Buch über Zockerei im Fußball: "Eine Kultur der Maßlosigkeit"

René Schnitzler, ehemaliger Profi und Kumpan der Wettmafia, stellt die Fußballszene als einen Haufen Spielsüchtiger dar. Als 18jähriger war der Autor erstmals im Kasino.

Spielsucht werde bagatellisiert, klagt Buchautor René Schnitzler. Bild: Ausriss Buch "Zockerliga"

HAMBURG taz | Vor Kurzem hat Nationalspielerin Kim Kulig von ihrem ersten Jahr als Vollprofi erzählt. "Es ist schon krass, dass die Männer nur Fußball spielen", fasste die Neu-Frankfurterin ihre Erfahrung mit der vielen freien Zeit zusammen und kündigte an, auf jeden Fall etwas Sinnvolles nebenher zu machen.

Wie ein Großteil der männlichen Profis mit den Leerstellen in ihrem Alltag umgeht, konnte man gestern in Hamburg erfahren: mit Autos, Frauen und Zocken. Zu diesem Ergebnis kommt das Buch "Zockerliga - ein Profi packt aus", das der ehemalige St.-Pauli-Profi René Schnitzler gemeinsam mit den Autoren Wigbert Löer und Rainer Schäfer vorstellte.

"Ich bin auf dem Tiefpunkt angekommen", eröffnet Schnitzler seine Rede. Er guckt auf sein T-Shirt runter, auf dem Muhammad Ali bei seinem Kampf gegen George Foreman in Kinshasa prangt und sich ein Bauchansatz abzeichnet. "Wie man sieht, trainiere ich im Augenblick nicht viel", sagt er mit einem Anflug von Selbstironie. Braucht er auch nicht, denn das DFB-Sportgericht hat den 26-Jährigen im Juli wegen "Manipulationsabsprachen" bis Ende September 2013 gesperrt.

René Schnitzler. Zockerliga: Ein Fußballprofi packt aus. 1. Auflage 2011, Güterloher Verlagshaus. ISBN 978-3-579-06691-2

"Knie brechen, anbinden – und warten, bis die Flut kommt"

Schnitzler hat längst zugegeben, vom niederländischen Wettpaten Paul Rooij 100.000 Euro erhalten zu haben, um die Ausgänge von fünf Spielen des FC St. Pauli zu manipulieren. Die Manipulationen selbst habe er dann allerdings nicht durchgeführt, wie er auch gestern mehrfach betonte. Im Gegenteil: Rooij und seine Handlanger hätten ihm nach dem "falschen" Ausgang eines Spiels gedroht, ihm "die Knie zu brechen, an einen Pfahl in der Elbe zu binden und zu warten, bis die Flut kommt".

Ob in Onlinepokerrunden, neben Boris Becker in Monte Carlo oder in schummrigen Hamburger Hotels mit Halbweltgrößen – seit René Schnitzler mit 18 Jahren das erste Mal in Aachen ein Kasino betrat, hat er sich jeden Tag mit dem Zocken beschäftigt. Und mit der Zeit so viel Geld verloren, dass er zur leichten Beute der Wettmafia wurde. Wirklich interessant wird diese Biografie dadurch, dass sie nach Ansicht der Autoren zwar ein Extremfall, aber kein Einzelfall ist. "Die Spielsucht ist das größte Problem im deutschen Profifußball", sagt Rainer Schäfer. "Das wird aber total bagatellisiert." Und Schnitzler nennt eine beeindruckende Zahl: "Meine Erfahrung ist, dass 70 bis 80 Prozent der Spieler einer Mannschaft auf irgendwelche Partien in irgendwelchen Ligen setzen."

St. Pauli, HSV, VfL Wolfsburg ...

Die Autoren nennen viele Namen und Vereine, die in irgendeiner Weise mit Zockereien zu tun haben: private Pokerrunden von Spielern des FC St. Pauli, Hotelrunden mit Profis des HSV, Prostituiertenbesuche am Pokertisch von Spielern des VFL Wolfsburg und Onlinezockereien von Nationalspielern während der WM in Südafrika. Unter Fußballprofis habe sich eine "Kultur der Maßlosigkeit" breitgemacht, die Rainer Schäfer so beschreibt: "Was wir wollen, das kriegen wir auch."

René Schnitzler, der sich inzwischen gegen seine Spielsucht therapieren lässt, nennt ein Beispiel für dieses Denken aus seiner Zeit bei Bayer Leverkusen. Auf dem Flughafen hielt ein älterer Spieler den Filzhut von Dimitar Berbatov, jeder sollte 500 Euro einzahlen. "Und die hat der kassiert, dessen Koffer zuerst auf das Gepäckband fiel." Von diesem Denken werden sich die Spieler kaum verabschieden, während ihr Verband das große Geschäft mit dem Zocken wittert. "Eine Finanzierungsmöglichkeit von 3 Milliarden Euro wird durch Verbote in einer perversen Art und Weise heruntergerechnet auf rund 200.000 Euro", sagte DFB-Präsident Zwanziger im Hinblick auf das staatliche Glücksspielmonopol, das der Europäische Gerichtshof inzwischen gekippt hat.

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