Robert Harris über Angst und digitale Macht : "Damit begann der Wahnsinn"

In seinem neuen Buch "Angst" schreibt Bestsellerautor Robert Harris über die internationalen Finanzmärkte. Ein Gespräch über die mächtige Kasino-Wirtschaft und moralbefreite Mathematiker.

Robert Harris ist sich sicher: "Jeder, der sich näher mit den Finanzmärkten beschäftigt, wird ziemlich verängstigt sein." Bild: dapd

taz: Herr Harris, Sie haben über Pompeji geschrieben, über Cicero und das antike Rom, über die Nazis, und in Ihren neuen Buch, "Angst", geht es nun um ein hochaktuelles Thema: die internationalen Finanzmärkte und wie sie außer Kontrolle geraten. Wieso sind Sie in die Gegenwart gesprungen?

Robert Harris: Was mich als Schriftsteller am meisten interessiert, ist das Thema Macht, in welchem historischen Kontext auch immer. Vor rund zwölf Jahren hatte ich die Idee für eine neue Version von Orwells "1984". Was, wenn die Freiheit des Einzelnen nicht vom Staat, sondern von einem Konzern bedroht wird? Bill Gates Buch "Business @ the speed of light" hat mich sehr beeinflusst. Darin spricht er vom digitalen Nervensystem von Unternehmen, von Algorithmen, die selbstständig alles verwalten. Das klang wie ein Orwellscher Albtraum.

In Ihrem Thriller ist es der selbstlernende Algorithmus Vixal-4, der übermächtig wird, indem er die Märkte und die sozialen Medien nach Anzeichen von Angst durchsucht und auf dieser Basis Marktentwicklungen vorhersagt.

Nach der Lehman-Pleite war mir klar: Hedgefonds, die mithilfe von Computern Milliarden dealen, das ist die Geschichte. Wie wir als Spezies mit weltweiten technologischen Netzwerken eine Art von Intelligenz erfinden, die uns bald überlegen ist: weil sie schneller lernt und frei von unsere Schwächen wie Angst, irrationalem Handeln oder dem massiven Verbrauch von Ressourcen ist. Wird also in 50, 100, 300, 1.000 Jahren die Logik, die durchs Universum rast, eher digital sein und nicht mehr die des hoffnungslosen, sterblichen, neurotischen Homo sapiens?

Und wie weit ist es schon mit der digitalen Macht?

54, ist Historiker und Journalist. Er arbeitete als Reporter bei der BBC und als Autor für britische Tageszeitungen, bevor er 1992 mit "Vaterland" einen internationalen Bestseller schrieb. Der Inhalt: Adolf Hitler hat den Krieg gewonnen und regiert noch immer über Deutschland. Auch in seinen Büchern "Pompeji", "Imperium", "Titan" und "Enigma" dreht sich alles um Macht und Fall.

Weltweit hat Harris bereits mehr als 6 Millionen Bücher verkauft. Seine Bücher wurden auch verfilmt, am prominentesten ist Roman Polanskis "Ghostwriter" nach einem Roman von Harris, in dem er mit seinem ehemals guten Freund, Großbritanniens ehemaligem Premierminister Tony Blair, abrechnet. Robert Harris jüngste Veröffentlichung ist der Thriller "Angst" aus dem Englischen von Wolfgang Müller, Heyne, München, 384 Seiten, 19,99 Euro

73 Prozent aller Transaktionen des US-Aktienhandels in New York werden von Computern getätigt. Am 6. Mai 2010, dem Tag des "Flash Crash", an dem mein Buch spielt, wurden in New York an einem einzigen Tag 19,4 Milliarden Aktien gehandelt. Das ist mehr als in den gesamten sechziger Jahren. Diese Menge ist nur mithilfe von Computern zu schaffen. Ein riesiger Hedgefonds geriet an diesem Tag außer Kontrolle und löste einen Crash aus. Diese Geschwindigkeit, diese Summen, so viel davon einfach automatisch! Das hätte ich mir nicht besser ausdenken können. Und Finanzprogramme scannen bereits Twitter und Facebook.

Alex, die Hauptfigur in Ihrem neuen Roman, ist kein aalglatter Banker, sondern ein genialer Wissenschaftler, der eigentlich am Kernforschungszentrum Cern in Genf Karriere machen wollte.

Ja, das hat mich bei der Vorrecherche am meisten verblüfft. Ich hatte dieses Klischee von den anzugtragenden, geldgierigen Bankern mit Wirtschaftsabschluss. Aber in Genf, wo sich viele Hedgefonds ansiedelten, um Steuern zu sparen und harten Reglementierungen zu entgehen, engagierten sie Mathematiker und Physiker, alle mit Doktortitel und unter den besten 15 Prozent ihres Jahrgangs. Die waren alle jung, sahen aus wie Studenten und interessierten sich nicht für Geld, nicht für Moral, sondern nur dafür, ob ihre Berechnungen stimmen.

Diese Leute tüfteln dann etwas aus, was keiner mehr versteht?

