Arbeitsmarktpolitik: Senat setzt soziale Projekte aufs Spiel

Rot-Schwarz wollte das Ende des "Öffentlich geförderten Beschäftigungssektors" (ÖBS). Für Ersatz hat der neue Senat nicht gesorgt. Soziale Projekte stehen nun vor dem Aus.

Wer schiebt in Zukunft? Auch Mobilitätshelfer waren über ÖBS finanziert. Bild: dpa

"Es ist noch nichts beschlossen, wir sagen noch nichts, wir haben doch gerade erst angefangen." Während sich die frisch gebackene Arbeitssenatorin Dilek Kolat erst einmal in die komplexe Materie einarbeiten muss und noch nicht einmal einen Staatssekretär an ihrer Seite hat, stehen viele kulturelle und soziale Projekte vor dramatischen Kürzungen oder sogar vor dem Aus. Allein im November liefen 465 staatlich finanzierte Beschäftigungsmaßnahmen aus, Ende Dezember kommen noch einmal 267 dazu.

Die rot-schwarze Koalition war sich von Anfang an einig, dass sie den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS), einst Vorzeigeprojekt der Linken, beerdigen will. Der ÖBS verschaffte Langzeitarbeitslosen, die auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance hatten, sozialversicherungspflichtige Jobs, die dem Gemeinwohl dienen. Das Land stockte dafür vom Bund finanzierte Maßnahmen bis zur Höhe des Mindestlohns auf.

Dem neuen Senat ist der ÖBS zu teuer, zu ineffektiv und erreicht zu wenig Leute. Auch auf Bundesebene laufen die alten Beschäftigungsmaßnahmen aus. "Für Langzeitarbeitslose, die schwer in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar sind, werden wir auch weiterhin Programme haben", versprach indes Senatorin Kolat am Sonntag in der RBB-Abendschau. Für Berlin wichtige "bestehende Projekte der öffentlich geförderten Beschäftigung sind zu sichern", heißt es außerdem in den von Klaus Wowereit (SPD) am Dienstag vorgelegten Regierungsrichtlinien. Trotz aller Versprechungen: Genau diese Projekte sind längst in Gefahr.

Projekte wie Mobidat: Der Verein Albatros pflegt mit 196 ÖBS-Stellen eine Datenbank zu barrierefreien Einrichtungen Berlins, berät Menschen mit Behinderungen bei der Wohnungs- oder Arztsuche. Susanne Hellwig ist Leiterin der Dateneingabe, ihre Stelle lief bereits am 30. November aus. Nun arbeitet sie ehrenamtlich für Mobidat. "Ich muss ja meine Mitarbeiter noch zu Ende betreuen", so Hellwig. Doch auch für diese ist am 31. Dezember Schluss. "Für uns ist das Ende vom ÖBS der Zusammenbruch", sagt Hellwig. Nur in einem ganz geringen Umfang könne das Projekt im Jahr 2012 fortgeführt werden.

Auch kleine Vereine trifft die fehlende Anschlussfinanzierung. Der Verein "Locked-In-Syndrom" berät seit zehn Jahren zu der gleichnamigen Krankheit, bei der Betroffene in ihrem Körper "eingeschlossen" sind und sich weder bewegen noch sprechen können. Vier der zehn Vereinsstellen waren bis November durch ÖBS finanziert. Auch die von Sekretärin Karin Hohnert: "Wenn wir nicht bereit wären, ehrenamtlich weiterzumachen, könnten wir hier schließen."

Über 70 weitere Vereine sind allein im November und Dezember vom Wegfall der ÖBS-Stellen betroffen. Einigen hilft zumindest vorerst ein noch vom alten Senat auf den Weg gebrachtes Instrument: Bei der sogenannten Bürgerarbeit zahlt der Bund 900 Euro, das Land gibt weitere 400 Euro dazu. Genau so viel wie bei ÖBS-Stellen. Die Stellen müssen allerdings bis Ende des Jahres beantragt und genehmigt werden. Außerdem haben sich einige Bezirke grundsätzlich gegen die Maßnahme entschieden.

"Damit wird die Kluft zwischen Arbeitenden und Langzeitarbeitslosen wieder größer", sagt Holger Förster vom Verband für Interkulturelle Arbeit VIA. Kiezlotsen vermitteln bei VIA zwischen Migranten und Behörden. Zumindest 16 von einst 38 Stellen konnte der Verein durch Bürgerarbeit erhalten. "Aber die ÖBS-Beschäftigten mussten wir fast alle in die Arbeitslosigkeit entlassen, die Neuen müssen wir erst qualifizieren", so Förster. Die einmal geschaffene Infrastruktur könnten sie so nicht aufrechterhalten.

Der Chefin des Frauenhilfevereins Paula Panke, Astrid Landero, nützt die Bürgerarbeit gar nichts. Im Bezirk Pankow könne man die Maßnahme nicht beantragen, alle anderen Gesuche seien abgelehnt worden. 16 ÖBS-Stellen laufen Ende Januar bislang ersatzlos aus. Die ehemaligen Langzeitarbeitslosen haben allein 2011 über 150 Kinder berufstätiger Eltern außerhalb der Kitazeiten betreut. Dieses Angebot müsse sie dann einstellen, sagt Landero. Eine solche Situation, in der sowohl Bund als auch Land versagen, habe es noch nie gegeben.

"Viele Vereine können es noch gar nicht fassen und hoffen, dass in letzter Minute doch noch eine neue Maßnahme geschaffen wird", so Landero. An die bislang tatenlose Senatorin Kolat hat der Verein Paula Panke einen Protestbrief geschrieben.

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