Kolumne Über Ball und die Welt: Jude, Judas, Judentor

Ein so genanntes "Judentor" sei ein angeblich "parasitär" erzielter Treffer. Diese und ähnliche Ansichten werden nicht nur von Einzelnen geäußert - sie kommen aus den Kurven.

Ein großes Spiel bringt neue Begriffe hervor. Da muss man weder ans Wembley- noch ans Helmer-Tor erinnern, da genügt auch ein Blick auf die aktuelle Premier League in England. 5:3 hatte dort Ende November Arsenal gegen Chelsea gewonnen, und ein Tor des Arsenal-Stürmers Robin van Persie wurde mit einem bis dato nur selten benutzten Begriff belegt.

Ein "Jew Goal", ein "Judentor", habe er geschossen, so war in englischen Fanforen zu lesen. In einem sich selbst als lustig verstehenden "Urban Dictionary" findet sich diese Definition: "Der Begriff beschreibt den Typ eines im Fußball erzielten Tores, bei dem ein Spieler in einer Zwei-gegen-eins-Situation querspielt." Der Stürmer brauche also nur noch einzuschieben; man könne, heißt es im - kicher, kicher - satirischen Lexikon weiter, den Begriff "auch im wirklichen Leben verwenden", denn so etwas sei ja "unter Zionisten üblich".

Ist das nur vereinzelter Nazidreck, wie man ihn so oft in Internetforen findet? Hm, zumindest ist es derart vereinzelt, dass es schon eine Facebookgruppe "The Jew Goal" mit über 9.000 Freunden gibt. Und so vereinzelt, dass es bei YouTube eine ganze Reihe an Beispielen für solche "Judentore" gibt, die auch x-tausendfach geklickt werden. In den Foren heißt es, bei "Jew Goals" würde sich der gefeierte Torschütze die ganze Arbeit von Kollegen machen lassen. Irgendwie parasitär halt.

Schon ahnt man, warum das Tor, das angeblich nicht nach dem Ehrenkodex anständiger Toreschießer erzielt wurde, nicht Christen-, nicht Buddhisten- und nicht Muslimtor heißt. Der Begriff knüpft an das antisemitische Bild vom Juden als Parasiten an, der von anderer Leute Arbeit lebe.

"Jude" ist gleich "Schieber"

Also doch ein Begriff, der von Nazis erfunden wurde, um ihn dem Fußball, der doch an sich mit so etwas nichts zu tun hat, überzustülpen? Ein Missbrauch des Sports? Schön wärs. Bei Fans findet sich sehr oft eine Sicht auf den Fußball, die nicht allzu weit entfernt ist von der ekelhaften Rede über "Jew Goals": Ein Profi, der den Verein wechselt, gilt oft als "Judas". Unternehmer, die in den Fußball investieren, wie etwa Chelsea-Besitzer Roman Abramovich, werden antisemitisch angegriffen. Ein Schiri, dem Schiebung unterstellt wird, gilt als "Jude".

Der Berliner Zweitligist Union wirbt gerade mit dem Spruch "Wir verkaufen unsere Seele. Aber nicht an jeden!" für seine Stadionaktie. Zu sehen sind eine Dose Koffeintrunk aus dem Hause "Red Bull" von Dietrich Mateschitz, Fifa-Boss Sepp Blatter und der Immer-noch-Besitzer des AC Mailand, Silvio Berlusconi.

Das Management und die PR-Firma von Union tun so, als ginge es bei ihrem Profifußball um die gute Mannesehre; anderswo hingegen beschmutze Geld das an sich reine Spiel. Sie schmeißen sich an mehr als nur Fangenörgel ran: Es gibt immer mehr Supporter, die sich gegen einen "modernen Fußball", der nur mit Geld zu finanzieren sei, wehren.

Schon vor einer Weile fiel ein Dortmund-Fan auf, der bei einem Spiel gegen Hoffenheim ein Plakat mit einem Fadenkreuz und dem Spruch "Hasta la vista, Hopp" hochhielt, gerichtet gegen Hoffenheims milliardenschweren Sponsor Dietmar Hopp. Doch hoppla: Gilt das alles etwa jetzt schon als judenfeindlich? Steht etwa jeder Widerstand gegen die Enteignung des Volkssports Fußball unter Antisemitismusverdacht? Nein, nicht jeder.

Das Prinzip der Sündenböcke

Aber vieles, was auf den Rängen geäußert wird, hat eine Tendenz zum Antisemitismus. Immer dann, wenn so getan wird, als seien schlechte Entwicklungen bloß dem bösen Willen einzelner Herren zu verdanken, wird der alte, von Antisemiten perfekt beherrschte Kniff angewandt, einzelne Sündenböcke zu suchen.

Völlig unwichtig ist übrigens der Einwand, dass Leute wie Hopp, Mateschitz, Blatter oder Berlusconi keine Juden sind. Schließlich ist die empirisch daherkommende Behauptung, Juden seien alle reich, ja auch falsch.

Die Wahrheit ist wie so oft traurig: Dass Fans glauben, von "Jew Goals" und ähnlichem schwadronieren zu dürfen, ist nichts dem Sport Fremdes. Es kommt, leider, aus dem Fußball selbst, aus den Kurven, von den Fans.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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