IT-Gimmicks (1) : Der Stift wird multimedial

Der intelligente Stift transformiert Schreibschrift in eine Textdatei, hört mit und zeichnet zugleich auf. Teil 1 der Reihe: Endgeräte des digitalen Klassenzimmers.

Gehören möglicherweise schon bald der Vergangenheit an: Buntstifte aus Holz. Bild: NeoDoRant / photocase.com

Nicht erst seit dem Vorstoß der Marke mit dem Apfel steht das digitale Klassenzimmer auf der Tagesordnung. Wir haben den Web-2.0-Pionier und Berater Martin Lindner gebeten, seine Vision der wichtigsten Endgeräte für das Klassenzimmer aufzuschreiben: Tablet, E-Reader, Smartphone und intelligenten Stift. In Folge 1 erklärt @martinlindner das analog-digitale Schreibwerkzeug, das mitfilmt und -hört.

1.

Wenn über Medien in der Schule geredet wird, redet man von Lehrmedien: also den technischen Mitteln, mit denen man den "Stoff" so aufbereitet, dass er in die Köpfe gelangt und sich dort möglichst festsetzt. Lehrfilm, Projektor, Kopierer und natürlich das Schulbuch - alles moderne Varianten des Nürnberger Trichters.

Aber was sind Schülermedien? Also die Medien, die den SchülerInnen selbst die Macht geben, sich Wissen anzueignen? Die Medien, die sie selber kontrollieren können? Stift und Papier, immer noch. Auch da gab es Medienrevolutionen: nach etwa dem Jahr 1870 das billige industrielle Schulheft und verbesserte Blei- und Farbstifte. Papier war nicht mehr knapp. Der moderne Radiergummi wurde gleichzeitig erfunden. Den Patronenfüller gibt es seit 1949, den Tintenkiller seit 1972. Dann hat sich bis heute praktisch nichts mehr getan.

Flache Welt

Unterdessen wurden Microsoft, Apple und Google gegründet. Die PCs kamen in die Büros, dann die E-Mails, dann das Internet. Der Eiserne Vorhang fiel, die globalisierte Welt wurde flach. Das Handy wurde erfunden und das Smartphone. Wikipedia verdrängte das gedruckte Lexikon. Der Multiple-Choice-Test begann seinen verheerenden Siegeszug. Die Wirtschaft, die Märkte, die Arbeitsformen - alles veränderte sich rasend schnell, nicht zuletzt durch die digitalen Medien.

2.

Was wird in zehn Jahren das zentrale Schülermedium sein: immer noch Pelikan und Schulheft, oder so etwas wie das iPad? Wird im digitalen Zeitalter das Schreiben auf Papier zwangsläufig verdrängt durch getippte Schrift und Multimedia? Das wäre schade. Papier ist eine großartige Technologie. Ein heller Schirm, auf dem ich eingeben kann, was ich will: Schrift, Bilder, Text. Und als Verlängerung der Hand ist der Stift viel unmittelbarer als Tastatur oder Maus. Ich spüre, was ich schreibe, und danach sehe ich meine eigene, unverwechselbare Spur. Sogar in Internet-Erklärvideos erleben wir eine Renaissance von Handzeichnungen: Sie sind bessere Denkwerkzeuge als die perfekten Computergrafiken.

Das Problem: Handschrift ist analog und eigensinnig, aber in der Wissensgesellschaft speichern wir unser Wissen im digitalen Raum und bearbeiten es gemeinsam. Künftig gilt: Wissen, das nicht im Netz ist, ist jetzt schon vergessen. Aber Wissen, das ich mir nicht wirklich selbst angeeignet und eingeprägt habe, vergesse ich genauso. "Lebenslange LernerInnen" brauchen also Brücken zwischen den analogen, persönlichen Livemedien und dem digitalen, überpersönlichen Raum. Medien, die quasi Amphibien sind zwischen Bildschirm und Papier.

3.

Der LiveScribe ist ein etwas dickerer Stift, mit dem man ganz normal auf Papier schreibt. Aber er kann noch ein paar Dinge mehr: Erstens zeichnet er (wie andere digitale Stifte) das eigene Schreiben oder Skizzieren digital auf – den ganzen Vorgang, nicht nur das Resultat. Wenn man den Stift an den PC anschließt, werden diese Aufnahmen automatisch in kleine Schrift-Videos umgewandelt, die sich speichern, bearbeiten, austauschen, hochladen, kommentieren lassen. Der LiveScribe kann aber auch Tonfilme: Er nimmt nämlich parallel auf, was während des Schreibens gesprochen wird.

Stift und Computer

Schüler können so zu Hause bei der Mathematikaufgabe ihren Denkweg beschreiben. Lehrer können Musterlösungen aufnehmen und kommentieren. Der LiveScribe ist aber nicht nur ein Eingabegerät, sondern selbst eine Art Computer, der quasi das Papier zum Bildschirm macht. Aus dem Menü wählt man aus, indem man mit der Spitze auf Befehle auf dem Papier "klickt". So kann man sich etwa auch besondere Stellen eines Vortrags wieder anhören, zu dem man sich Notizen gemacht hat: Man tippt einfach mit dem Stift auf die konkrete Notiz dazu und hört dann genau das, was währenddessen gesprochen wurde.

Aber vor allem lässt sich mit dem LiveScribe das Handschreiben zu einer zentralen Kulturtechnik der digitalen Ära weiterentwickeln. Bisher wird Schreiben in der Schule ja kaum als Denkwerkzeug genutzt. Abschreiben von der Tafel und Heftdiktat werden aber künftig überflüssig durch Tablets und digitale Arbeitsblätter. So entlastet, lässt sich üben, was künftige "WissensarbeiterInnen" unbedingt brauchen: freies Mitschreiben, Verschlagworten, Aufzeichnen und Entwickeln von Gedanken in Schrift und Bild, Festhalten von eigenen Ideen und Fragen.

Mit dem LiveScribe bleibt all das nicht mehr eingesperrt im eigenen Heft, sondern kann jederzeit eingespeist werden in das große, lebendige Netzwerk von lebenslangen LernerInnen, das wir "Internet" nennen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.