Flüchtlingspolitik: Vermiedene Arztbesuche kosten

Die Staatsministerin für Integration will illegal in Deutschland lebende Menschen besser medizinisch versorgen. Dafür sprechen nicht nur ethische Gründe - sondern auch Kosten.

Selbst über die Minimalversorgung von illegal in Deutschland Lebenden gibt es keinen Konsens. Bild: dpa

BERLIN taz | Bei der medizinischen Versorgung statusloser Flüchtlinge landet Deutschland auf den hintersten Plätzen. Diese Bilanz zogen internationale Experten bei einer Fachtagung Ende vergangener Woche in Berlin. Selbst über die Auslegung der seit 2009 vorgeschriebenen Minimalversorgung herrscht politische Uneinigkeit, wie eine taz-Anfrage bei den zuständigen Bundesministerien ergab.

Die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer (CDU), räumte "unterschiedliche Interpretationen" ein. Das bedeutet: Die sogenannten Illegalen fürchten bei jedem Arztbesuch die Abschiebung. Deswegen verzichten viele Flüchtlinge auf Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen. Dieser Zustand sei "eine Bedrohung für die ganze Gesellschaft", sagte der Infektionsmediziner Thomas Buhk.

Zwar hat Deutschland 1973 dem UN-Sozialpakt und damit dem Menschenrecht auf medizinische Versorgung zugestimmt, aber in der Praxis "instrumentalisiert die Regierung die Gesundheitspolitik für ihre restriktive Ausländerpolitik", so der einstige Professor für Sozialmedizin, Heinz-Jochen Zenker. Deutschland gehört zu den wenigen europäischen Ländern mit einer Meldepflicht der Sozialämter an die Ausländerbehörden.

Eine Frage der Auslegung

Zwar hat eine 2009 eingeführte Verwaltungsvorschrift die Schweigepflicht der Ärzte auch auf die Sozialämter erweitert, sodass Statuslose bei der Abrechnung ihrer medizinischen Versorgung nicht mehr die Verfolgung durch die Ausländerbehörde fürchten müssen. Die umständliche Vorschrift gilt aber in der Praxis nur dann, wenn ein Krankenhaus einen quasi vom Tode bedrohten Flüchtling sofort behandeln muss. Normalerweise muss der Flüchtling zuvor erst einen Krankenschein beim Sozialamt beantragen. Und selbst über diese Auslegung gibt es keinen Konsens. So geht etwa das Bundesministerium für Arbeit und Soziales weiter von einer generellen Meledepflicht aus.

"Leichtsinnig, gefährlich und teuer für die ganze Gesellschaft" nannte Thomas Buhk vom Infektionsmedizinischen Centrum Deutschland das deutsche Vorgehen. Der Infektionsmediziner behandelt seit fast 20 Jahren HIV-Infizierte. Die Krankheit Aids breche heute fast nur noch bei Flüchtlingen aus, weil sie so spät zum Arzt gingen. Dadurch sei die Versorgung nicht nur ungleich teurer als bei frühzeitiger Behandlung. Auch das Risiko, dass der Infizierte weitere Menschen anstecke, sei um ein Vielfaches höher. Gleiches gelte für das Wiederauftauchen bereits eingedämmter Kinderkrankheiten wie etwa Masern.

Staatsministerin Böhmer machte wenig Hoffnung auf grundlegende politische Veränderungen. Sie versprach aber, bei ihren Regierungskollegen für eine einheitliche Interpretation der Vorschriften zu sorgen. Außerdem will sie die Gesundheitsminister der Länder noch in dieser Legislaturperiode zu geregelten Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen statusloser Kinder bewegen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.