Alternative Nobelpreisträgerin über Gentech: "Die sind auf Lügen spezialisiert"

Vandana Shiva über das Saatgutmonopol vom Gentech-Giganten Monsanto, Selbstmord von 250.000 indischen Bauern, Baumwolle und Einstein.

Indische Farmer pflügen ein Feld, bevor sie Baumwolle aussäen. Bild: reuters

taz: Frau Shiva, Sie kämpfen gerade gegen den Plan der indischen Regierung, die Zulassung von Gentech-Pflanzen zu vereinfachen. Aber 95 Prozent der Baumwolle in Indien ist bereits gentechnisch verändert - also scheint Gentechnik aus Sicht der Bauern zu funktionieren, oder?

Vandana Shiva: Nein. Wenn Sie in ein Saatgutgeschäft im Bundesstaat Kerala gehen, werden Sie dort nur Gentech-Baumwolle unter den verschiedenen Markennamen von Firmen finden, die der US-Hersteller Monsanto aufgekauft hat. Die Bauern müssen die Gentech-Baumwolle kaufen, weil nichts anders mehr angeboten wird.

Gibt es denn keine Konkurrenz?

Andere Saatgutfirmen knebelt Monsanto mit Lizenzgebühren und Verträgen, sodass sie nur noch seine Samen verkaufen dürfen. Und was die fünf großen Saatgutkonzerne angeht: BASF etwa ist kein Konkurrent. Sie haben Verträge und gemeinsame Forschungsprojekte mit Monsanto.

Hat die Einführung der Gentechnik den Bauern geschadet?

Wegen des Saatgutmonopols haben sich 250.000 Bauern in Indien umgebracht. Die Suizide häufen sich in den Baumwollregionen, besonders seit der Einführung der Gentech-Baumwolle im Jahr 2002. Damals sind die Kosten für Saatgut drastisch gestiegen. Deshalb machen die Bauern Schulden, die sie oft nicht mehr bedienen können - viele bringen sich dann um.

Wissenschaftler können mithilfe der Gentechnik das Erbgut etwa von Pflanzen verändern. Anders als bei der herkömmlichen Züchtung lassen sich so Gene sogar über Artgrenzen hinweg übertragen. Die meisten Gentech-Pflanzen sind gegen ein bestimmtes Pestizid resistent oder produzieren selbst ein Gift gegen Schädlinge.

Im vergangenen Jahr wuchsen nach Industrieangaben gentechnisch veränderte Pflanzen auf einer Fläche von 148 Millionen Hektar (sechsmal so groß wie Großbritannien). Das entspricht 10 Prozent der gesamten Anbaufläche. Die meisten Pflanzen kommen von dem US-Hersteller Monsanto.

Indien ist nach den USA, Brasilien und Argentinien das Land mit der viergrößten Anbaufläche für Gentech-Pflanzen. Die Industrie benutzt das indische Beispiel deshalb gern als Beleg der These, dass die Technik auch in kleinbäuerlich geprägten Entwicklungsländern Nutzen bringe.

Derzeit arbeitet die Regierung in Neu-Delhi an einem Gesetz über eine zentrale Zulassungsbehörde für Gentechnik-Pflanzen. Die Saatgutkonzerne haben diesen Plan bereits begrüßt, weil sie dann nur noch eine Institution statt wie bisher mehrere Ämter überzeugen müssten.

Auch auf der jährlichen Konferenz der Vereinten Nationen für Nichtregierungsorganisationen, die am Samstag in Bonn beginnt, diskutieren Aktivisten über die Gentechnik. Die Alternative Nobelpreisträgerin Vandana Shiva wird bei der Auftaktveranstaltung des Treffens sprechen, zu dem 1.600 Teilnehmer erwartet werden.

Die 58 Jahre alte Inderin genießt in der Bewegung gegen die Agro-Gentechnik Starstatus. Ihre Vorträge ziehen regelmäßig Hunderte von Zuhörern an. Die Umweltaktivistin und Feministin gründete 1991 die Organisation Navdanya, die traditionelles Saatgut in Indien sammelt und verteilt. Zudem schult sie Bauern in Biolandwirtschaft.Am 6. Oktober will Shiva in London einen neuen Bericht über den US-Gentechnikhersteller Monsanto vorstellen. Hauptthese: Die Gentechnik ist gescheitert.

