die wahrheit: Halali mit Doppellöffel

"Mann, Raimund!", polterte ich ins Telefon: "Du kannst nicht jedes Schäfchen retten, das einsam durch diese Stadt irrt, begreif das endlich!" Ich hatte ihn seit Tagen nicht gesehen ...

"Mann, Raimund!", polterte ich ins Telefon: "Du kannst nicht jedes Schäfchen retten, das einsam durch diese Stadt irrt, begreif das endlich!" Ich hatte ihn seit Tagen nicht gesehen - jetzt wusste ich, warum: In die Dachmansarde zwei Stockwerke über seiner Wohnung war eine neue Studentin eingezogen, und selbstverständlich hatte es sein großes Herz gerührt, als er sie Farbeimer und Umzugkartons aus dem Auto laden sah. "Vor kaum einer Woche hat sie noch in ihrem Kinderzimmer bei Mama und Papa gewohnt", sagte er. "Nun ist sie hier. Allein in der großen, fremden Stadt."

Also zog sich Raimund seinen alten grauen Overall an, strich Wände, baute Regale zusammen und bestellte mittags bei "Oetjes Öko-Taxi" Zucchini-Hirsotto, damit Beate, denn so hieß die Studentin, auch was Gesundes zu essen bekam. An diesem Abend aber brauchte er Hilfe. Meine Hilfe. Denn Doppellöffel war ausgebüxt und hoppelte durch seine Wohnung.

"Doppellöffel?", fragte ich. "Ja", sagte er, "ein Kaninchen. Natürlich habe ich es nur vorübergehend ,Doppellöffel' genannt, bis Beate ihm einen richtigen Namen gibt." - "Wieso besitzt du auf einmal ein Kaninchen, und was hat diese Studentin damit zu tun?", rief ich. "Na ja", sagte er, "ich will es ihr schenken. Aber es ist aus seinem Käfig ausgerissen und nagt an allem herum, was sich kleinraspeln lässt: Stuhlbeine, Türrahmen, Schränke - schrecklich! Ich jage ihm nach, aber es entwischt mir immer wieder. Ich brauche einen Treiber, verstehst du?!" - "Absolut", sagte ich, "aber wieso schenkst du dieser Beate ein Kaninchen?" - "Na, weil sie doch keine Freunde hier hat. Und weil sie schon als Kind immer ein Kaninchen …" - "Raimund!", unterbrach ich ihn: "Du kannst …" - aber auch er unterbrach mich, denn plötzlich schrie er: "Nein, weg von den Büchern, du Teufelsbraten!", ehe die Verbindung abbrach.

Ich radelte zu ihm. Er ließ mich mit konsternierter Miene ein und hielt eine völlig zerfledderte Ausgabe von "Betty Blue" in der Hand. "Betty Blue" war sein Lieblingsbuch, denn auch darin ging es um eine Frau, die er gern gerettet hätte.

"Wo ist das Biest?", fragte ich. Raimund zuckte die Schultern. Ich schaute hinters Sofa, durchforstete das Schuhregal, leuchtete unters Bett. "Kann doch nicht sein", murmelte ich - da gab es einen Knall, und es wurde stockfinster. "Was ist los?", rief ich. "Das war die Sicherung", antwortete Raimund: "Warte." Doch bevor er sie wieder einschalten konnte, stieß ich mit dem Fuß gegen etwas Weiches, und als es hell wurde, sah ich, dass es Doppellöffel war: Er hatte ein Stromkabel angenagt und war von einer 220-Volt-Klatsche ins Jenseits geschossen worden.

"Oha!", sagte Raimund, als ich ihn herbeigerufen hatte. Dann fragte er: "Kann man aus so einem Burschen eigentlich noch einen Schmorbraten machen, wenn er von einem Stromschlag getötet wurde?" Doch ehe ich etwas sagen konnte, tauchte hinter ihm eine junge Frau auf, die erst "Mörder!" kreischte, dann "Kannibalen!" und schließlich laut schluchzend die Treppe Richtung Dachmansarde hinaufklapperte.

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kari

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