Neues Album der Klangkünstler Pirx: Lustige Geräusche

Das Köln-Berliner Duo Pirx steht für Experimentalmusik. Auf ihrem neuen Album "Sie sind hier jetzt" erforschen sie die Welt der gefundenen Klänge.

Pirx - Retro-futuristische Raumfahrer: Marion Wörle und Maciej Sledziecki. Bild: autopilot

Musik ist die Unterscheidung des Tons vom Geräusch und von der Stille. Damit spielt die Musik von Pirx. Fast alle Stücke ihres zweiten Albums "Sie sind hier jetzt" beginnen nämlich mit einem Geräusch.

Noch recht konventionell mögen in diesem Fall Kuhglocken sein, die den Reigen von "Sie sind hier jetzt" eröffnen. Sie sind ohnehin auf der Schwelle zwischen nützlichem und tradiertem musikalischem Geräusch. Der Rest ist Fiepen, Rascheln, Summen, Pfeifen, Knarzen, Klappern, Klackern, Poltern, Klopfen und Piepen.

Natürlich belassen Pirx die benutzten Geräusche nicht in ihrem Urzustand. Sie sind auf dem Laptop von Marion Wörle bearbeitet. Wörle, die auch als Frau W solo auftritt, hat die Geräusche zerstückelt und zerkleinert, zurechtgeschnitten und -gefeilt.

Langsam werden sie, wenn sie oft auch nur als Fetzen zu hören sind, im Lauf der Stücke dann wieder eingeholt. Diesen Prozess führen Pirx vor: vom Geräusch zum Loop, der sich mit den Gitarrenakkorden von Maciej Sledziecki, dem anderen Teil des Duos, vermischt zu etwas, das dann so strukturiert ist, dass man es Song nennen kann.

Pirx bewegen sich in dem Spielraum, den die Berliner Echtzeitmusikszene geschaffen hat. Wenn man ihre musikalischen Erzeugnisse Songs nennt, dann bedeutet das hier nicht, dass Gesungenes eine Rolle spielt, sondern, dass sie sich aus den Geräuschen und dem Sound der Gitarre Strukturen schaffen.

Mit Humor und elektronischen Schafen

Die Idee der Echzeitmusik, eine im Nachwendeberlin entstandene Strömung, liegt in der Verbindung von Neuer Musik und vermeintlich populären Genres wie Pop, Punk oder Jazz. Echtzeitmusik ist die endgültige Abkehr von der nutzlosen Unterscheidung zwischen E- und U-Musik.

Pirx, Altkölner und Neuberliner, bestehen auf der Wertlosigkeit dieser Unterscheidung und kontern sie mit Humor. Ihre Herangehensweise ist auf angenehme Weise unernst. So streng - sofern man das von im Geist des Experiments erzeugter Musik überhaupt sagen kann - sie strukturell vorgehen, so wenig verbissen geben sie sich sonst.

Der Auftaktsong ihres neuen Albums heißt "Electric Sheep" und setzt mit den schon erwähnten Kuhglocken ein, die zu Schafsglocken umfunktioniert werden. Dazu meint man ein Schafsblöken zu hören. Es verwandelt sich im Laufe des Stücks in ein Wechselspiel von Gitarren- und Kazoodrones. Auf die elektrischen Schafe folgt "Unkraut", das Krautrockanleihen mit Nasenflöte kombiniert - nicht nur die Vorstellung dieser Kombination ist kurios.

Nicht zu verbissen zu sein, heißt immer auch die Erwartungen zu unterlaufen. Mehrmals hört man psychedelische Anklänge, die sofort entkräftet, lächerlich gemacht werden, um die Hörer nicht allzu sehr in Sicherheit zu wiegen. Oder man wird wie im Stück "I dream of Jeannie" auf die Fährten von Fahrstuhlmusik gelockt, die sich selbstverständlich als falsch herausstellen.

Es ist aber nur das eine Element der Klangwelt von Pirx, Muster, Rhythmen und Klangfetzen aus Pop, Rock, Psychedlic und Lounge zu verwenden, um sie dann, wenn nicht ironisch, dann doch mit Humor zu brechen.

Schon ihr Name, - er spielt auf einen Piloten aus Stanislaw Lems Erzählung "Die Verhandlung" an- , verweist darauf: Große Teile des Geräusch-Repertoires und der durch ihre Stücke erzeugten Stimmungen erinnern an Soundtracks von Science-Fiction-Filmen, vor allem der Art, deren Stil wir heute als retro-futuristisch wahrnehmen. Naheliegend ist in dieser Hinsicht natürlich die polnisch-sowjetische Co-Produktion "Test pilota Pirxa" - deutscher Titel "Testflug zum Saturn"-, für die der estnische Komponist Arvo Pärt die Musik beigesteuert hat.

Der fremde Planet

Müsste man sich einen Ort zu Pirx vorstellen, wäre es der Maschinenraum eines Raumschiffs. Piepende und blinkende Maschinen halten durch wuchtige Drehungen das Schiff in der Luft. Die Loops gemahnen nicht nur in ihrer Wiederholung, sondern auch in ihrer Wellenform selbst oft an die Form der Schleife. Insofern könnte man den Albumtitel "Sie sind hier jetzt" auch als die Bekanntgabe einer Landung auf einem fremden Planeten lesen.

Dieser fremde Planet ist für Pirx die Welt der Geräusche. Herrschte auf dem Debütalbum "Deleted Scenes" noch ein wenig Unsicherheit, welche Teile des Planeten man erforschen solle, haben Pirx mit ihrem neuen Album ihre Zelte in einem ganz bestimmten Teil aufgeschlagen. "Sie sind hier jetzt" ist von "Electric Sheep" bis zu den sphärischen Endstücken "Steam" und "Staub" aus einem Guss - bis man nur noch Rauschen hört. Alle Musik endet eben auch mit einem Geräusch.

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