Neue Züchtung Zweinutzungshuhn: Fleisch und Eier in einem

Männliche Eintagsküken werden aussortiert, danach vergast oder geschreddert. Tierschützer und Juristen kritisieren das. Abhilfe könnte eine neue Hühnerzüchtung schaffen.

Muss vielleicht bald nicht mehr gehäckselt werden: Küken. Bild: Ani Carrington | CC-BY

Die brutale Praxis in Geflügelmastbetrieben sieht so aus: Die Brüder von Legehennen werden direkt nach dem Schlüpfen aussortiert, weil sie naturgemäß keine Eier legen und es aufgrund ihrer Genetik nicht wie ihre Kollegen im Mastbetrieb auf satte 1,5 Kilogramm Gewicht in einem Monat schaffen. Jährlich werden allein in Deutschland so mehr als 40 Millionen männliche Eintagsküken vergast oder geschreddert und beispielsweise zu Tierfutter weiterverarbeitet. Auch die Biobranche arbeitet so.

Nicht nur Tierschützer prangern diese Vorgehensweise immer wieder an, auch laut verschiedenen juristischen Kommentaren wird dies als ethisch nicht vertretbar angesehen.

Bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten nahe München sucht man darum nun nach Alternativen. Angelika Gsellmann leitet auf dem Ökohof das Herrmannsdorfer Landhuhnprojekt. Dafür hält sie die reinrassigen Sulmtaler Hühner und Les Bleues, die man in Frankreich als Bressehühner schätzt.

Allein das ist außergewöhnlich, denn auch auf Biohöfen findet man normalerweise nur sogenannte Hybridhühner. Das sind kompliziert hochgezüchtete Tiere, die der Hühnerhalter nicht weiter vermehren kann, weil sie ihre hohe Leistungsfähigkeit nur sehr unberechenbar an den Nachwuchs vererben.

Kombihuhn gesucht

Das ambitionierte Projekt soll dabei helfen, sogenannte Zweinutzungs- oder Kombihühner zu entwickeln, die Eier legen und gleichzeitig ordentlich Fleisch ansetzen. Das gestaltet sich jedoch nicht einfach. Hybridhühner sind nämlich nicht geeignet für die Zucht.

Das Wissen über die ausgeklügelte Genetik der Hochleistungshühner liegt bei zwei, drei großen Zuchtfirmen, die weltweit agieren, etwa Lohmann Tierzucht in Cuxhaven oder Hendrix Genetics in den Niederlanden.

Das übliche Hybridlegehuhn ist dabei so getrimmt, dass es rund 300 Eier im Jahr legt. Nach 1,5 Jahren wird es geschlachtet, weil dann die Leistung absackt. Die weiblichen Masthühner, ebenfalls Hybride, legen dagegen kaum Eier, weil sie die ganze Futterenergie in das Ansetzen von Muskelfleisch investieren, vor allem das Bruststück ist bei den Verbrauchern sehr begehrt.

Mastlinien sind genetisch so eingestellt, dass sie in sagenhaften 28 Tagen ihr Schlachtgewicht erreichen. In der Branche spricht man daher von den "Arnold-Schwarzenegger-Hähnchen". Reinrassige Hühner können mit so einem Wachstum jedoch nicht mithalten. Daher experimentiert Angelika Gsellmann neben den reinrassigen Sulmtalern auch mit dem Bressehuhn, das in den letzten fünfzig Jahren in Frankreich züchterisch weiterentwickelt worden ist. Zudem kreuzt Gsellmann das Bressehuhn in das Sulmtaler ein, um die Mastdauer der Gockel von 26 auf 20 Wochen zu verkürzen. Ziel ist es dabei, auf ein durchschnittliches Schlachtgewicht von 1,8 Kilogramm zu kommen.

Möglichst viele Eier

Die Eierleistung der Sulmtaler liegt mit 180 Eiern pro Jahr weit unter der Leistung der Hühner in Legebetrieben. Aber bei den Les-Bleues-Hennen rechnet Gsellmann mit 250 Eiern im Jahr, was schon eine ganz passable Größenordnung ist.

Auch andernorts bastelt man am Zweinutzungshuhn - etwa am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz, wo es bereits Ende der 1990er Jahre erste Versuche gab. Kürzlich experimentierten FiBL-Forscher auf Anfrage des Bioverbands Demeter mit den Hybriden Sussex. Das Ergebnis: 13 bis 14 Wochen brauchen die Hähne bis zu ihrer Schlachtreife, die Hennen legten dafür 250 Eier jährlich.

"Die Legeleistung ist das Wichtigste für die Biobauern, weil sie die Henne länger nutzen können", so berichtet die Agrarwissenschaftlerin Esther Zeltner, die den Versuch durchgeführt hat. Auch beim Anbauverband Bioland und beim Maran-Ring Brandenburg experimentiert man mit verschiedenen Rassen und Fütterungsmethoden auf der Suche nach einem halbwegs wirtschaftlichen Kombihuhn. Die Hühner von Angelika Gsellmann haben es auch schon auf die Ladentheke geschafft.

All diese Projekte beliefern jedoch nur eine sehr kleine Nische im Markt, auch informierte Verbraucher haben also bislang kaum eine Alternative, außer ganz auf den Konsum von Eiern zu verzichten.

Um die hochgezüchteten Hybridhühner durch das Alleskönnerhuhn in weiten Bereichen zu ersetzen, bräuchte man die großen Geflügelzüchter. Bis vor Kurzem hatten Lohmann-Genetiker in eigenen Studien versucht, ein Zweinutzungshuhn zu kreieren. Diese Bemühungen wurden jedoch eingestellt, "aufgrund der Erkenntnis, dass sich die Legeleistung und der Fleischansatz gegenseitig begrenzen", meint Pressesprecher Tobias Russ. "Hierfür gibt es keine ausreichende Nachfrage des Markts."

Verbraucher will zahlen

Die Ergebnisse einer Umfrage der EU-Kommission im Jahr 2005 sprechen eine andere Sprache. Dabei gaben immerhin mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Befragten an, für Lebensmittel aus artgerechter Haltung einen höheren Preis zu bezahlen.

Katharina Reuter, die vergangenes Jahr für den Tierzuchtfonds ein Treffen zum "Zweinutzungshuhn" organisiert hat, sieht darum sehr wohl auch die Produzenten in der Pflicht. "Das Landwirtschaftsministerium müsste ein großes Modellprojekt finanzieren, und die Bioverbände müssten ein klares Bekenntnis gegen das Kükentöten aussprechen." Dann würden auch die großen Unternehmen wie Lohmann nachziehen.

Seit Kurzem widmet man sich auch bei der Lohmann Tierzucht wieder der Erforschung des Zweinutzungshuhns. In ein bis zwei Jahren will man ein solches Huhn auf den Markt bringen. Die Red.

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