TV-Serie im ZDF: Der Fluch der Schwiegermutter

In der neuen Krimiserie "Die Chefin" trifft ein mutiger Autor auf ein ängstliches ZDF. Schrecken horizontale Erzählebenen wirklich die Zuschauer ab?

Freundin und Helfer bei der Arbeit. Bild: ZDF

Zumindest Orkun Erteners Schwiegermutter wird zufrieden sein. " ,Die Chefin' ist meine erste Serie, die sie lieben wird", sagt der Kölner Drehbuchautor. Für den Rest des Jahres hat sich der 45-Jährige eine "Nachdenkpause" verordnet, will wieder mehr Prosa schreiben. Schwiegermutterfernsehen ist nicht Erteners Ding, und "Die Chefin" kommt dem näher, als ihm lieb ist.

"Das Projekt ist nicht missglückt", sagt er, "aber es ist im Ergebnis ein Kompromiss." Wie seine Aussage. Bloß keine Eskalation! Vom Kompromiss handelt diese Geschichte, von einer weiteren verpassten Chance des deutschen Fernsehens, den Abstand auf britische und US-amerikanische Produktionen zu verringern.

Ertener hätte das Zeug dazu. Seine Grimme-Preis-prämierte ZDF-Polizeiserie "Kriminaldauerdienst" (KDD) war ein Kritikerliebling, wurde allerdings wegen schlechter Quoten 2010 nach drei Staffeln eingestellt. "KDD" war das Gegenteil von Kompromissfernsehen, darüber wachte nicht zuletzt Ertener als "Creative Producer". "Ganz toll gemacht", lobt ZDF-Fiction-Chef Reinhold Elschot. Auch mit "Die Chefin" ist er hochzufrieden.

"Wir setzen damit gute neue Akzente am Freitagabend, der ein bisschen Renovierung gebrauchen kann." Wo Elschot nur ein bisschen neu streichen wollte, hätte Ertener gern mindestens ein paar Wände versetzt. Aber bei "Die Chefin" war er lediglich "Chefautor", sein Einfluss auf die Gesamtproduktion geringer. So scheiterte er beispielsweise mit Vorschlägen, wer seine Serie inszenieren könnte.

Der Schwiegermutterkrimisendeplatz

Das Besondere an "KDD", wie jetzt auch an "Die Chefin", ist die durchgehende Geschichte neben dem aktuellen Kriminalfall: Hauptkommissarin Vera Lanz (Katharina Böhm) versucht, den Tod ihres Ehemanns aufzuklären, der ebenfalls Polizist war, allem Anschein nach ein korrupter. Lanz glaubt an seine Unschuld und beginnt sich zu fragen, ob ihr Mann Opfer eines Komplotts wurde.

Konzipiert war "Die Chefin" ursprünglich als sechsteilige Serie für einen neuen Sendeplatz nach dem Samstagskrimi. Geworden sind es vier Folgen für den Schwiegermutterkrimisendeplatz freitags um 20.15 Uhr, wo unter anderem knapp 20 Jahre lang "Derrick" ermittelte (und "KDD" im direkten Anschluss baden ging).

Der erste 60-Minüter ist ein Gruß nach Grünwald, zitiert das großbürgerliche Derrick-München mit einer Derrick-Familie voller Derrick-Motive für einen Derrick-Mord. Und Vera Lanz neuer Kollege (Stefan Rudolf) sucht im Büro den perfekten Platz für seinen Pappaufsteller des von Horst Tappert verkörperten Oberinspektors.

Schon wieder "ein bisschen"

Das könnte richtig lustig sein - wenn Regisseurin Maris Pfeiffer es parodistisch überhöht hätte. Doch die Angst, jemanden zu verprellen - und seien es auch nur die drei noch lebenden "Derrick"-Fans -, bestimmt "Die Chefin". "Die Herausforderung ist es, das alte Publikum dieses Sendeplatzes zu halten und ein neues hinzuzugewinnen, indem wir Erwartungen bedienen, gleichzeitig aber auch ein bisschen dagegenhalten", sagt Reinhold Elschot.

Schon wieder "ein bisschen". In diesem Fall soll dieser Mittelweg wohl dadurch erreicht werden, dass man etwas nicht inszeniert, was im Buch angelegt ist. Es ist ein fauler Kompromiss - auch wenn Elschot sagt: "Wir achten darauf, dass der Kompromiss kein fauler ist."

Katharina Böhm, der Ertener diese mal harsche, mal warmherzige Ermittlerin auf den Leib geschrieben hat, "war für mein Vorhaben, populär und komplex zugleich zu erzählen, die ideale Besetzung." Trotz allem glaubt er an den Erfolg von "Die Chefin": "Meine Rechnung ist zwar nicht ganz aufgegangen, aber die des Senders kann schon aufgehen. Die Frage ist nur, ob das an Innovation reicht, um die Serie weiterzubringen."

Die Handlung so, dass jeder mitkommt

Nach dem bitteren Ende von "KDD" hat Orkun Ertener sich "sehr über den dezidierten Wunsch des Senders gefreut, wieder eine durchgehend erzählte Serie zu schreiben", und konnte zunächst auch mit den Einschränkungen gut leben: "Der Arbeitsauftrag war ganz klar: kein ,KDD', komplexe Figuren gerne, aber die Handlung bitte so, dass jeder mitkommt, jede Folge aus sich heraus verständlich ist. Das fand ich dramaturgisch reizvoll."

