Linke vor Progammparteitag: "Wir werden keine Kriegspartei"

Die Vertreterin des linken Flügels, Christine Buchholz, und der Reformer Stefan Liebich sind sich über Bundeswehreinsätze im Ausland nicht einig.

Umstrittene Missionen: Zu UN-Einsätzen wie im Südsudan gibt es in der Linken verschiedene Positionen. Bild: dapd

taz: Frau Buchholz, Herr Liebich, beim Programmparteitag an diesem Wochenende streitet die Linke darüber, ob es vertretbare Einsätze der Bundeswehr im Ausland gibt. Was steht in Erfurt auf dem Spiel?

Christine Buchholz: Wir werden in Erfurt mit großer Mehrheit Bundeswehreinsätze im Ausland ablehnen und fordern, die Bundeswehr aus den laufenden Einsätzen zurückzuholen. Die Bundeswehr ist in den letzten zwanzig Jahren in immer mehr Einsätze geschickt worden - meist mit humanitärer Begründung. Diese Entwicklung lehne ich ab. Ließen wir Auslandseinsätze im begrenzten Rahmen zu, setzten wir damit unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

Herr Liebich, was steht für Sie auf dem Spiel?

CHRISTINE BUCHHOLZ, 40, gehört zum linken Parteiflügel. Sie ist seit 2009 im Bundestag und ist dort im Verteidigungsausschuss engagiert.

STEFAN LIEBICH, 39, gehört zum Reformerflügel der Linkspartei. Seit 2009 ist er im Bundestag und hat sich dort als Außenpolitiker profiliert.

Stefan Liebich: Der Programmentwurf geht bei der Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Ausland viel zu weit. Demnach sind gar keine mehr gewünscht: nicht bei Hungerkatastrophen, nicht bei Wahlbeobachtungen, auch nicht bei Blauhelmeinsätzen, die von den Konfliktparteien gewünscht werden. Ich will nicht den Weg von SPD und Grünen gehen, aber das Nein in dieser Form halte ich für übertrieben.

Frau Buchholz, warum sind Sie so strikt gegen alle Einsätze?

Buchholz: Es wird natürlich nicht offen gesagt, aber mit kriegerischen Mitteln werden offensiv wirtschaftliche Interessen vertreten. Die Bundesregierungen seit 1989 haben den Weg zur Einsatzarmee geebnet, der eine neoliberale Wirtschaftsordnung zementiert und die Probleme weiter verschärft. Es gab weltweit bis 1989 gerade einmal 44 UN-mandatierte Einsätze nach Kapitel VII.

Also militärische UN-Einsätze?

In den zehn Jahren danach wurden daraus mehr als 160. UN und Nato vertreten vor Ort offensiv wirtschaftliche Interessen mit militärischen Mitteln.

Wie steht es um humanitäre Verantwortung? Soll die UN wie in Ruanda Völkermorden zuschauen?

Buchholz: Ich bin nicht gleichgültig gegenüber Verbrechen. Wir müssen an den Ursachen ansetzen - bevor es zu Verbrechen kommt. Dazu muss man die Hintergründe verstehen. Zum Beispiel der UN-Einsatz in Osttimor: Der Westen hat Suharto aufgebaut und unterstützt. Nachdem sich die Situation geändert hat, unterstützte die UNO ein Referendum, ließ die marodierenden Milizen gewähren - und schickte dann Friedenstruppen, als die Kämpfe größtenteils vorbei waren. Dahinter steckt kein humanitäres Interesse, sondern ein langfristig wirtschaftliches. Dieser Ansatz ist kolonial, nicht links.

Liebich: Natürlich war es richtig, dass die UN in Osttimor die Ermordung der Zivilbevölkerung beendet hat. Und es ist viel zu kurz gegriffen, zu sagen: Es geht immer nur um Öl und Bodenschätze. Es stimmt: Es gibt keine interessenlose Außenpolitik. Und es gibt manchmal mühsam mit Menschenrechtsargumenten ummäntelte Einsätze, bei denen es um geostrategische Interessen geht. Das müssen wir aufdecken. Trotzdem, in Ruanda und Srebrenica hätte die internationale Gemeinschaft eingreifen müssen.

Buchholz: Aber diese Gewaltsituationen haben doch Ursachen.

Liebich: Ja, da haben wir keinen Streit. Aber wenn die Gewalteskalation da ist, muss unsere Partei Antworten darauf haben. Ich respektiere jeden, der aus Überzeugung Pazifist ist und selbst in schrecklichsten Situationen nicht zu Gewaltmitteln greift. Aber wir sind keine pazifistische Partei. Christine, Du bist auch keine Pazifistin.

Buchholz: Die Linke muss für zivile Alternativen eintreten. Wir müssen unterscheidbar bleiben, wenn alle anderen Parteien im Bundestag das Zivile dem Militärischen unterordnen. Wir fordern ein System des rein zivilen Katastrophenschutzes, das den UN untergeordnet ist. In den Südsudan zum Beispiel wurden weiter Soldaten geschickt, während dort die einzige Stelle für zivile Konfliktbearbeitung Ende letzten Jahres ausgelaufen ist. Es gibt immer eine Schlagseite hin zum Militärischen.

Liebich: Ich sehe diese Gefahr. Aber wir haben doch schon jetzt Fälle, in denen Linke-Politiker UN-Einsätze befürworten. Selbst Oskar Lafontaine fand einen Blauhelmeinsatz im Kaukasus sinnvoll. Und Wolfgang Gehrcke hat im Bundestag den Unifil-Einsatz im Libanon unterstützt. Das zeigt doch, dass wir die Einzelfälle prüfen müssen und nicht einfach nur nein sagen.

