schweröl und Kohle mit 3.800 Megawatt Leistung.

Seine drei langen weißen Schornsteine sind von überallher zu sehen. „Viele Familien sind von den Tepco-Jobs abhängig und machen daher auch jetzt nicht den Mund auf“, sagt ein Kraftwerksnachbar, der seinen Namen nicht nennen möchte. Mit den Gewerbesteuern von Tepco entstand in Hirono ein überzogen großes Rathaus. Seine weitläufige Sportanlage J-Village – seit dem Unglück die Basis für die AKW-Arbeiter – ist ein Geschenk des Stromversorgers.

Auch nach der Katastrophe pflegt der Stromkonzern die Beziehungen zur Stadt. Im Rathaus helfen mehrere Tepco-Mitarbeiter Anwohnern dabei, die Anträge auf Entschädigung auszufüllen. Daneben blinkt auf einer großen Digitalanzeige die Zahl 0,1 Mikrosievert pro Stunde – kaum mehr als in Berlin oder Frankfurt. Wo genau der Geigerzähler hängt, ist nicht herauszufinden. Aber vielleicht kommt es darauf auch nicht an. Vertrauensbildung ist angesagt. Denn nur wenige Kilometer weiter nördlich steht die Atomanlage Fukushima II. Tepco braucht die Zustimmung der umliegenden Gemeinden, um die vier Meiler nutzen zu können. Wird die Rechnung aufgehen?

„Die Energieversorgung ist in Japan erstmals zu einer Frage der Ethik geworden“, sagt Kenzaburo Oe, Literaturnobelpreisträger und Atomkraftgegner. Moralische Argumente stünden jetzt über politischen und wirtschaftlichen. Die zwei Apothekerinnen formulieren es so: „Der Unfall hat bewiesen, dass sich der Staat gar nicht richtig um Bevölkerung und Entschädigung kümmert.“ Sie wollen die Atommeiler nicht mehr in Betrieb sehen.

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