Neue Facebook-Studie: Großer Mythos „kleine Welt“

Facebook will Angaben von 721 Millionen aktiven Nutzern ausgewertet, eine Analyse von 69 Milliarden Freundschaften erstellt haben. Nur: Was sagt das aus?

Was die Welt zusammenhält. Bild: Photocase / table

Dass die Welt immer kleiner wird, immer vernetzter, ist eine Binsenweisheit. Bereits Mitte der 60er Jahre stellte Stanley Milgrams seine „Kleine Welt‘-Theorie auf, die besagt: Jeder Mensch ist mit jedem anderen Menschen über sechs Ecken bekannt. In keinem Artikel über Vernetzung darf diese These fehlen, dutzende Male ist das Phänomen neu untersucht worden.

Milgram hatte seinerzeit auf 296 Probanden zurückgegriffen, inzwischen ist die Datenlage deutlich breiter. Jetzt hat Facebook die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, die auf die Angaben seiner 721 Millionen aktiven Nutzer fußt, also: über zehn Prozent der Weltbevölkerung. Die Analyse von deren 69 Milliarden Freundschaften ist die bis dato umfassendste Netzwerkanalyse.

Zwei zentrale Ergebnisse gehen aus der Studie hervor: Erstens hat sich der Grad der Vernetzung – wenig überraschend – verringert, auf inzwischen 3,7 Zwischenpersonen, also knappe vier Ecken. Es ist, schreiben die Autoren, die Besonderheit sozialer Netzwerke, dass einerseits jedes Mitglied mit jedem anderen Mitglied innerhalb weniger Schritte in Kontakt treten kann; dass sie aber andererseits auch starke lokale und altersspezifische Ballungen aufweisen.

84 Prozent der Beziehungen innerhalb der Landesgrenzen

Die Alterklassen bleiben gern unter sich, selbst 60jährige haben vor allem 60jährige Freunde, und 84 Prozent der Beziehungen spielen sich innerhalb der Landesgrenzen ab.

Und zweitens hat ein Facebook-Nutzer im Schnitt nur um die hundert Freunde: die Verbindung in alle Teile der Welt gehen über einige wenige Knotenpunkte, sogenannte Hubs. Es ist bekannt, dass Neumitglieder bevorzugt an bereits stark etablierte Knoten andocken, deren Popularität ab einem gewissen Grad von selbst wächst.

Weil sich soziale Netzwerke über solche Kulminationspunkte organisieren, hält die Psychologin Judith Kleinfeld das „Kleine Welt“-Phänomen für einen Mythos: Tatsächlich ist die Welt nur für einige wenige sehr klein. Bereits 2002 schrieb sie, die Eleganz und Schönheit der These überdecke die Tatsache, dass die Welt nach wie vor von sozialen Grenzen (wie Hautfarbe und Klasse) definiert sei.

Übersichtliche Ordnung

Als Kleinfeld ihre Kritik formulierte, war die Faktenlage noch nicht derart ausdifferenziert: Empirisch, schrieb sie, könne man Milgrams Theorie nicht belegen. Sie fand zwei psychologische Motive, warum sich das „Kleine Welt“-Phänomen trotzdem so großer Beliebtheit erfreue: Die Vorstellung, dass die als unübersichtlich und chaotisch empfundene Welt im Kern doch einer übersichtlichen Ordnung folgt, vermittelte den Befragten Sicherheit; und die Personen, die von ihren „Welt als Dorf“-Momenten erzählten, hatten wenig Sinn für Koinzidenz (stattdessen aber für Vorsehung).

Kleinfeld fordert deswegen eine empirische psychologische Untersuchung des Phänomens. Denn die Frage, wie schnell man jeden Facebook-Nutzer erreichen kann, ist zwar interessant für Kampagnenforscher, ob sie sich nun mit Werbung oder mit Shitstorms befassen.

Aber dass jeder jeden über durchschnittlich vier oder sechs Ecken kennt, klingt nur deswegen verblüffend, weil noch niemand herausgefunden hat, was das bedeutet: Zwar sind wir gewohnt, sechs (oder vier) als sehr kleine Nummer zu denken, aber in einem praktischen Sinn, sagt Kleinfeld, „könnte das auch eine große Anzahl sein“.

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