Der Wechsel des Sendeplatzes und die Reduzierung der Folgen haben Ertener allerdings geärgert, weil diese Entscheidungen seine Freiheiten weiter eingeschränkt haben. "Während der Arbeit an den ersten vier Folgen hat sich herausgestellt, dass dem Sender der Kriminalfall und die einzelne Episode wichtiger sind als die staffelübergreifende Horizontale." Ihn dagegen interessieren gerade die moralischen Widersprüchlichkeiten, für die in der auf Eindeutigkeit getrimmten Erzählung von "Die Chefin" kaum Platz ist.

Laut Reinhold Elschot war schon gedreht, als der Sendeplatz wechselte. Und sechs Folgen seien nur in einer ganz frühen Phase des Projekts geplant gewesen, so früh, dass er sich erst auf Nachfrage daran erinnert. Die Angaben sind so gegensätzlich wie die Positionen.

Ans Geld denken müssen

Die horizontale Erzählebene sei ein "Mehrwert für regelmäßige Zuschauer", sagt Elschot, "aber ein Großteil des Publikums ist nicht mehr bereit, alle vier Folgen einer Serie zu gucken. Deswegen haben auch die Amerikaner das durchgehende Erzählen zurückgefahren." Und außerdem müsse er immer auch ans Geld denken. "Unsere Serien müssen wiederholbar sein", sagt Elschot, "auch nur einzelne Folgen oder in anderer Reihenfolge."

Orkun Ertener hat seine Konsequenzen gezogen: "An der nächsten Staffel wirke ich nicht mehr mit." Der Verzicht auf die durcherzählte Geschichte, den Producerin Susanne Flor für die sechs neuen Folgen bestätigt - "ein komplex erzählter horizontaler Strang" sei "ein Risiko für den Erfolg der Serie" -, dürfte den Ausschlag gegeben haben. Das ist dann nicht mehr Erteners Welt: Es sind zwar noch seine Figuren, es ist aber nicht mehr seine Art zu erzählen.

Private und berufliche Handlungsstränge

Hauptdarstellerin Katharina Böhm geht indes davon aus, "dass die Horizontale in der zweiten Staffel nicht zurückgefahren wird. Sonst wäre ich nicht mehr dabei." Genau das habe sie nämlich inhaltlich an der Hauptrolle in dieser Serie gereizt: "Vera Lanz bringt ihre privaten Befindlichkeiten mit in den Job wie wir alle", sagt sie.

Dieses Ineinanderwirken privater wie beruflicher Handlungsstränge hat auch schon "KDD" ausgezeichnet. "Die Schauspieler interessiert die Weiterentwicklung ihrer Charaktere", sagt Ertener, "nicht Krimis nach dem Motto: Da liegt die Leiche. Wer hat ihr auf den Kopf gehauen?"

Im Konflikt zwischen Sender und Autor nimmt Böhm eine Zwischenposition ein. "Man hätte sicher erzählerisch auch noch weitergehen können", sagt sie, "aber man muss sich langsam ranpirschen. Dem Zuschauer eine Watschn zu verpassen bringt nichts."

Plädoyer für den mündigen Zuschauer

Orkun Ertener stutzt: "Gebe ich mich geschlagen?" Er denkt einen Moment nach. "Nein, ich gebe mich nicht geschlagen. Ich brauche nur ein bisschen Distanz." Sein Job sei wahnsinnig anstrengend, "du bist ständig in Konflikten und Abwehrkämpfen, das schlaucht."

Er hat sich diese Auszeit verordnet, weil der Grundkonflikt nicht auflösbar ist: Ertener plädiert für den mündigen Zuschauer, Reinhold Elschot vom ZDF dagegen. Ertener geht es um Komplexität, Elschot um Konsumierbarkeit. Elschot sagt: "Wir sind keine Pädagogen." Ertener wünscht sich mehr Bereitschaft, das Publikum an neuartige Formate zu gewöhnen.

Elschot und Ertener sind Gegner, dabei sollten sie doch eigentlich Verbündete sein. Und die Kluft wird mit jedem faulen Kompromiss größer (und damit die Absatzzahlen von US-Serien-DVDs). "Wenn dir im deutschen Fernsehen jemand sagt: Mach mal so was wie ,Breaking Bad', diese Serie über einen todkranken Chemielehrer, der Drogen verkauft, kommt am Ende ein heuschnupfenkranker Kommissar dabei raus", sagt Ertener. Das ist kein Scherz, eher eine Zustandsbeschreibung.

Die Angst um Liebesentzug durch den Zuschauer, dieses scheue Reh, lähmt die Sender, verhindert Neues und zementiert so eine Mittelmäßigkeit, mit der sich das deutsche Fernsehen letztlich selbst abschafft.

"Ich habe kein Happy End versprochen", sagte Orkun Ertener 2010. Das galt für "KDD", das gilt für "Die Chefin", nicht auszuschließen, dass es auch für Erteners Karriere als Erneuerer der deutschen Fernsehserie gilt. Dann hätten die Schwiegermutterkrimis gewonnen.

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