Die Konzerne sagen, Gentech-Saatgut sei teurer, aber dafür verschaffe es den Bauern höhere Gewinne.

Nirgendwo hat die Gentechnik den Ertrag einer Pflanze erhöht. In Indien haben sie versprochen, dass Gentech-Pflanzen 1.500 Kilogramm pro Acre (0,4 Hektar) bringen. Und jetzt mussten sie zugeben: Es sind 400 bis 500 Kilogramm. Unseren Daten zufolge sind es nur 300 bis 400 - im Durchschnitt. Monsanto ist eben spezialisiert auf Lügen. In Wirklichkeit kann man auch mit Gentech-Pflanzen für die Lebensmittelproduktion das Hungerproblem nicht lösen.

Viele Gentech-Pflanzen produzieren Gifte gegen Schädlinge. Lassen sich so nicht umweltschädliche und teure Pestizide einsparen?

Daten der Bauern zeigen, dass mit Gentech-Baumwolle 13-mal so viele Pestizide nötig sind. Genforscher der Universität Delaware haben gerade eine Studie veröffentlicht, die ergab, dass die genetische Manipulation Pflanzen anfälliger für Krankheiten und Schädlinge macht. Als ich dieses Jahr in einer indischen Anbauregion war, kämpften sie mit einer Krankheit, die die Pflanze im Wurzelbereich würgt, sodass kein Wasser nach oben gelangen kann. Jedes Jahr gibt es eine neue Krankheit.

Wie reagieren Schädlinge auf die Gentech-Pflanzen?

Vergangenes Jahr ist der wichtigste Schädling unempfindlich gegen Monsantos Baumwolle Bollgard I geworden. Die Resistenzen entstehen schneller, weil die Schädlinge durch die Gentech-Pflanze ständig dem Selektionsdruck ausgesetzt sind und nicht nur bei Pestizidspritzungen.

Hat die Gentech-Baumwolle davor nicht mehr als ein Jahrzehnt lang funktioniert?

Ein Jahrzehnt ist zu kurz in der Geschichte der Menschheit.

Die Hersteller kontern: Wir entwickeln dann einfach neue Pflanzen.

Einstein sagte: Ein klares Zeichen für Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu machen, aber ein unterschiedliches Ergebnis zu erwarten. Die Strategie ist falsch. Es wird nur Superunkräuter und Superschädlinge geben.

Ist es kein Erfolg der Gentechnik, dass Indien seit Einführung des Gentech-Saatguts viel mehr Baumwolle produziert?

Nein. Der Punkt ist, dass sie von einer vielfältigen Landwirtschaft zur Monokultur übergegangen sind. Wenn man Baumwolle zusammen mit Sorghum, Chili und Bohnen anbaut, hat man ich Baumwolle, Sorghum, Chili und Bohnen. Wenn man nur noch Baumwolle anbaut, hat man natürlich mehr Baumwolle. Der Grund sind aber nicht die Gentech-Pflanzen.

Die Gentechnik-Konzerne versprechen, besser an den Klimawandel angepasste Pflanzen zu entwickeln. Was ist daran so schlecht?

Wir haben schon Pflanzen, die an den Klimawandel angepasst sind, zum Beispiel Saatgut, das gut mit Dürre oder Überschwemmungen klarkommt. Der sogenannte dürreresistente Gentech-Mais dagegen wächst gut in einem Dürrejahr und sehr schlecht in einem normalen Jahr. Traditionelle Sorten dagegen haben ein sehr breites Spektrum.

Die Firmen argumentieren, dass die Entwicklung solcher Pflanzen erst am Anfang stünde. In ein paar Jahren werde es besser funktionieren.