Damit begann der Wahnsinn, ja. Die hoch qualifizierten Wirtschaftsexperten verstanden auch nicht, was da passierte. Keiner hatte mehr einen Sinn dafür, was wie viel wert war, weil keiner es mehr erfassen konnte. Wir haben die Kontrolle über die Finanzmärkte verloren. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde der Markt zur Gottheit erklärt, zu einer Art moralischen Instanz, die alles regeln konnte und möglichst frei agieren sollte. Das ist so, als würde man Handgranaten im Supermarkt verkaufen. Es ist sehr gefährlich und dumm - und wir zahlen nun alle dafür.

Warum hat die Politik die Handgranaten nicht aus den Regalen geräumt?

Sie haben sich alle tief vor dem Markt verbeugt. Auch die linken Politiker, zumindest in Großbritannien, wollten zeigen, dass sie dem Gott des Marktes ebenso huldigten wie die konservativen. Wir wurden 25, 30 Jahre lang dahin erzogen, das zu bekommen, was wir wollen, und zwar jetzt. Egal ob das Geld dafür da ist oder nicht. Wir haben alle aufgehört, unsere Schulden zu bezahlen.

Steht auf der Quittung nun ganz dick und rot unterstrichen: ,Neue Zahlungsmoral, jetzt!'?

Ja, auf jeden Fall. Wir brauchen eine neue Moral. Ein Schlüsselmoment für mich war vor etwa einem Monat, als der britische Premier David Cameron auf dem Parteitag an die Einzelnen appellierte, dass sie ihre Kreditkartenrechnungen bezahlen sollen - und der Staat müsse dasselbe tun. Es gab einen Aufschrei der britischen Handelskammer, der Industrie, von Ladenbesitzern. Der Satz wurde aus dem veröffentlichten Redemanuskript herausgestrichen. Aus Angst, das könnte die Rezession anheizen.

Weil der Premierminister sagt, die Leute sollen keine Schulden machen?

Wir sind offenbar solche Konsumjunkies, dass man uns nicht verbieten darf, neue Sachen zu wollen und zu kaufen, auch wenn wir das Geld nicht haben. Nur das hält das System in Gang. Es ist Irrsinn. Denn das Verlangen nach Dingen, die wir nicht bezahlen können, hat uns in das ganze Elend geführt. Diese alte Idee vom ewigen Wachstum ist tot. Die grüne Agenda könnte immer mehr zur Orthodoxie werden, politisch gesehen. Ich rede dabei nicht vom Klimawandel, sondern vom Konsum. Und von der Frage, was gutes Leben ist. Abseits vom neuen Flachbildfernseher.

Was kann die Politik tun, um die Leute dem guten Leben jenseits des Fernsehers näher zu bringen?

Sie muss all die Lockerungen zurücknehmen, die in den 80er Jahren gemacht wurden. Wir brauchen eine Transaktionssteuer. Diese Kasino-Wirtschaft, die so mächtig geworden ist, ist nicht produktiv, sondern destabilisierend und muss beschnitten werden. Was auch immer in Europa nun passieren wird, es wird sich etwas verändern. Die Bevölkerung altert, das Wirtschaftswachstum ist langsamer, die Schulden sind riesig. An die Trickle-down-Theorie, wonach Wachstum und Wohlstand nach und nach auch den unteren Schichten zugutekommt, glaubt keiner mehr. Und dass die Manager sich selbst so hohe Boni zahlen, das alles muss sich ändern. Es wird eine Gegenreaktion auf all das geben, was in den letzten 20 Jahren Konsens war. Die Occupy-Bewegung ist ein Anfang.

Ihr neues Buch trägt den Titel "Angst". Wurde es Ihnen bei der Recherche nicht manchmal bange?

Jeder, der sich näher mit den Finanzmärkten beschäftigt, wird ziemlich verängstigt sein. Das System, in dem wir leben, die ganze Geschichte der Zivilisation, ist auf Vertrauen aufgebaut. Vertrauen darauf, dass das Geld, das du auf einer Bank einzahlst, dann da auch liegt. Doch wenn jeder zur Bank gehen würde und sein Geld abheben wollte, wäre das System an einem Morgen Geschichte. Das zu erkennen ist ganz schön beängstigend. Die Lehman-Pleite und die Finanzkrise 2008 waren ungleich bedeutender als 9/11. Wir haben das eigentliche Problem aus den Augen verloren und uns reingesteigert in al-Qaida, als wäre es die Rote Armee. Dabei findet an den Finanzmärkten die wirklich wichtige Geschichte statt.

Von Cicero über Hitler hin zum Finanzgenie - was haben Sie durch Ihre Bücher über den Menschen gelernt?

Dass die Menschen sich nicht groß ändern und die großen Themen auch nicht. Macht, Hass, Zerstörung, die Frage: Was hält eine Gesellschaft zusammen? - all das kommt wieder und wieder. Was die Geschichte aber auch zeigt, mit dem Untergang Pompejis oder den Nazis etwa, ist: Die Menschheit hat schon Schlimmeres überstanden.

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