Riskiert die Linkspartei damit ihr Image als Friedenspartei?

Liebich: Diese Einzelfallprüfungen machen unsere Arbeit vielleicht komplizierter, aber sie sind sinnvoll. Buchholz: Aus dem Einzelfall wird doch ganz schnell ein Regelfall. Liebich: Ich verstehe Leute, die sagen: Wenn ihr diesen Schritt macht, endet ihr wie SPD und Grüne. Wir sollten uns aber nicht so misstrauen. Wir werden keine Kriegspartei.

Buchholz: Es geht nicht darum, einzelnen Abgeordneten Charakterschwäche zu unterstellen. Aber nicht mal wir haben alle Informationen. In den vergangenen Kriegen haben die Konzernmedien öffentlichen Druck geschaffen, Kriegen zuzustimmen. Diesem Sog kann man sich schwer entziehen, auch als Parlamentarierin nicht.

Nicht helfen, weil Sie nicht genug wissen - ist diese Haltung nicht zu bequem?

Buchholz: Ich finde es viel unbequemer, nicht mit dem Mainstream zu schwimmen und zu fragen, was denn die Hintergründe eines Konflikts sind. Gaddafi zum Beispiel wurde hofiert, und dieselben Leute sind auf einmal auf die Seite der Demokratie gewechselt. Das finde ich abstoßend. Es gibt tausend Möglichkeiten, Menschen zu helfen ohne Militär und ohne Rohstoffinteressen.

Halten Sie den Unmis-Einsatz im Sudan für einen kolonialen Einsatz?

Buchholz: Warum kümmert sich die Welt um den Sudan? Etwa weil allen das Schicksal der Sudanesen so am Herzen liegt? Nein, es hat Rohstoffe und viel fruchtbares Land. Das sind Triebfedern für das Engagement vieler Staaten dort, wenn auch nicht die einzigen. Und trotz dieser Intervention ist die Wahrscheinlichkeit für ein 15-jähriges Mädchen immer noch größer, bei der Geburt ihres Kindes zu sterben, als ihren Schulabschluss zu machen.

Ein Vorwurf der Parteilinken lautet: Reformer wie Stefan Liebich wollen das Nein zu Kriegseinsätzen aufweichen, um regierungsfähig zu sein. Sehen Sie das auch so, Frau Buchholz?

Buchholz: Ich nehme seine Argumente ernst. De facto ist es aber so: Wenn die Linke konsequente Antikriegspartei bleibt, wird es schwierig, zu regieren. Ich will, dass unser Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr zum Maßstab für Regierungsbeteiligungen wird. Wir müssen Pflöcke einschlagen, sonst drohen unsere Positionen im Geschacher um Regierungsbeteiligungen unterzugehen. Es gibt ja die Verlockungen der Macht.

Herr Liebich, werden Sie der Verlockung der Macht erliegen?

Liebich: Es sieht im Moment ja nicht gerade günstig für Rot-Rot-Grün aus. Mit der Verlockung ist es also nicht weit her. Regieren ist kein Wert an sich. Wir vertreten die Interessen unserer Wähler. Das geht mal besser in der Opposition, mal besser in der Regierung. Regieren auszuschließen oder mit unerfüllbaren Forderungen unmöglich zu machen, ist falsch.

Im Programmentwurf ist die Hürde fürs Mitregieren in den Ländern nun etwas niedriger. Erst hieß es kategorisch: Die Linkspartei darf sich nie am Abbau des öffentlichen Dienstes beteiligen, jetzt dürfen die Bedingungen für den öffentlichen Dienst nicht "verschlechtert" werden.

Buchholz: Die alte Formulierung war klarer. Wir haben uns da nicht durchsetzen können. Immerhin werden klar Kriterien für Regierungsbeteiligungen genannt, etwa das Nein zu Bundeswehreinsätzen. Damit kann ich leben.

Liebich: Ich auch. Mich stört, dass man ins Grundsatzprogramm schreibt, was Genossen in bestimmten Situationen nicht dürfen. Ich verstehe auch nicht, warum "kein Stellenabbau im öffentlich Dienst" ein Grundsatzziel einer linken Partei sein soll. In Brandenburg leben halt weniger Menschen als früher, es gibt Aufgaben wie die Regelung offener Vermögensfragen, die sich erledigt haben. Trotzdem soll der öffentlich Dienst gleich groß bleiben? Das ist kein sinnvolles Ziel auf Landesebene. Im Bund sieht die Sache anders aus: Der öffentliche Sektor ist zu klein. Aber es ist es falsch zu sagen: Die Linkspartei darf in Potsdam nicht regieren, weil Jobs im öffentlichen Dienst wegfallen.

Buchholz: Es gibt auch in Brandenburg von Bildung bis Gesundheit viele Aufgaben. Wir wollen konsequent den Ausbau des öffentlich Dienstes. Für die Grünen war der Atomausstieg ein Kernanliegen, für uns sind das das Nein zu Kriegseinsätzen und der Ausbau des öffentlichen Dienstes, die wir in Regierungen nicht aufs Spiel setzen. Diese Haltelinien müssen ins Grundsatzprogramm. Die Erfahrung mit Rot-Rot in Berlin hat gezeigt, dass es uns niemand dankt, wenn wir in Regierungen Erkennbarkeit verlieren.

Liebich: Nur weil die PDS in Berlin mitregiert hat, wurde die Privatisierung des größten deutschen Krankenhauskonzerns, Vivantes, verhindert. Das ist linke Politik.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.