Gentechnik ist sehr langsam, was die klimatische Widerstandsfähigkeit angeht. Die Bauern sind ihr Jahrhunderte voraus im Entwickeln solcher Eigenschaften von Pflanzen. Wenn da schon tausend Jahre Arbeit getan wurde, würde ich darauf vertrauen und nicht auf ein fünf Jahre altes Experiment. Und dieses Experiment würde auch noch an Patente gebunden sein. Wenn Sie Kleinbauer in Asien sind und ein Zyklon verwüstet Ihre Region, dann müssten Sie immer noch Lizenzgebühren für diese neue Pflanzen zahlen. Wir können nicht die Zukunft ganzer Gemeinschaften in die Hände eines rücksichtslosen Players legen, der falsche Versprechen macht und ins Saatgutgeschäft nur einsteigt, um mit Lizenzgebühren Riesenprofite zu machen. Das ist zu risikoreich.

Sie kritisieren auch, dass nur eine Handvoll Unternehmen den Markt für Gentech-Saatgut beherrscht. Warum also nicht kleinen Konkurrenten helfen?

Gentechnik ist nur eine von vielen Züchtungsstrategien. Zudem ist sie die unzuverlässigste. Es wurde behauptet, weil sie auf Molekularebene arbeitet, sei sie genauer. Dabei beschießen Gentechniker im Labor Erbgut blindlings mit Genen. Man weiß nicht, was dabei mit den Pflanzen passiert. Beim herkömmlichen Züchten durch Selektion und Kreuzung dagegen weiß man genau, was mit diesen Pflanzen ist.

Bei der Gentechnik kommen am Ende allerdings Pflanzen heraus, die nur in ein oder zwei Genen von der Ursprungspflanze abweichen. Ist das nicht genau genug?

Nein. Denn man weiß nicht, ob das künstlich eingebaute Gen in die Pflanze oder in den Boden geht. Es gibt Untersuchungen, wonach in vier Jahren 22 Prozent der Nützlinge auf Feldern von Gentech-Pflanzen, die das Insektengift BT produzieren, getötet wurden. Man weiß nicht, wie diese Pflanzen auf Bestäuber wie Bienen wirken. Man weiß nicht, was sie mit Lebensmitteln machen. Der französische Wissenschaftler Gilles-Eric Séralini hat Daten von Monsanto selbst analysiert und gezeigt, dass Organe von Ratten versagten, die BT-Mais gefressen haben.

Das ist umstritten, und andere Forscher sehen keine Gefahr für die Gesundheit. Kennen Sie weitere Belege dafür, dass Gentech-Essen gesundheitsschädlich ist?

Das größte Problem ist, dass das Land, das Gentechnik besonders fördert, die USA, alle Sicherheitstests verhindert - mit der Behauptung, dass Genpflanzen im Prinzip genauso seien wie konventionelle. Sie sagen, es gebe keinen Beweis für die Gesundheitsschädlichkeit. Aber sie haben gar nicht nach dem Beweis gesucht.

Welche durch Gentechnik verursachte Schäden sind denn schon nachgewiesen?

In zwei Fällen ist die Beweislage sehr klar: Erstens verringern Monsantos Monopol und Gentech-Saatgut die Artenvielfalt, die Bauern zur Verfügung steht. Zweitens verschmutzen sie die Umwelt. Monsanto kann nicht behaupten: Das Feld des kanadischen Landwirts Percy Schmeiser wurde nicht von Gentech-Pflanzen kontaminiert. Schließlich hat die Firma Schmeiser sogar verklagt, weil er ihre Patentrechte verletzt habe. Und Kanada kann keinen Raps mehr nach Europa verkaufen, weil er kontaminiert ist.

Ihr Alternativmodell zur Gentech-Landwirtschaft ist der Ökologische Landbau ohne Pestizide und Kunstdünger. Sind hierbei die Ernten nicht viel geringer?

Nein. Wenn die Landwirtschaft so betrieben würde, wie wir es tun mit den 500.000 Bauern in Indien, mit denen wir zusammenarbeiten, würde Indien doppelt so viel Lebensmittel und Nährstoffe zur Verfügung haben. Der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, hat einen Report herausgegeben, wonach wir mit agroökologischen Prinzipien die Produktion verdoppeln könnten.

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